Short Cuts :: VON JOACHIM HENTSCHEL

Gonzales – Presidential Suite (KITTY-YO/EFA)

„Call me Santa Claus Kinski!“ schlägt der Berliner Kanadier Gonzales vor, der seine jüdischen Wurzeln betont und sich auf der letzten Platte als „Entertainist“ profilieren wollte. Der verschluderte Unterhalter, der am liebsten leicht nachvollziehbaren Funk spielt, Computer-Tango, Chansons mit alten Synthesizern und ohne Samples. Aalglätte und Überwertigkeitskomplex ringen gegen den Heimwerker-Charakter, Peaches, Louie Austen und eine Frau namens Feist singen süß dazu, und über die unwahrscheinliche Hookline von „Take Me To Broadway“ rappt Gonzales wenig komödiantisch über seinen dritten Hoden. Eine der kurzweiligsten HipHop-Platten der letzten Zeit. Aber niemand sagt HipHop dazu. 3,5

Fury In The Slaughterhouse – The Color Fury (EMI)

Yeah, die wollen es wissen. In „Angels & Saints“ lassen die Furys (wir duzen sie mal) Martin Luther King sprechen und kopieren ein Oasis-Solo. Später nutzen sie Glockenspiele, psychedelische Geigenchöre, singen über auffällige Parallelen zwischen echter Liebe und schlechten Filmen und machen einen Reggae. Die Ambitioniertheit, mit der diese Partyband schon so lange versucht, mit den abgedroschensten Werkzeugen wichtige Musik zu machen, bringt sie in die enge Themenwahl für Wim Wenders. Vor allem rührend. 2,0

Ministry – Sphinctour (sanctuary/zomba)

Entweder, man ging zum Kotzen in die Knie. Oder man lobte Al Jourgensens nihilistische Industrial-Metal-Band Ministry für ihre stählerne Stilsicherheit und den bescheuerten Hit, „Jesus Built My Hotrod“. Nun erst kommt (als Teaser für anstehendes Neu-Material) das Live-Album zur 1994er Tour, und die Zeit war nicht gut zu dieser Musik: Den von Slipknot und Korn Gepeinigten bleibt nur das Argument, dass Ministry etwas mehr Witz hatten. Schwacher Trost. 2,5

The Sunshine Fix – Age Of The Sun (EMPEROR NORTON/EFA)

Die Psycho-Folk-Bands des in Louisiana gegründeten Musiker-Kollektivs Elephant 6 (Olivia Tremor Control, Apples In Stereo, Neutral Milk Hotel) haben leider nie viel Aufsehen erregt, aber die produktive Zellteilung geht weiter. Sunshine Fix ist die neue Idee von Olivia-Mann Bill Doss, extrem unschuldige Sixties-Psychedelia, wie Left Bänke oder die „langer Tfutn Msterday“-ßyrds, harmloser Pop mit absteigenden Basslinien, Schmetterlingschören, Wabbel-Effekten. Der unvorbereitete Biss in eine sonnenreife Orange. 2,5

Bernadette La Hengst – Der beste Augenblick in deinem Leben (TRIKONT/INDIGO)

Weil es ihre Band Die Braut haut ins Auge nicht mehr gibt, vervielfacht sich die Sängerin und Hamburg-Pop-Statthalterin Bernadette Hengst zur eigenen Begleitgruppe und macht die Solo-Platte, nach der ihr das Herz zu stehen scheint. Das Herz will politisch agitieren und doch melancholisch sein, Kopf und/oder Bauch diktieren neben Trimm-Dich-Pop mit vielen Keyboards und einigen Gitarren auch R&B-fersuche, die gut aussehen, weil Bernadette Hengst nie ihre Stimme verstellt und neben ein paar flachen Parolen ganz schlaue Texte singt. Alles in allem das Unterhaltsamste, was sie je gemacht hat. 3,5

Smith & Migtity – Life Is… (K7/ZOMBA)

Bristol, da war doch was – die massiven Attacken, die visionäre Dub-Lesart, der Jazz-Ersatz für zeitgemäße Cocktail-Kränzchen. Die Haudegen vom Trio Smith & Mighty streuen auf dem dritten Album die Überraschungen auch nicht zu dicht, scheinen selbst dort, wo die beliebte Himtetuiungzum Song durchkommt, um Unauflalligkeit bemüht zu sein. Der Soul-Fluff der beteiligten Sänger wird aber von unten gestützt durch Dub-Bässe, Drum’n’Bass, 2Step. Zu hibbelig und nachtaktiv zum Drüberweghören. 3,0

Rocko Schamoni – Der schwere Duft von Anarchie (VIRGIN)

Rocko Schamoni duscht mit der frischen Freundin im kalten Wasserfall, verweist die gelangweilte Partnerin auf den tollen Hobbykeller und macht mit dieser Platte klar, dass Dekadenz auch von der richtigen Wortwahl abhängt. Ein Orchester-Disco-Konzeptalbum, mit Falco-Cover „Junge Römer“, ein sinnfälliges Steinchen im Gesamtwerk, das für sich betrachtet aber keinen einzigen Song hat, der sich mit seinen früheren Schnurren messen kann. 2,5

The Promise Ring – Wood/Water (anti/connected)

Noch neulich waren The Promise Ring aus Milwaukee Bestandteil jeder Emocore-Aufzählung. Zumindest den core hat die Band jetzt abgeknipst, vielleicht nur für ein Album: JVood/Water“ist eine Singer/Songwriter-Platte und klingt mehr nach akustisch angetriebener Americana als nach dem bisherigen Power-Pop. Sänger Davey Von Bohlen singt wieder nach einjähriger Hirntumor-Pause, man interpretiert Daseinsreflexion und Jahreszeitenlyrik also als standesgemäße Läuterung, den vielschichtigen und trotzdem transparenten Band-Sound als Ergebnis des Erwachsenwerdens.Jungmännei; die Weisheit schmecken, eine überraschend schöne, kränkelnde Alternative zu Travis. 4,0

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