Short Cuts von Wolfgang Doebeling
FORMIDABEL
Klang ihr letztes Album noch periodisch nach Psychotrip auf Autopilot, kehren THE FLAMING STARS auf „Pathway“ (Vinyl Japan) kompromißlos zurück zu ihren glorreichen Anfängen: schlieriger, gärender, abgewetzt-stilvoller Trashabiliy. Max Decharne breitet seine unheilvollen Texte über die dunklen Töne wie ein tränengetränktes Leichentuch. Seine Stimme dringt zu uns wie aus Edgar Allan Poes Gruselkabinett, die Orgel pfeift schaurig, die Gitarren-Twangs tönen hohl „Black Mask“ heißt ein Track, ein anderer „Eight Miles Down“. Die Fläming Stars bitten zum Geistertanz in den Tower nach London. Die Vinylausgabe ist überlegen, aber leider schrecklich limitiert.
Letzteres gilt auch für das fabulöse Foldout-Cover von“ The Green Fields Of Foreverland“ (Jeepster), doch ansonsten sind THE GENTLE WAVES die Antithese zu den Flaming Stars: Taghell ist alles, sonnendurchflutet und allerliebst. Die Songs heißen „Tree Lullaby“ und „Enchanted Place“, die Musik ist linder Folk-Pop aus Glockenspiel, tippelnden Gitarren und heimelnden Bläsern. Und in diese beschauliche Idylle fallt eine Stimme wie ein Glöckchen. Sie gehört Isobel Campbell, die im Hauptberuf für Belle & Sebastian säuselt Natürlich haben auch die anderen Mitglieder der drolligen Schottencombo ihre Hände im Spiel, doch nur „Weathershow“, der einzige Uptempo-Cut, gemahnt an das Pop-Geftige der Mutterband. Der Rest ist Bambi-Pop ohne Arg. Entzückend.
WHISTLER sind robuster (Kunststück!), doch sind ihre Folk-besaiteten, urbritischen Song-Gespinste ebenfalls am lichten, luftigeren Ende der Pop Skala angesiedelt An der Oberfläche. Harfe, Bratsche, akustische Gitarren. Ruschelig klingt auch Sängerin Kerrys süßer, silberheller Gesang auf der nach dem Trio benannten Debüt-LP (Wiiija/RTD), doch spricht die Lyrik eine andere Sprache: „Emily“, flötet Kerry unschuldig, „I want you to be unhappy.“ Derlei fromme Wünsche und böse Hintergründigkeiten ziehen sich durch Whistlers Werk wie ein blutiger Faden. „Every time I wound your pride/ Are you going to fake a suicide?“ fragt Kerry frostig zur Happy-go-lucky-Melodie eines Auszählreims. The Gentle Waves meet Black Box Recorder.
Und Britannien zum vierten: Eingeweihten (also Singles-Endiusiasten) längst ein Begriff als Garanten rockseligetv countryfizierter, Westcoast-inspirierter Elegien, haben GRAND DRIVE nun mit „Road Misic“(Ryko/RTD) ihr erstes Album veröffentlicht, das freilich wenig mehr ist ab die drei fabelhaften 45s plus diversen Filler-Tracks, die das Londoner Quartett um die Gebrüder Wilson in verschiedenen Studios zusammengestoppelt hat. Alles gediegen und manches gar nah am Diamant, fehlt am Ende die Geschlossenheit und Verzahnung, die erst ein großes Album ausmachen. Wer die 45’s verschlafen hat, sieht das sicher anders. Eine nachdrückliche Empfehlung also für Nachzügler.
AKZEPTABEL
Aus dem Dunstkreis der Überzeugungstäter von Fat Possum Records kommen CALVIN JACKSON & MISSISSIPPI BOUND. Delta-Mann Jackson ist Drummer und Vokalist in Personalunion, kommt in Sachen Tuning aber selten mit sich ins Gehege auf „Goin’Dom South „(Me & My Blues/Zensor). Und wenn doch: hey, that’s coolmaaaan. Dann klingt sein roher, dorniger und dennoch druckvoller Country-Blues eben noch roher, dorniger und druckvoller. Für Fans von Junior Kimbrough, in dessen Joint Jackson zu jammen pflegte und dessen musikalisches Erbe er nun angetreten hat Blues als Groove.
CHRIS SMITHER einen Veteranen der Singer-Songwriter-Kaste zu nennen, ist schon beinahe eine Untertreibung. Der Mann tourt seine Liedkunst seit Jahrzehnten, und das global. Smithers Platten waren meist grundsolide, doch ging ihnen oft eine Qualität ab, die schwer zu übersetzen ist: a sense of occasion. „Drive You Home Again“ (High tone/Fenn) hat davon eine ordentliche Portion, was zum einen an Stephen Brutons punktgenauer Produktion liegt, zum anderen an den Sidekicks, allen voran der überragende Joel Guzman an Akkordeon, Melodica und diversen Keyboards. Hinzu kommen Könner wie Mickey Raphael, Jon Dee Graham und Raul Rodriguez. Smither covert Tim Hardin, Danny O’Keefe und Eric Von Schmidt, seine neuen Times sind nie weniger als durchdacht, sein Gesang hat an Glätte verloren. Gut.
Gütlich tun kann man sich auch am Bluegrass von LYNN MORRIS,doch verflüchtigt sich das Interesse an „You’ll Never Be The Sun“(Rounder/InAkustik) schon nach zweimaligem Hören. Am Material liegt es nicht: Hazel Dikkens, Bill Grant, Leiber/Stoller. Nein, es ist die Geschliffenheit des Vortrags, diese gottverdammte Höflichkeit, mit der Lynn Morris und ihre Picker 8C Fiddler sich dieser Songs annehmen. Nirgendwo wird das deutlicher als bei „The Likes Of You“, in das Georgejones einst soviel Verachtung packte, daß man Mitleid bekam mit dem herzlosen Objekt seiner Abrechnung. Lynn Morris singt das Stück ab fröhliches Farewell, die Musik plätschert hübsch dahin, kein Gefühl regt sich.
Aufwühlende Emotionen sind das Letzte, was man von LORRIE MORGAN erwarten würde. Die Nashville-Diva steht für eine andere Welt, in der alles aus Plastik ist Sie nennt es „glamour“, und sie liebt es. Aber nicht immer. Manchmal fragt sich Lome, die Lady mit dem reizenden Twang in der Stimme, ob das genug ist Nein, erkennt sie dann und kehrt ihr Innerstes nach außen: „I wanna win the lottery and give it all away/ Those homeless need a place to stay.“ Liebe Lorrie, gutes Kind. „My Heart“ (BMG) heißt dieses Album nicht umsonst. Rocken kann die Morgan auch. Wenn sie Bryan Adams covert. Dann faucht sie wie eine Tigerkatze und fahrt ihre Krallen aus: „The Only Thing That Looks Good On Me Is You“. Sex! Das ist gewagt für Nashville. Gut, daß die Musik dazu von der Stange kommt Konfektions-Pop der Marke C&A (Country & Asepsis).
INDISKUTABEL
Noch redundanter ist „Lundaland“ (Eastwest), das Erstlingswerk von PIA LUND, früher Chanteuse des Voodooclub und Muse des Rockstar-Ersatzes Phillip Boa. Im Lundaland härmt eine exemplarisch seifige Elektronik mit Pias blutleerem (oder sagen wir charmanter: ätherischem) Sopran um die Wette. New-Age-Trip-Pop! Errya trifft Emilia. Chill-out nach Abtanzen bei Wolfsheim. „I love me sun, I love the moon“, piept Pia, „I have thoughts in me that are not mine.“