Sohn

Rennen

R&B-infiltrierte Elektrodub-Wunderwerke vom rastlosen Londoner

Offensichtlich hat Christopher Tayor ein Faible für schlichte deutsche Wörter. Unter dem Namen Sohn veröffentlichte der in Wien ansässige Londoner 2014 ein bejubeltes Debüt („Tremors“) – wobei „Debüt“ nicht ganz korrekt ist, denn bis 2012 unterhielt er das Projekt Trouble Over Tokyo, außerdem produzierte er Lana Del Rey, komponierte Songs für Rihanna und Banks.

Angetrieben vom Erfolg drehte er weltweit seine Runden über die Konzertbühnen. Das Gefühl der Rastlosigkeit spiegelt sich im Titel des aktuellen Albums, „Rennen“. Doch die R&B-infiltrierten Elektrodub-Songs verbreiten alles andere als Sprinterhektik – hier ist ein Dauerläufer mit langem Atem am Start. Im Auftaktsong, „Hard Liqour“, schraubt Sohn seine luzide Stimme, zunächst nur von einem unnachgiebigen Puckern flankiert, aus einem abgeschlossen wirkenden Raum in luftige Gefilde.

Sein Anliegen bei der Produk­tion von „Rennen“ war es, „die Songs nicht zu überfrachten und die Dinge nicht zu verkomplizieren“. So sitzt jeder Beat, er weiß zudem mit Pausen umzugehen, überflüssiges Füllwerk fehlt. Selbst den sonst oft aufdringlichen Gesangseffekt Auto-Tune setzt Sohn sinnvoll ein. In „Signals“ spiegelt die verzerrte Stimme die Unsicherheit des Sängers auf der Suche nach seiner Position in einer Beziehung und ist nicht nur Effekt.

Sixties-Schlagseite

Überhaupt stellt Sohn seine Stimme in den Vordergrund. In „Rennen“ unterlegt er sie mit kaum mehr als einem Klavier, in „Still Waters“ erzeugt er mit einem hellen Sound­akzent den Eindruck von zäh von der Decke tropfendem Wasser, punktuell aufploppende Tiefseesounds lassen Abgründe erahnen. Die gefälligen, aber nie stadionkompatiblen Melodien werden von ausgeklügelten Rhythmen vorangetrieben, erzeugt mit Kugelschreibern, die er auf Alltagsgegenstände schlägt.

Das Finale des Albums konterkariert ein letztes Mal Titel und Inhalt: Während der Titel „Harbour“ Ankunft und Ruhe suggeriert und ein A‑cappella-­Rezitativ prima ins Bild passt, schwingt Sohn sich zum Ende hin zu einer rastlosen Agentenfilm­nummer mit Sixties-Schlagseite auf. (4AD/Beggars)

Sylvia Prahl