Soundgarden
Down On The Upside
A & M Records (Universal) 13.05.1996
Nirvana: verstorben. Alice In Chains: vergessen. Pearl Jam: verwirrt. Melvins und Mudhoney: verdammt zu Außenseitern. Der Soundgarden von Seattle ist mit Kurt Cobain verblüht, während der Torso als Foo Fighters wie ein Zombie auf seinem Grab tanzt. Und aus Chicago gaben die Smashing Pumpkins mit ihren melodramatischen Melodien dem Grunge den Gnadenschuß.
Grunge war Hype, eine Fata Morgana auf MTV, für Musikgazetten und Plattenfirmen ein unverhoffter Glückstrend als Synonym für den Umbruch an der Schwelle der 90er Jahre. Mit dem Erfolg von Nirvana wurde Grunge zum Genre, und früh war klar, daß er mit Nirvana auch enden würde – zumindest als vermarktbarer, marktschreierischer Sammelbegriff. Die Bands blieben, denn viele waren schon lange vorher da – und hatten mit Grunge nur den Ort gemeinsam. So wie Soundgarden. Auch sie wurden mit diesem Etikett versehen, obgleich sie bereits mit „Louder Than Love“ den Subkultur-Status überwunden hatten, als der „Teen Spirit“ noch ein Deodorant war. „Badmotorfinger“, veröffentlicht auf dem Höhepunkt der Hysterie, erreichte Platin. Ihre beste Platte machten Soundgarden jedoch, als alles vorüber war: Auf „Superunknown“ erfaßten sie die Essenz von Black Sabbath und Led Zeppelin, den Beatles und von dem, was Grunge hieß. Mega-Pop-Metal – und der verkaufte sich auch noch fünf Millionen Mal. Also Superstars.
Sänger Chris Cornell nannte „5uperunknown“ eines jener Alben, das er in den Siebzigern von Superstars wie Aerosmith gekauft hätte. So etwas sagen Rockmusiker gern, und die meisten von ihnen sagen es immer wieder. So wie „Down On The Upside“ natürlich wieder ein Wagnis war. Abgeklärte Riffs. Wogender Rhythmus. Hymnisches Genöle. Epische Melodien. Und alles ohne einen fremden Produzenten aufgenommen. Ein weiteres Album zum Joint. Super-Slacker.
Soundgarden werden nie die Zukunft des Rock’n’Roll sein – aber mit ihnen wird er auch nicht sterben. Sie verstehen es, das Klassische im Jetzt zu begreifen, Innehalten in Innovation umzusetzen, und beweisen auch mit „Down On The Upside“, daß Rückbesinnung nicht Retro sein muß. Soundgarden wurden mit Alternative-Rock, Punk-Rock und Heavy-Rock, Doom-Metal, Post-Metal und Smart-Metal gleichgesetzt, den Respekt der Szene aber haben sie nie verloren. Mit nahezu esoterischer Lässigkeit und etwas Selbstsuggestion entgingen sie stets der Identitätskrise. Zudem sich trotz ihres Erfolges die Aufmerksamkeit der Medien mehr auf ihre Nachbarn wie Pearl Jam konzentrierte. Besser sind sie nicht geworden. Aber ihre Kontinuität überrascht.
Die Single „Pretty Noose“ klingt ebenso vertraut wie „Rhinosaur“: genuine, geschmeidige Rocksongs, in denen die rohe Kraft nur durchschimmert, den bluesigen Ruß aber nie bricht. Dem Punkrock von „Ty Cobb“ geben sie dagegen mit den Klängen einer Mandoline einen exotischen Kniff. Die fast soulige Ballade „Zero Chance“ sollte Chris Cornell mal mit Eddie Vedder im Duett singen. Ihr einzig wirkliches Experiment gestatten sich Soundgarden mit dem stillen Stück „Applebite“: Zu surrealen Klagelauten weisen sphärisches Gitarrenzupfen und irrlichternde Rückkopplungen wie durch den Hades. Dann rasen die Instrumente, als hätte jemand ein verstimmtes Radio bis zum Anschlag aufgedreht Und im sechsminütigen „Tigher & Tigher“ spielen Soundgarden ausschweifende Gitarren-Soli bis zur Hypnose.
Auf „Down Ott The Upside“ wollten Soundgarden sich die Hingabe und Spontaneität ihrer Konzerte bewahren. Das ist gelungen. Im Rock-Zirkus haben sie längst das Selbstbewußtsein und den Stellenwert erreicht, bei dem sie kaum noch etwas falsch machen können. Allein in Seattle.