The Everly Brothers :: Chained To A Memory 1966-1972
Bear Family-Vollbedienung mit der schwierigen Phase der Brüder.
Loyale Fans müssen ziemlich vom Donner gerührt gewesen sein, als die Everly Brothers 1971 ausgerechnet Songs wie „Brown Sugar“ oder „I Want To Take You Higher“ von Sly & The Family Stone in ihr Konzert-Set aufnahmen. Das war ganz sicher nicht die eleganteste Methode, das eigene Image radikal zu ändern. Was sie im Herbst des Jahres zuvor für die „Johnny Cash Presents The Everly Brothers Show“ an zeitgenössischen und aktuell angesagtem Liedgut vortrugen – unter anderem George Harrisons „Something“,James Taylors „Something In The Way She Moves“ oder Paul Simons „Keep The Customer Satisfied“ -, eignete sich schon eher für ihre ewige Suche nach der perfekten Harmonie. Wenig später lief ihr 1960 mal sagenhaft hoch dotierter Vertrag mit Warner Bros, aus, und nach dem Wechsel zu RCA nahmen sie für die neue Firma mit „Stories We Could Tell“ eine der besten LPs ihrer ganzen Karriere auf. Songlieferanten waren da unter anderem Kris Kristofferson und Dennis Linde, Rod Stewart, John Sebastian, Delaney & Bonnie und Jesse Winchester gewesen, im Studio mit von der Partie Ry Cooder, Barry Beckett, Spooner Oldham, Warren Zevon. Clarence White und etliche der renommiertesten Session-Cracks, die Los Angeles zu bieten hatte.
Aber auch diese wunderbare Platte, in John Sebastians Haus von Paul Rothchild produziert, brachte nicht das erhoffte Comeback in die Gänge. Es muss fast ein wenig deprimierend für die Brüder gewesen sein, dass ihr größter Erfolg seit langem und für viele weitere Jahre vor dem von Dave Edmunds produzierten Comeback eine Doppel-LP mit den berühmten Cadence-Aufnahmen ihrer Archie Bleyer-Ara war, die Columbia Ende 1970 auf dem Budget-Label Barnaby wie aus heiterem Himmel veröffentlichte. Nur Platz 180 in den USA, kletterte es dagegen in England bis auf Platz 7 der Hitparade! Das schafften nicht mal die besten LPs der Jahre, die in diesem Box-Set dokumentiert sind. Verglichen mit späteren Retrospektiven ihrer glorreichen Cadence-Ära bot das Barnaby-Vinylset mit vielen pseudostereofonisierten Versionen zwar klangtechnisch recht erbärmliche Qualität. Aber zu dem Zeitpunkt war das wenigstens die konkurrenzlos umfassendste Best-Of-Werkschau ihrer Anfänge.
„The Price Of Love“ und „Love Is Strange“ waren 1965 in England die letzten Top-Hits der Brüder gewesen. Da schien es nur logisch, dass sie für das „Two Yanks In England“-Projekt eine ganze Reihe Hollies-Songs aufnahmen und die mit Cover-Versionen von Hits wie „Pretty Flamingo“ und „Somebody Help Me“ anfütterten. Mit dabei in den Decca-Studios in London: James Burton, den Campbell, Larry Knechtel und all diese Profis wie bei den Sessions in Hollywood. Aber einmal zurück daheim im RCA „Studio B“ am Sunset Boulevard, liefen sie wieder zu weit größerer Form auf. Auch bei ihren Aufnahmen von „When Eddie Comes Home“ und „She Never Smiles Anymore“, zwei Songs des noch völlig unbekannten Jimmy Webb. Take 1 des letzteren Liedes, große Melo-Ballade, ist hier erstmals überhaupt zu hören. Das Final Master, auch ein toller Heuler, wurde dann auf „The Hit Sounds Of The Everly Brothers“ veröffentlicht und war dort eine unendlich hochkarätigere Interpretation als das, was die Brüder an äußerst dürftigen Versionen von „Blueberry Hill“, „The House Of The Rising Sun“, „Sticks And Stones“, „Let’s Go Get Stoned“ oder „Good Golly, Miss Molly“ sonst noch so zu bieten hatten. (Was um so merkwürdiger war, als sie ihren Ray Charles und Little Richard zehn Jahre vorher ja mal richtig gut drauf hatten.) Weit besser gelang ihnen der Bacharach/David-Klassiker „Trains And Boats And Planes“. Entsetzlich war ihre dann auf der „Everly Brothers Sing“-LP veröffentlichte Aufnahme von „A Whiter Shade Of Pale“, ein schieres Wunder wiederum die von Ron Eliiott komponierte „Empty Boxes“-Single. Zum Heulen schön wie auch das für ihr nächstes Album aufgenommene „Ventura Boulevard“ von demselben Songwriter.
Der Titel der Platte war „Roots“ und natürlich Programm. Lenny Waronker diktierte jetzt als neuer Produzent den künstlerischen Gang der Dinge. Die Aufnahmen zogen sich mittlerweile über Monate hin. Denn Geld brachten primär die vielen Konzert-Engagements ein.
Aber das Ergebnis war ein Meisterwerk, simuliert quasi eine von Vater Ike moderierte Radio-Show wie in den 50er Jahren mit ein paar Oldies (Jimmie Rodgers‘ „T For Texas“ und Carl Davis‘ „Kentucky“) und viele neuere Songs von Merle Haggard, Glen Campbell, Randy Newman und Terry Slater. Aber im Jahr von „BeggarsBan(juet“und dem „Weißen Album“ war das ein hoffnungsloser Anachronismus und ein kommerzielles Fiasko wie damals auch „The Kinks Are The Village Green Preservation Society“, das auf seine Weise ebenfalls ganz altmodische Werte wahren wollte. Natürlich bat Waronker seinen Schwager Newman für dessen „Illinois“ ins Studio und für Overdubs David Blue, Van Dyke Parks und andere gute Bekannte, mit denen die Brüder bislang noch nie gearbeitet hatten. Love in vain, wie Robert Johnson das mal richtig gesagt hatte. Wie später die beiden fabelhaften LPs für RCA (wie „Stories We Could Tell“ ist auch das von Chet Atkins produzierte „Pass The Chicken And Listen“ komplett in diesem Box Set enthalten), die bei diesem Set das Schaffen der Jungs vor dem ganz großen Zerwürfnis abrunden.
Auf über 200 Seiten erfährt man in dem diesem Box-Set beiliegenden Buch über die Everly Brothers sogar mehr, als man überhaupt je zu fragen wagte.