The History Of Skiffle :: Voluminöse Box mit allem, wonach wir nicht zu fragen wagten
Das war schon vorsätzlicher Etikettenschwindel, als Van Morrison einen Konzertmitschnitt von 1998 als Album unter dem Titel „The Skiffle Sessions“ veröffentlichte. Was er da an Traditionals, Folksongs, Blues-und Country-Klassikern etwa von Jimmie Rodgers zusammenmusizierte, hatte allenfalls bedingte Ähnlichkeit mit der authentischen Skiffle Music circa 1955 bis 1960.
Wenn etwas musikalisch mausetot ist, dann Skiffle. Banjos waren schon viele Jahre wieder angesagt, bevor Bands von Avett Brothers bis Mumford &Sons sie für ein Massenpublikum hoffähig machten. Aber ein Skiffle-Revival? Diese Musik spielte seinerzeit George Harrison mit John Lennon und Paul McCartney kurzzeitig in einer Combo namens The Quarrymen. Sechs Jahre nach „Rock Island Line“, dem Urknall des Skiffle, hatte Lonnie Donegan seinen letzten Hit mit „Pick A Bale Of Cotton“.
Das war im August 1962, zwei Monate vor „Love Me Do“. Die Ankunft der Beatles und damit des Pop war der Sargnagel für alles, was man mit Skiffle je an Lebensgefühl verband.
Auf sechs CDs, mit denen Bear Family Records den Skiffle-Boom gründlicher als irgendwer je zuvor anhand ausgewählter Aufnahmen dokumentiert, findet man ausnahmslos museale Exponate. Die haben seit dem Folk-Music-Revival der 60er-Jahre den Nachwuchs weniger inspiriert als jede Carter-Family-Retrospektive, alle Hank-Williams-Songs oder Folk-Klassiker, die Harvard-Professor Francis James Child in seiner berühmten Anthologie sammelte. Von den angeblich 50.000 bis 60.000 Skiffle-Bands, die es um 1958 in England und auch auf dem Kontinent gegeben haben soll, findet man hier natürlich die berühmtesten -die Vipers und City Ramblers, die von Ken Colyer, Chris Barber, Ray Bush sowie gut zwei Dutzend Lonnie-Donegan-Aufnahmen. Alle werden auf den 90 Seiten des beiliegenden großformatigen Buchs gewürdigt. Die Lektüre hat etwas mit einem Gang durch die paläontologische Abteilung eines Naturkundemuseums gemein. Ganz zum Schluss findet man einen Artikel aus dem „Melody Maker“ vom 6. Juli 1957 mit der Überschrift „Skiffle Won’t Die“.(Bear Family) FRANZ SCHÖLER
The Graham Bond Organization
Wade In The Water***1/2
Vier-CD-Set der unterschätzten Band um den dynamischen Orgler
Kann man sich die frühen 60er-Jahre ohne den drängenden, zickigen und zugleich bauchig-warmen Klang einer Hammond B3 vorstellen? Ich nicht. Einer der dynamischsten Orgler jener Zeit war zweifellos Graham Bond. Bauchig, bärtig, pausbäckig und eigentlich vom Jazz und Saxofon kommend, scharte der umgeschulte Organist 1963 keine Geringeren als den jungen Bassisten Jack Bruce, den jungen Schlagzeuger Ginger Baker und den vielversprechenden Gitarristen John McLaughlin um sich.
Als Live-Band eine Sensation, blieb die GBO auf Platte leider erfolglos. Ihr kochender, orgelgetriebener Sound verschmolz Blues, Jazz und Beat, er klang elegant und tight wie ein Mod-Anzug. Auf dem Vier-CD-Set sind nun so ziemlich alle Bond-Aufnahmen versammelt, die es aus den Jahren zwischen 63 und 67 gibt. Und die man natürlich nicht alle braucht. Neben Single-und Album-Stücken gibt es zahlreiche Demos und Alternative Takes bereits zuvor gehörter (und besser produzierter) Aufnahmen. Aber auch Kurioses und Unveröffentlichtes, das interessant ist – wie beispielsweise ein paar Aufnahmen mit Ernest Ranglin oder mit Alexis Korner und den Velvettes als Background-Sängerinnen.
Was insgesamt auffällt: Erfreulich wenig Gedaddel, aber viel Geperle. Bond und seine Mitstreiter wussten sich am Riemen zu reißen und pflegten den straffen 2.30-Minuten-Track. Dass sich die Songs live dann gerne mal zu doppelter und dreifacher Länge auswuchsen, zeigen die grauenhaft unproduzierten Konzertmitschnitte am Ende der vierten CD. Leider fehlt die zweite (und kommerziell ebenso erfolglose) Phase in Graham Bonds Schaffen völlig, als der inzwischen via Okkultismus, Drogenkonsum und Esoterik schwer abgedriftete Musiker mit seiner Band Magick irrste Freestyle-Orgel-Rock-Platten machte. Kein Wunder: Bond glaubte, der uneheliche Sohn von Aleister Crowley zu sein. 1974 wurde er in der U-Bahn-Station Finsbury Park von einem Zug der Piccadilly Line überrollt. Er starb mit nur 36 Jahren. (Repertoire)