THE KELLEY DEAL 6000 – BOOM! BOOM! BOOM!; THE JOSEPHINE WIGGS EXPERIENCE – BON BON LIFESTYLE :: Play It Again Sam/RTD; Grand Royal/RTD

Der Terror der Intimität, Teil zwei. Kelley Deal ist bekennende Talkshow-Konsumentin, und ihre Heroinsucht funktionierte einst als öffentliche Angelegenheit. Leger lancierte sie private Geheimnisse oder was wir dafür hielten. Auch auf „Boom! Boom! Boom!“, ihrem zweiten Solo-Album nach dem bestens publik gemachten Entzug, reiht sie wieder gekonnt Geschmacklosigkeit an Geschmacklosigkeit. Wollt ihr den totalen Krieg? fragt die Noise-Rockerin zu militärischem Getrommel in „Total War“ und bombardiert dann den Hörer bei anderen Stücken mit Beichten und Bekenntnissen. Zur Polka von „Stripper“ gesteht sie, daß sie gerne mal beim Table Dance die Hüllen fallen lassen würde, und in „My Boyfriend Died“, einem catchy tune, beerdigt sie alles andere als pietätvoll ihren Freund.

Aber Pietät ist für Kelley Deal sowieso eine Art Schimpfwort „Boom! Boom!Boom!“ sollte man hören, wie man einen Film von John Waters anguckt. Denn auch Kelley Deal, aufgewachsen in Ohio, wühlt sich genüßlich durch den White Trash ihrer Heimat, ohne sich die eine oder andere aufrichtige Zärtlichkeit versagen zu können. Ihr Blick auf den weißen Schrott ist ironisch, aber voll von Sentiment. Herzerweichend, wie sie die Country-Träumerei „When He Calls Me Kitten“ schnurrt.

Dieses Wechselspiel aus Freakshow und emotionaler Nabelschau klappt wie geschmiert, was auch daran liegt, daß die Künstlerin trotz vorgeschobener Lässigkeit ganz genau weiß, was sie will. Die Begleitmusiker, die bei Kelley Deal 6000 kommen und gehen wie die Figuren in einer Seifenoper, scheinen da übrigens nur als Statisten zu agieren. Die Frau ist – das sei hier ein allerletztes Mal konstatiert – mehr als die Schwester von Kim Deal, die sie einst zu den Breeders und damit zur Pop-Musik gebracht hatte.

Und Josephine Wiggs ist mehr als die Bassistin dieser legendären Band – obwohl das ja auch kein unwichtiger Posten gewesen ist Schließlich steuerte sie die fidele Baßlinie zum Hit „Cannonball“ bei, und auch in der Gruppendynamik der Breeders spielte die Engländerin eine zentrale Rolle. Vielleicht wären die Temperamente der immer auf Volldampf laufenden Deal-Schwestern schon früher kollidiert, hätte Josephine Wiggs nicht ausgleichend gewirkt. Auf ihrem ersten Solo-Album, jetzt mit Verspätung auch regulär in Deutschland erhältlich, ist von Wahnsinn jedenfalls nichts zu hören.

„Boom! Boom! Boom!“ krakeelt Kelley Deal und beschreibt damit auch ihren Lebenswandel; Josephine Wiggs aber betitelt ihr Album „Bon Bon Lifestyle“. Natürlich gibt es auch hier ironische Brechungen en masse. Etwa wenn sie gleich im Eröffnungsstück fordert: „Make me feel like Doris Day“ – während die zuckersüße Melodie auf ihre Vergangenheit bei den Gitarrenpoppern Perfect Disaster verweist Überhaupt: „Bon Bon Lifestyle“ ist sehr britisch und sehr verspielt – auch wenn die experimentierfreudigen Jam-Passagen mit der Semi-Prominenz aus dem Umfeld ihres Labels Grand Royal geglückt sind. Äußerst delikat kommt zum Beispiel die jazzy Etüde „Downward Facing Dog“ daher.

Josephine Wiggs und Kelley Deal – die Schöne und das Biest.

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