The Radio Dept – Lesser Matters

Mit scharfer Imaginationsgabe kann man sich den Herbst in britischen Vorstädten vorstellen, die man nie besucht hat, und dieses Phantom-Heimweh macht die Laune noch melancholischer: Nachträglich eingepflanzte Erinnerungen an Landausflüge, ans Bäumeklettern im Süden Englands, Gewittertropfen an Schiebefensterscheiben. Die Reimpaare „train“ und „rain“, „dead“ und „head“, die Bettkanten-Musik der zweiten UK-Indie-Qass, von Slowdive, den Telescopes, Moose, den Boo Radleys.

Die junge schwedische Gruppe The Radio Dept. spielt den Shoegazer-Pop, der Anfang der neunziger Jahre entstand, als Gitarren-Bands mit großen Lippen die Monster Cocteau Twins und My Bloody Valentine unsachgemäß imitierten (die allerdings selbst vom Anorak-Lied a la Sarah Records herkamen).

Weinende Elche, bis zur Entkörperung verzerrte Gitarren, Candy-Nebel, Gesang wie aus einem im Aquarium versunkenen Diktiergerät – heute sind das Gedankenspiele und Nostalgie-Arbeit, weil die Musik kaum noch gemacht wird. Radio Dept halten sich an die alten Evangelien, in denen auch steht: Die Gitarre ist ein elektronisches Instrument, hat eine Klangbreite wie ein Synthesizer muss nicht immer laut sein. Manchmal passt eine Drum-Maschine besser als echte Trommeln, in anderen Fällen kann es akustischer Lo-Fi-Folk sein. Die verwehten, schönen, elternlosen Lieder („And though I’m happier now I always long somehow/ Back to 1995“), das laute Einatmen des Sängers Johan, Sehnsucht zurück in den Mutterleib, unscharf fotografiertes Baumlaub im Booklet. Melancholischer Scheißdreck, ganz wunderbar.

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