The Smiths :: Meat Is Murder

„Meat Is Murder“, das provokante zweite Album der Smiths, ist eine furiose Kampfansage an das von Margaret Thatcher regiert Großbritannien. Trotz „How Soon Is Now“ und weiterer großer Momente bleibt die Band am Ende aber noch einen Schritt vom Zenit entfernt. Ein Rückblick zum 30. Jubiläum.

Es gibt bessere Smiths-Platten, aber „Meat Is Murder“ ist das Album, mit dem für die Band alles zusammen kam. Wenngleich die Ästhetik schon mit der zwei Jahre zuvor veröffentlichten ersten Single „Hand In Glove“ mitsamt dem in tiefes Blau gehüllten männlichen Aktfoto von Jim French auf dem Cover ungewöhnlich ausbuchstabiert schien,  so gab es doch Probleme und Dispute rund um die Produktion des selbstbetitelten Debütalbums. Nachdem der ursprüngliche Produzent Troy Tate durch John Porter ersetzt wurde, nahm die Band das Album erneut auf, war aber mit dem Endresultat wieder nicht zufrieden. Aufgrund der hohen Kosten der beiden Sessions sah man sich jedoch gezwungen, „The Smiths“ ohne weitere Bearbeitung zu veröffentlichen um nicht einen finanziellen Kollaps zu riskieren. Die ursprünglichen Aufnahmen mit Troy Tate fanden als Bootleg unter dem Titel „The Troy Tate Sessions 1 & 2“ später noch ihren Weg zu Fans. Eine Anti-Klimax, welche dem Duo Morrissey/Marr einige Bauchschmerzen bereitete.

Nach diesem für die Band unbefriedigenden Einstand war man fester Dinge, den Nachfolger zum mission statement werden zu lassen. Um etwaige Dispute vorzubeugen, entschieden Morrissey und Marr, die Platte diesmal selbst zu produzieren und sich dabei lediglich von Stephen Street assistieren zu lassen. Sicherlich die richtige Entscheidung, zumal man in Street einen musikalischen Verbündeten gefunden hatte, der danach auch auf „The Queen Is Dead“ und „Strangeways Here We Come“ Hand anlegte.

Meat Is Murder“ ist dem programmatischen Titel entsprechend ein klassisches Protestalbum. Während Morrissey auf dem Erstling noch in exaltierter Sturm-und-Drang-Pose sein Innenleben zu den flirrenden Gitarren Johnny Marrs vorgetragen hatte, zeigt „Meat Is Murder“ die Band in angriffslustiger Pose gegenüber Patriachat, Thatcher-Regierung und Fleischindustrie. Die Platte beginnt mit einem Paukenschlag, die Dynamik im Zwischenspiel von Morrissey, Marr, Bassist Andy Rourke und Drummer Mike Joyce ist auf „The Headmaster Ritual“ on lock in all ihrer famosen Ekstase. Zu peitschendem Rhythmus wettert Morrissey gegen ein Schulsystem, das jegliche Kreativität erstickt. Danach folgen „How Soon Is Now“, sicherlich der größte Smiths-Hit, „That Joke Isn’t Funny Anymore“, das wunderschöne „Well I Wonder“ und schließlich der bis heute die Meinungen spaltende Titelsong. Aber The Smiths waren zum Glück auch nie eine den kleinsten Konsens mit der Außenwelt suchende Wohlfühlband, sondern alles in die Waagschale werfende Bildstürmer.

Überschattet wird das Album dennoch von „Hatful Of Hollow“. Ein wenig paradox, denn „Hatful of Hollow“ ist eine zwischen die Veröffentlichungen von „The Smiths“ und „Meat Is Murder“ geschobene Compilation mit alternativen Takes der Songs des Debüts, Singles und B-Seiten. Es ist das eigentliche Meisterwerk der Frühphase. Vier Monate vor „Meat Is Murder“ veröffentlicht, wird alles, was der Sammlung an Kohärenz fehlt, durch die schiere Klasse des Materials mehr als wett gemacht: In den Versionen von „This Charming Man“ und „Still Ill“, sowie der Single „William, It Was Really Nothing“, erklingt eine solche Spontanität, Spielfreude und Wärme, dass es einem die Tränen in die Augen treibt.

Meat Is Murder“ hat jedoch trotz einiger Schwächen in Songwriting und –dramaturgie die Musik der Band aus Morrisseys Jugendzimmer geholt, auf Breitwandformat gezogen und somit den Weg für das Meisterwerk „The Queen Is Dead“ und den Schwanengesang „Strangeways Here We Come“ geebnet. Zwar bleibt der Eindruck eines nicht vollkommen ausgegorenen Songzyklus, auf dem die qualitative Kluft zwischen den besten und den schwächsten Momenten größer ist als auf irgendeiner anderen Smiths-Platte; trotzdem gilt sie vielen als Meilenstein. Der amerikanische ROLLING STONE wählte „Meat Is Murder“ unter die 500 Besten aller Zeiten, und die Musikbuchreihe 33 1/3 widmete der Platte einen eigenen Band.

Man muss es so sehen: bei welcher anderen Band ist selbst das ’schwächste’ aller Studioalben noch ein veritabler Klassiker?

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