Tim Hutton – Everything

Auf dem Cover seines Solodebüts zeigt sich Tim Hutton in einer Art Vorher/Nachher-Montage mit zwei Gesichtern, und dieses Bild funktioniert als visuelle Präambel für das Unternehmen, das in „Everything“ jetzt seinen Abschluss findet: Der eigenen Vergangenheit wollte Hutton mit seinen neuen Liedern nachspüren und zutage fördern, was verloren ging.

Vor nun bald einer Dekade hatte der Frust mit dem Biz und das Ende einer Liebe den britischen Musiker aus den mühsam berechneten Umlaufbahnen des eigenen Lebens geworfen, und um der Wahrheit vorerst nicht ins Auge blicken zu müssen, flüchtete sich Hutton mit den Projekten Vulva und Soul Ascendants ins wilde Leben der damals noch jungen Acid-House-Szene Londons. Jetzt hat der sensible Brite den Mut zum Blick in den Spiegel.

„I’ve been a fool/ I stood around and acted oh so cool/ I’ve been unfaithful and betrayed so cruel/ Trust is not easily given“, singt er gleich im Opener, und eben so geht es munter weiter ins Labyrinth der Seele.

Die Auseinandersetzung mit dem Vergangenen ist auch in anderer Hinsicht eine Reise zu den Wurzeln; Hutton komponierte seine fragilen Skizzen nach den Jahren am Apparat wieder mit seinem Leibinstrument Gitarre, so als seien die analog tönenden Saiten ein musikalisches Äquivalent zur wahrhaften, unverfälschten Auseinandersetzung mit der eigenen Seele. Programmiert wird aber dennoch; Hutton, der schon in den letzten Jahren die eigene Musik stets im Alleingang in die Konserve zwängte, besorgt Beats und Strings, allerlei atmosphärisches Geraune per Mausklick, und so gerät „Everything“ zur Melange aus Neo-Folk-Intimitäten und urban blues-Szenarien, die neben den ja üblichen Verweisen auf Elliot Smith und Nick Drake auch Sänger wie Badly Drawn Boy und Beck als mögliche Parallele erscheinen lassen. Indes, Hutton hat so gar nichts von der Ironie und gefühlsfaulen Distanz der Letztgenannten, sondern breitet sich vorbehaltlos aus über das eigene Ringen und Leiden, ohne der drohenden Larmoyanz anheimzufallen. Das gelingt nicht immer: In den schlechteren Momenten scheitert Hutton am eigenen Seelenstriptease, man mag dann nicht mehr der Voyeur sein und ist irgendwie peinlich berührt von der Öffentlichkeit des Künstlers. Das passiert, wenn Hutton die Strenge im Songwriting schleifen lässt und sich ohne das rettende Gerüst in der eigenen Rückführung suhlt – Hutton braucht seine Melodien, seine Arrangements, sein Handwerk, um den geneigten Hörer in die Randgänge der eigenen Psyche zu führen. Gelingt der Kunstgriff^ wächst seine Musik über die bloß eigennützige Seelenbespiegelung hinaus und gewinnt an Kraft.

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