Tool

Aenima

Jive (rough trade) 31.08.1998

Mach dir dein eigenes Bild. Ein kleiner Satz mit großem pädagogischem Auftrag könnte als Leitfaden für das Werk der Amerikaner von Tool stehen. Passend dazu – oder schon überinterpretiert? – das einfallsreiche Artwork des neuen Albums „Aenima“: Aus drei Motiven können die Hörer eigenständig ihr bevorzugtes Bild auswählen und sich von cleveren Animations-Effekten optisch täuschen lassen. Mit drei Alternativen liegen Tool schon deutlich über dem in Politik, Medien und Kultur üblichen US-Durchschnitt. Ihre individuelle Ästhetik umrahmt ein höchst komplexes, fast 80minütiges Album, das sich gegen eine Mainstream-Kultur stellt, die – inhaltsleer, aber dafür grellbunt – dem Diktat der Leichtverdaulichkeit folgt. Da paßt es ins Bild, daß auf dem Vorgänger-Album von 1993 Henry Rollins, der Chef-Ideologe der Alternative Nation, zum Gast-Mikro griff. „Undertow“ hieß die Platte. Der Titel bezeichnet Gegenströmungen unter der Wasseroberfläche, die geradliniges Navigieren erschweren. Zu Rollins läßt sich noch mindestens eine weitere Verbindung herstellen: Der Glaube an kathartische Effekte ist beiden zu eigen. In ihrer Musik zwar weitaus differenzierter und weniger brachial, konzentrieren sich auch Tool auf Düsternis und Aggression. Auch sie bauen auf die Reinigung der Seele durch deren dramatisches Auskotzen.

Im Zentrum dieses Aktes steht der von Melancholie dominierte Gesang James Maynard Keenans und die metallisch verzerrte, oft ins Endlose verhallte Gitarre von Adam Jones. Neben energischen und doch wehklagenden Rock-Songs, Industrial-Ausbrüchen oder experimentellen Interludien („Die Eier von Satan“) sorgen perkussiv gestaltete, ruhige Parts für Assoziationen in Richtung Art-Rock. Mitverantwortlich dafür war Produzent Dave Botrill, der auf seiner Referenz-Liste Namen wie Beter Gabriel, King Crimson oder David Sylvian führt.

Der Kopf steht also mindestens gleichberechtigt neben dem Bauch, wenn man nach den Quellen Toolscher Musik sucht. Dem Kopf geschuldet zu sein scheint auch der Booklet-Text: „Believe in nothing“ steht da beispielsweise. Denn der Glaube nimmt dem Geist die Freiheit zum Denken. Und ein Geist, der nicht denkt, ist klinisch tot. Den vorangegangenen medizinischen Bericht über Narkotika und Betäubungszustände hat der Hobby-Hermeneutiker ohnehin schon als Symbol für die (konsu)mentale Starre ausgedeutet.