VA – Sweet Soul Music 1961-65 :: Fünf Compilations mit den großen Soul-Songs der Ära

Stellen Sie sich mal vor, Sie kommen in eine kleine Bar, in einer netten Ecke von Harlem, die noch nicht überrannt wurde von den Sturmtruppen der Gentrifizierung. Und in dieser kleinen Bar — einfache, aber geschmackvolle Einrichtung, Gäste aus der afro-amerikanischen Nachbarschaft, keine jungen Hipster, eher normale reife Leute mit Stil – steht eine alte Rock-Ola-Jukebox. Ein magischer Kasten, dessen Inhalt Abend für Abend eine Zeit zurückholt, in der Pop noch kein Klingelton aus der Fernsehwerbung war. Wo 2:09 Minuten völlig ausreichten, um 16-Jährige in Ekstase zu versetzen und obendrein noch ein neugewachsenes schwarzes Selbstbewusstsein zu artikulieren.

Die Compilation-Reihe „Sweet Soul Music“ ist so eine magische Jukebox. Es handelt sich dabei um das Nachfolge-Projekt der preisgekrönten Reihe „Blowin‘ The Fuse“ eine opulente Dokumentation der Geschichte des i zwischen 1945 bis i960.

„Sweet Soul Music“ nimmt den Faden 1961 wieder auf und zeigt auf geplanten zehn CDs (eine für jedes Jahr), wie im Lauf der Sechziger aus Rhythm & Blues der Soul entstand. Die ersten fünf Alben zeigen, dass man auf dieser musikalischen Reise auf nichts verzichten muss: 80-seitige Booklets, mit vielen Fotos und detaillierten Texten zu jedem einzelnen Song; dazu eine Spieldauer von meist 80 Minuten, was bis zu 31 Stücke pro CD ermöglicht. Und was für Stücke! Vom 1961 veröffentlichten „The Watussi“ der Vibrations, bis zu „Rescue Me“ von Fontella Bass, 1965 ein Riesenhit für das Chess-Label.

Jede CD ist in einer groben chronologischen Reihenfolge gehalten, wobei man sich eher am Veröffentlichungstermin orientiert als am Chart-Höhepunkt. In der Regel gibt es von jedem Künstler nur einen Song pro Jahr, und wann immer Stereo-Aufnahmen verfügbar waren, wurden sie den meist in Mono veröffentlichten Original-Singles vorgezogen. Auf ein paar große Namen, etwa Sam Cooke und Ray Charles, musste aus lizenzrechtlichen Gründen verzichtet werden. Aber solche Stars sind auf Dutzenden von Re-Releases und Compilations ohnehin sehr präsent. Songs wie Arthur Alexanders „You Better Move On“ zeigen dafür sehr schön, wo britische Bands wie die Rolling Stones damals ihren Most geholt haben. Dave „Cool Daddy“ Booth, der Compiler der „Beautiful Soul Music“-Reihe, hat auch darauf geachtet, dass große Labels wie Motown und Atlantic nicht zu sehr überrepräsentiert werden.

Zu den 150 Songs der ersten fünf „Sweet Soul Music“-Alben lässt sich im Rahmen einer Plattenkritik wenig sagen. Aus der Sicht unserer heutigen Format-Pop-Welt ist es immer wieder erstaunlich, wie vielfältig Rfe?B und Soul in den Sechzigern klangen. Was hat die rhythmisch akzentuierte James-Brown-Variation des nicht totzukriegenden „Night Train“ mit dem zuckersüßen „Soldier Boy“ der Girl-Gpoup The Shirelles zu tun? Nichts, außer: tolle schwarze Musik!

Es ist genau diese Heterogenität, diese Jukebox-Anmutung, die einen enormen Reiz ausmachen. Weil Widersprüche und Unterschiede nicht glatt gebügelt werden, entstehen Neugier und Entdeckerlust. Ein Beispiel aus dem Jahr 1964: Tommy Tuckers „Hi-Heel Sneakers“ kommt auf einem deftig gradlinigen Shuffle-Beat angerollt, während die Temptations im folgenden „The Way You Do The Things You Do“ einen Metaphern-gespickten Smokey-Robinson-Song elegant ins Ohr treiben. Betty Everetts „The Shoop Shoop Song (It’s In His Kiss)“, der danach kommt, ist dann einer dieser offensichtlichen Hits, bei denen vielleicht ein paar Northern-Soul-Fans und übertrainierte Kenner verächtlich mit der Nase schnauben mögen: zu bekannt, zu abgenudelt! Na und?

Man findet auf der 64er-CD auch die Supremes mit „Where Did Our Love Go“ und unmittelbar davor das „Under The Boardwalk“ der Drifters. Ob man das jetzt cool oder uncool findet, muss jeder selbst entscheiden — großartige Klassiker, die zu Recht hier einen Platz gefunden haben, sind es allemal.

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