Weltlings Sommerfrische :: von Sten Nadolny

Nicht immer bedarf es eines Fluxkompensators, um sich in die Vergangenheit zu beamen – und zurück in die Zukunft. Gerade wenn Bestsellerautor Sten Nadolny („Die Entdeckung der Langsamkeit“) eine Zeitreise wagt. Ein Unwetter auf dem Chiemsee reicht da völlig, um den pensionierten Richter Wilhelm Weitling Schiffbruch erleiden zu lassen und ihn ins Jahr 1958 zurückzuspülen.

Als Geist steckt er fortan im Körper seines Alter Egos, des 16-jährigen Willys; „Jugendarrest“ nennt er das. Leider kann er nicht riechen: „Was ich vermisse, ist der Geruch des Plattenspielers, er roch am Ende der Musikabende immer nach warmen Lötzinn.“ Dafür guckt er Willy bei der „Dämonen“-Lektüre, dem Latein-Unterricht und beim Onanieren zu. Unverfänglicher ist das Radiohören, als ihn der „My Way“-Texter denken lässt: „Ausgerechnet ‚You are my destiny‘ von Paul Anka! Ja, der Junge ist mein Schicksal, auch wenn ich ihn wieder verlassen sollte, aus ihm wird das, was ich schon gewesen bin, oder aber etwas anderes.“ Auf ebenso märchenhafte Weise kehrt Weitling zurück in die Gegenwart, findet sich indes als ein anderer wieder: Er ist kein Jurist mehr, sondern Schriftsteller, „Spezialist für die Neuformulierung von Binsenweisheiten“, und das mit leicht erweiterten Familienverhältnissen.

Nadolnys Novelle spielt mit den Konjunktiven und Indikativen des Lebens, ist verkappte Autobiografie und befördert den Leser – dank der altmodischen, gleichwohl niemals kitschigen Sprache – zu den unwiederbringlich verloren geglaubten Leseerfahrungen der Jugend. (Piper, 19,99 Euro) Philipp Haibach

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