Wolfgang Herrndorf :: Arbeit und Struktur
Über keinen Text ist in den vergangenen Jahren wohl mehr geschrieben worden als über Wolfgang Herrndorfs Blog „Arbeit und Struktur“. Dort beschrieb der im August 2013 verstorbene Autor sein Leben nach der Hirntumor-Diagnose. Vor seiner Krankheit war er ein extrem langsamer Autor gewesen, hatte oft monatelang über einem Satz brüten können, den Tod vor Augen beschleunigte er sein Schreibtempo um ein Vielfaches. Er rang sich insgesamt drei Romane ab – die zwei bereits erschienenen gehören zum Besten, was die deutschsprachige Literatur in den vergangenen Jahren hervorgebracht hat. Als der erste, „Tschick“, 2011 an Kritiker verschickt wurde, nutzte der Verlag Herrndorfs Blog ohne vorherige Absprache mit dem Autor zu Werbezwecken. Plötzlich war sein privates, eigentlich nur für Freunde gedachtes Schreiben öffentlich. Der Roman wurde zum Bestseller, das irre „Sand“ folgte nach und wurde ebenfalls ein Erfolg. Doch „Arbeit und Struktur“ dürfte Herrndorfs meistgelesenes Werk sein.
„Ich erfinde nichts, ist alles, was ich sagen kann“, beschreibt er seine Methode. „Ich sammle, ich ordne, ich lasse aus. Im Überschwang spontaner Selbstdramatisierung erkennbar falsch und ungenau Beschriebenes wird oft erst im Nachhinein neu beschrieben.“ Die Schilderungen seiner manischen Episoden sind so beklemmend und brillant wie vergleichbare Passagen bei David Foster Wallace. Die lakonischen Schilderungen des Alltags, der Lektüren und gesehenen Filme, seiner Träume und seiner Erinnerungen an die flüchtigen Momente des Glücks sind von einer tiefen, warmen Melancholie durchzogen, die wie ein Gegenentwurf zur verbitterten Schwermut des Ich-Erzählers aus seinem autobiografischen Roman „In Plüschgewittern“ von 2002 erscheint. Fast beiläufig nennt Herrndorf die Namen der Verstorbenen jener Zeit – Amy Winehouse, Gunter Sachs, Almut Klotz, Jakob Arjouni –, so als würde er sie erkennen, wie sie vor ihm über die Straße gehen. Dann, mit letzter Kraft, ging er ihnen nach. Aus freiem Willen. Und hinterließ eine Geschichte, die davon handelt, wie einer das Glück sucht und den Tod findet. Dieser Text, der vom Leben erzählt, nicht vom Sterben, ist Anfang Dezember als Buch erschienen. Wolfgang Herrndorfs Herz schlägt nun in unseren Händen weiter. (Rowohlt, 19,95 Euro)