Rock am Ring 2015: Konfetti und Sturm – der Freitag

In seinem 30. Jahr findet Rock am Ring erstmals nicht mehr auf dem Nürburgring, sondern im zirka 30 Kilometer entfernten Mendig in der Eifel statt. Diskussionen über den Ortswechsel gab es im Vorfeld viele, doch am Freitagmittag ist von eventuellen Zweifeln des Publikums so gut wie nichts mehr zu spüren.

Mendig? Läuft!

„New York, Rio, Mendig“ steht auf einem Banner am Haupteingang – und in der Tat hat sich die Kleinstadt für den Ansturm der 90.000 Besucher bestens herausgeputzt. In jedem Schaufenster werden die Rockfans begrüßt, an jeder Ecke hängen Fahnen oder aufblasbare E-Gitarren aus Plastik. Ein klein wenig erinnert das Spektakel an Wacken, das sich einmal im Jahr für ein langes Wochenende in einen Metaller-Himmel verwandelt.

Auch auf dem Festivalgelände ist die Stimmung gut und von dem vermeintlichen Chaos wegen zu wenig Zeltplätze nicht mehr viel zu spüren. Das mag zum einen daran liegen, dass die ersten Besucher bereits seit Dienstag vor Ort sind, zum anderen sorgt sicherlich das fantastische Wetter und die Vorfreude auf den Programmbeginn für Ausgelassenheit.

Um 14 Uhr eröffnen die Donots das Festival mit einem kraftvollen Auftakt: bei „Ich mach nicht mehr mit“ von ihrem aktuellen, ersten deutschsprachigen Album „Karacho“, sitzen gleich drei Drummer auf der Bühne. Neben Heike Erwig trommeln Vom Ritchie der Toten Hosen und Flo Weber der Sportfreunde Stiller mit und kreieren so zu Beginn ein wahres Donnerwerk. Es sei „eine wahre Ehre“, Rock am Ring eröffnen zu dürfen, betont Donots-Frontmann Ingo Knollmann mehrmals. Das merkt man ihrer leidenschaftlichen Bühnenpräsenz auch an. Ein gelungener Auftakt zum Tanzen und Mitgröhlen – Stichwort „We’re Not Gonna Take It“, im Original von Twisted Sister, wird natürlich auch dargeboten.

Bad Religion und ihr kalifornisches Flair

Die Crater Stage nebenan wird eine Stunde später von TÜSN eingeweiht, die den elektronischen Synth-Pop von Depeche Mode mit deutschen Texten verbindet – leider klingt vieles von ihnen nicht nach gutem Live-Sound, sondern nach Musik vom Band. Da verlassen sich Bad Religion mehr auf ihre Handarbeit. Die Punker aus Los Angeles überzeugen mit melodischen und kraftvollen Nummern, die größtenteils von ihrem letzen Album „True North“ sowie dem Klassiker „Suffer“ von 1988 stammen. Dank seines Charismas gelingt es Sänger Greg Graffin ganz hervorragend, die bissigen, politischen und sozialkritischen Texte herüberzubringen. So vergleicht er das Wetter in Mendig – mittlerweile sind es um die 30 Grad im Schatten – mit dem in Kalifornien. „Vielleicht sollte jemand ein Stück über die globale Erwärmung schreiben. Oh, Moment – das haben wir ja schon getan“, kündigt er etwa schelmisch „Kyoto Now“ an. Eine überragende Darbietung der älteren Herren – exakt sowie druckvoll gespielt und dadurch äußerst mitreißend.

Jamie T indessen, der Indie-Rapper aus Wimbledon, scheint kein Festivalact zu sein. Seine bekanntesten Nummern, etwa „Sticks And Stones“ vom gleichnamigen Album, spielt er früh im Set, doch der Funke springt erst spät über. Schade, denn der Musiker mit britischem Akzent und seine Band legen sich ziemlich ins Zeug. Deutlich besser kommt da die Berliner Band Mighty Oaks an, die mit ihren Folknummern zum entspannten Mitsingen und Zuhören einladen. Nach dem abschließenden „Driftwood Seat“, bei dem Frontmann Ian Hooper zur Mandoline greift, schallen sogar einige „Zugabe“-Rufe aus dem Publikum.

Tocotronic und die universelle Kraft der Musik

Der Auftritt von Tocotronic schließt sich daran an. Optisch gibt sich die Hamburger Band geschlossen – die erste Reihe tritt komplett in Grafic-T-Shirts auf, Sänger Dirk von Lowtzow gar im hellpinken Fanoutfit vom Disney-Animationsfilm „Frozen“ -, klanglich hat sie jedoch mit einigen Problemen zu kämpfen. Vor allem Gitarrist Rick McPhail schickt wiederholt hochfrequente, ekelhaft klingende Rückkopplungen ins Publikum. Von Lowtzow scheint dies während des Gigs gar nicht mitzubekommen, gibt sich künstlerisch und sehr prätentiös, obwohl die Songs, die mit verzerrten und anderweitig verfremdeten Gitarrensounds zugekleistert werden, dies nur bedingt rechtfertigen. Nach abschließendem Klanggewitter, in dem so etwas wie die universelle Kraft der Musik heraufbeschworen werden soll, ist dann nach einer knappen Stunde ihr leider nicht überzeugendes Set zu Ende.

Die Toten Hosen bringen neun Zugaben

Ein Glücksgriff ist definitiv die Kombination Rise Against und Die Toten Hosen, die am ersten Tag als Headliner das Programm der Volcano Stage beschließen. Der Hardcore aus Chicago, Illionois, bei dem es zu wilden Moshpits kommt, und der deutschsprachige Punkrock aus Düsseldorf begeistern Zehntausende, von denen die meisten in der prallen Sonne schwitzen und trotzdem ausgelassen mitfeiern. Die Toten Hosen schaffen es, mit vielen Klassikern und neun (!) Zugaben, zu begeistern. Zwar fragt man sich nach der Sinnhaftigkeit, „The Passenger“ von Iggy Pop zu covern – doch sobald Campino das wunderschöne „Nur zu Besuch“ anstimmt, ist selbst das verziehen. Und Stücke wie „Alles aus Liebe“ oder „Eisgekühlter Bommerlunder“ funktionieren auf einem Festival eigentlich immer. Zum finalen Abschluss zum Fußballhymnen-Klassiker „You’ll Never Walk Alone“ gibt’s schließlich Konfetti und XXL-Luftschlangen, die im mittlerweile kühlen Nachtwind davon wehen.

Manson muss sich verarzten lassen

Etwas kruder mutet da schon die Kombination auf der Crater Stage an. Nach dem deutschen Balladen-Poet Clueso steht der Schockrocker Marilyn Manson auf dem Programm. Doch auch diese Paarung funktioniert, dank eines unvoreingenommenen Publikums, bestens. So tanzen zu „Chicago“ und „Gewinner“ schwarz gekleidete, wie Manson geschminkte Fans, die in der ersten Reihe auf Brian Warner und seine Band warten. Ein skurriles, aber herzerwärmendes Bild und ein gutes Beispiel sowohl für das eklektische Line-Up, als auch für die Offenheit der Festivalbesucher.

Marilyn Manson liefert schließlich eine beeindruckende Show ab, wechselt alle zwei Songs sein Mikro, bespringt Kameramänner und kraxelt wie betrunken auf der Bühne herum. Jedoch auch bei ihm bleiben Pannen nicht aus – nachdem er sich bei „No Reflection“ selbst mit einer Scherbe einer Bierflasche ritzt, klappt das mit dem Verbinden der Wunde nicht, wie es soll, sodass Manson erstmal hinter die Bühne muss, um sich verarzten zu lassen. Sowieso scheinen die Pausen zwischen den Stücken mit zunehmender Konzertdauer immer länger zu werden. Das Publikum stört’s nicht, sie rufen trotzdem nach dem Selbstdarsteller, als wäre er ein erfolgreicher Torjäger auf dem Fußballplatz.

Während Mansons Auftritt spielt das Wetter dann verrückt: wie auf Bestellung beginnt der Regen – hagelkorngroße Tropfen fallen vom Himmel. Manson mag es, tituliert sich selbst kurzerhand als Meister über die Gezeiten. „Wenn ihr nach Hause geht, werdet ihr dann sagen, Marilyn Manson hat es regnen lassen?“ Später, vor „The Beautiful People“, grübelt er darüber, ob es mittlerweile schon schneit. Genau das passiert dann auch bei der wunderbaren Zugabe „Coma White“ – allerdings dank wirkungsvollem Showeffekt. Mansons kümmert nicht und ändert frank und frei den Text ab. „Who let it rain?“, singt er, während im Nachthimmel hinter der Bühne die Blitze zucken.

Schließlich ist wegen des Gewitters vorzeitig Schluss. Das DJ-Set von Fritz Kalkbrenner muss von Veranstalter Marek Lieberberg vorzeitig abgebrochen werden.

Die Polizei wird am Samstag 27 Verletzte melden, sechs davon haben sich sogar schwer verletzt. (Die Feuerwehr Mendig hat ein Angehörigen-Telefon eingerichtet: 02652/6029143.)

Das Festival soll jedoch weiterhin wie geplant stattfinden. Zu wünschen wäre es zumindest, dass alles reibungslos funktioniert, nach diesem fantastischen und stilistisch sehr abwechslungsreichen ersten Festivaltag.

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