Rock’n’Roll-Mehrtürer

Vergessen Sie Grönemeyer und Wir sind Helden. Die Platte mit den meisten Hits hat in diesem Jahr die Kölner Band Erdmöbel. Zwölf Stücke vom (Pop-)Himmel

Nachdem die Erdmöbel schon 2003 auf „Altes Gasthaus Love“ den schwebenden Pop entdeckt hatten, wunderte es einen nicht, als sie sich auf dem Nachfolger „Für die nicht wissen wie“ an die Klassiker wagten und Burt Bacharachs „Close To You“ und Henri Mancinis „Nothing To Lose“ immergrün in die deutsche Sprache überführten. Im letzten Jahr, kurz vor Weihnachten, gingen die vier Kölner mit ihrer Liebe zur leichten Muse noch einen Schritt weiter, kratzten Whams „Last Christmas“ den Zuckerguss ab und versahen es mit einer bitteren Orangenfüllung.

Das Chartsfutter hat ihnen so gut geschmeckt, dass sie auf ihrem neuen Album gleich zwölf internationale „No. 1 Hits’in Erdmöbel-Sprache übersetzten. Sänger und Texter Markus Berges, Produzent, Arrangeur und Bassist Ekimas, Keyboarder Wolfgang Proppe und Schlagzeuger Christian Wübben erläutern ihre Arbeit als Coverkünstler an einigen Beispielen.

„WHAT’S NEW, PUSSYCAT“

Tom Jones (deutscher Titel: „Was geht, Muschikatz“) Berges: Dass das wieder eine Bacharach-Nummer war… Ekimas: …haben wir gar nicht gewusst. Wir wollten das Stück machen, weil ich die spontane Idee hatte, wie man den Refrain übersetzen könnte (lacht). Und da hab ich gleich zwei Tabus gebrochen. Nämlich einmal Jugendsprache zu verwenden und das Wort „Muschi“ in einem deutschen Text zu benutzen. Berges: Der Titel „Was geht, Muschikatz“ ist schon wieder so absurd, dass er zusammen mit der Musik gut funktioniert. Ist doch ein schönes Motto für einen Abend, an dem ein Mann und eine Frau zusammen einen draufmachen. Da ist ja nicht von Sex die Rede, sondern nur vom Küssen – und darauf läuft es ja letztlich auch hinaus. Ekimas: Auch Tom Jones hat natürlich gewusst, dass „pussy“ noch was anderes heißt, da kann man sicher sein.

„SMELLS LIKE TEEN SPIRIT“

Nirvana („Riecht wie Teen Spirit“) Berges: Die Märtyrergeschichten, zu denen sich solche Poplegenden immer entwickeln, sind nicht gerade angenehm bei der Arbeit. Und dieser fremdartige, depressive Text zieht seine Schmissigkeit eigentlich nur aus der Aggression der Musik. Aber die habe ich ja beim Texten nicht gehabt. Genauso wie mir die Geschichte, die dieser Song mitschleppt, abging. Halt dieses Märtyrer-Ding. Ekimas: Ach, Märtyrer! (lacht) Ich habe die ganze Zeit „Mehrtürer“ verstanden, wie beim Auto! Wir wollen mit der Legende nichts zu tun haben. Ich finde nicht, dass der Rock’n’Roll-Heldentod irgendwas Tolles ist. Die armen Kerle, denke ich immer nur. Berges: Dieser Song war uns extrem wichtig. Auch weil wir natürlich wissen, dass es für viele ein Sakrilegist. Zusammen mit „Muschikatz“ eröffnet er gleich zu Beginn den gesamten Horizont der Platte.

„UP AND DOWN“

Vengaboys („Auf und Ab“) Ekimas: Ich hatte das Video damals gesehen, und ich wusste, es ist ein Aerobic-Song. Markus: Ich habe mir immer vorgestellt, das Lied würde vom Auf und Ab des Lebens handeln. Ekimas: Dieses Stück hätte es fast nicht geschafft, weil wir unglaublichen Ärger mit Christian bekommen haben. Der hatte keinen Bock. Wübben: Es ging nicht um Bock, es ging um Geschmack. Mir gefiel das Stück nicht. Wenn wir’s live spielen, lieb ich das mittlerweile auch. Aber auf CD… Ekimas: Wir haben keine Note verändert und auch das Arrangement so gelassen, weil wir das Original perfekt finden.

Berges: Es ist für mich befreiend, mal einen wirklich guten Song zu spielen, der mit nur drei Wörtern Text auskommt. Das ist wirklich nah dran an einem „Lied über gar nichts“ (Songtitel auf „Für die nicht wissen wie“).

Ekimas: Die Vengaboys haben die Freigabe des Songs dreimal verweigert. Aber wir haben so lange gequengelt, bis wir eine Antwort bekommen haben – die uns doch ziemlich verwunderte: „Wir wollen doch, dass ihr das spielt, aber wenn ihr ein Video macht, lasst darin einen Vengaboy auftreten, der sichtbare Qualen erleidet.“

„ALONE AGAIN, NATURALLY“

Gilbert O’Sullivan („wieder allein, natürlich“) Ekimas: Gilbert O’Sullivan war schon Anfang der 70er Jahre Oma-Musik, Easy-Listening. Und dann kommt der mit so einem todtraurigen Text… Berges: Das Original ist textlich ziemlich over the top. Das musste ich für mich schon ein bisschen runterbrechen. Aber zwei Dinge mussten drinbleiben: Weinerlichkeit und Selbstmitleid. Was ja eigentlich beides scheiße ist. Aber in einem Song kann man das schon sein. Und der O’Sullivan, der traut sich das wie Sau.

„DAS MODELL“

Kraftwerk Ekimas: Wir wollten unbedingt ein deutsches Lied machen. Eine deutsche Nummer eins. Aber da hat man keine Auswahl, das ist wirklich furchtbar. „Ententanz“, Vader Abraham, DJ Ötzi… Dann fanden wir heraus, dass die englische Version eines Stücks von Kraftwerk in den britischen Charts war, weil es mal die Titelmusik von einem Film war. Proppe: Sie schaffen es, die 80er Jahre in einem Reim zusammenzufassen: „Sekt“ – „korrekt“. Ekimas: Die eigene Sozialisation musste bei dieser Auswahl außen vor bleiben. Die Indie-Sachen, die man in den Achtzigern gehört hat, waren nie Top 10. Keiner dieser Songs war ein Lieblingslied. Berges: Naja eins schon. „Up And Down“!

NON-ALBUM BONUS-TRACK: „MAGGIE MAY“ Rod Stewart Ekimas: Wir hatten ein tolles Playback, aber als Markus das gesungen hat, klang’s wie Marius Müller-Westernhagen. Diese Form von Rock’n’Roll-artigem Geschichtenerzählen ist ekelhaft, das ging gar nicht. Berges: Das ging für uns nicht, bei Rod Stewart ist es ja schön. Wir könnten mal drüber nachdenken, was genau der Unterschied ist zwischen Rod Stewart und Marius Müller-Westernhagen.

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