Rockröhren und Bibelbuben: Mumford & Sons in Bern

Rock ist Sex. Allerdings ist die ritualisierte Verzückung ebenso Routine, wie die uninspirierte Konversation mit dem Publikum ("Wie geht's?"). Mumford & Sons und Deap Valley live in Bern.

Derzeit wird Europa von einem in jeder Hinsicht gemischten Doppel heimgesucht: Deap Vally, das Garage-Powerduo aus Los Angeles, bestreitet zur Zeit das Vorprogramm von Mumford & Sons. Blues-Sirenen als Aufheizer für Melancholiker mit Schrummelgitarre und Banjo? Diese Kombination bespielt Mitte März jedenfalls eine ausverkaufte Festhalle in Bern.

Gleich zu Beginn die Kampfansage von Lindsey Troy und  Julie Edwards alias Deap Vally: Die Krawallschwestern überfordern sichtlich mit „Baby I Call Hell“ eine Mehrheit der 7.000 Teens und Twens in Hipster-Montur. Zumindest in den vordersten Reihen geht nach zwei Songs die Post ab. Wie vom Teufel besessen jault, krächzt, knurrt sich Troy mit beeindruckender Stimmgewalt durch das Set, Edwards schuftet hinter den Kesseln. Im Zentrum steht nicht Virtuosität, sondern Attitüde, und deren Formel ist simpel: Rock ist Sex. Im krassen Kontrast dazu die Ansagen in zuckersüßem Cali-Girl-Akzent: „Eure Schokolade ist superlecker und ihr habt tolle Joggingstrecken.“

Diszipliniertes Büßen für sündige Exzesse? Wie war das nochmals mit Rock’n’Roll? Egal, es muss weitergelärmt werden. So überlassen Deap Valley nach einem teuflischen „I Put a Spell On You“ (das ist es genau, was sie getan haben!) die johlende Halle den Bibelbuben, damit die ihren Exorzismus betreiben.

Ihre Tage der mühsamen Bekehrungsarbeit haben die Jungs um Marcus Mumford längst hinter sich. Damals mit Gitarre und Banjo losgezogen um die Conditio Humana zu beklagen, in diesem Jahr mit einem Grammy für das „beste Album“ dekoriert, tragen sie die Ernte ein. Und die wird in überdimensionierten nächtlichen Festen der befreiten Seelen gefeiert. Geradezu religiös mutet die Hingabe des Publikums an. Der Anfangzwanziger mit James-Dean-Frisur lauscht selig wippend mit geschlossenen Augen der Folk-Predigt, der beinharte Biker in Lederweste und mit Totenkopf-Ohrring kennt sämtliche Texte auswendig.

Handwerklich ist das Ganze einwandfrei, das jahrelange Touren hört man der Band an. Allerdings ist die ritualisierte Verzückung ebenso Routine wie die uninspirierte Konversation mit dem Publikum („Wie geht’s?“). Die Dynamik, die ihr Debüt so unwiderstehlich machte, ist der Band live genauso abhanden gekommen, wie beim Songwriting zum Zweitling. In einem Meer von Zuversicht und Hoffnung ersäuft bisweilen die Vielseitigkeit.

Ein unheilvoller Effekt des überwältigenden Erfolgs? Für magische Momente sorgen jedenfalls namentlich Songs vom Debüt „Sigh No More“; unbestrittener Höhepunkt ist ein makelloses „Thistle and Weeds“, welches – auf Hallenvolumen angeschwollen –  gegenüber der Aufnahme gar an Kraft gewinnt. Kurz darauf wird „Roll Away Your Stone“ zur Country-Party mit stampfenden Füßen und „Yeehaw!“-Rufen. Aufgemotzt wird das Ganze durch ein imposantes Lichtdesign, welches von Sonnenaufgang über Sternennacht bis zur Kompletterleuchtung alle Stimmungen beherrscht.

Doch das war’s dann auch schon mit großen Gesten, die Jungs sind sympathisch bescheiden geblieben. Passend auch, dass am selben Abend das demütige Debüt von Papst Franziskus I. stattfand, der erstmals  – allerdings open air – seinen Schäfchen erstmals erschien. Ein wahrlich andächtiges Datum.

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