ROLLING STONE Roadshow – München Elserhalle

Die Rolling Stone Roadshow brachte Feinde zusammen und Mädchen zum Mitsingen

Leute, das war kein Zuckerschlecken und schon gar kein Betriebsausflug. Mütter sperrten die Töchter ein, als die Roadshow in die Stadt kam, aber die Töchter befreiten sich irgendwie und kamen doch. Raststättenbetreiber zwischen Hamburg und München bebten vor Angst, wenn die einschüchternden Kerle von Keane an die Theke traten und unwirsch Kaugummi verlangten. Und die Dogs, die jungen, in letzter Sekunde zum Tross gestoßenen Krähenschädel aus London, brandschatzten nachts in den lokalen Vergnügungsvierteln und verschlangen alle Bier- und Frauenvorräte bis zum Letzten.

Das mit den Dogs stimmt sogar fast Sie sehen am ungesündesten aus, als die ROLLING STTONE Roadshow München erreicht, der vierte Tag. Der day off war gestern, Keane haben ihn für eine Blitzreise nach Madrid benutzt, um Interviews zu geben und eine TV-Show zu spielen. Trotzdem sind sie pünktlich in der Elserhalle – erst in allerletzter Sekunde kommen mit quietschenden Reifen die Dogs, mal wieder. Als einzige ohne Nightliner, im Kleinbus über die Autobahn. „Die haben nicht mal ein Navigationssystem“, höhnt einer aus der Crew, „die haben Landkarten.“

Es war ja auch so: Am Sonntag fand die Roadshow-Eröffnung in Köln statt, und nur drei Tage davor wussten die Dogs noch nicht einmal, dass sie dabei sein würden. Am Donnerstagmorgen kam die definitive Absage von Razorlight, dann musste die Suche nach Ersatz schnell gehen. Keane-Keyboarder Tim Rice-Oxley erzählt, sie hätten Razorlight-Johnny nur eine Woche vorher bei den „Q“-Awards getroffen, und schon da habe die Stimme krank geklungen. Wir hatten schon gedacht, der Hallodri habe sich von Mutter eine Entschuldigung fälschen lassen.

Um Missverständnisse zu vermeiden, haben die Hallenleute erlaubt, das rote Transparent zumindest hochzuklappen – auf dem wirbt „Radio Gong“ für seine „Ü30-Party“. Dies ist das unrock’n’rolligste Viertel von München (und das heißt einiges), die Abfüll-Abschlepp-Discobuden des Kunstpark Ost sind um die Ecke, doch in der Elserhalle startet der Saalmischer Punkt sieben die Berieselungs-CD: Johnny Cash. Ein feiner Herr im Anzug flaniert durch die Halle – der Monitor-Roadie von Keane, der sich vor jeder Show aufsehenerregend die Nägel feilt. Beim Backstage-Catering haben Soundtrack Of Our Lives die Bierbänke besetzt, schreiben auf ihren Laptops schwedischsprachige E-Mails. Der dicke Sänger Ebbot Lundberg habe sich – erzählt ein sichtbar verstörter Tour-Begleiter – vor dem Köln-Auftritt dreimal Pudding geholt. Die Dogs gehen zurück in die Garderobe, wo Bier steht „Als wir hörten, dass Keane dabei sind, war unsere erste Reaktion: No way, machen wir nicht“, sagt Sänger John-Paul Cooke. Keine persönliche Abneigung, sondern Angst vor Spott und Rufschädigung: Unter Londoner Design-Punks gelten die zärtlichen Keane als das Letzte. Und der tabellarische Lebenslauf der Dogs ist bisher makellos, aus Cambridge und Leeds in die Metropole gezogen, Proberaum unter der Bethnal-Green-Eisenbahnbrücke, Vertrag bekommen, weil ein A&R 15 Minuten zu früh zum Konzert der Band Glitterati kam, das die Dogs eröffneten. Der Manager konnte sie offenbar schnell überreden, doch mit auf die Roadshow zu kommen. Ihre ersten fünf Konzerte außerhalb Englands. Möglich, dass einige Zuschauer mit oberflächlichen Razorlight-Kenntnissen überhaupt nicht merken, dass eine andere Band auf der Bühne steht Uberpünktlich um zehn vor acht schlägt Gitarrist Rikki das erste Riff an, die Dogs müssen sich nicht anwärmen. „We’re headin‘ for an early grave!“ bellt John-Paul Cooke, sehnig und ausgehungert klingt die Musik, so waren The Clash am Anfang. Die härteste Band ab Einstieg, langsam füllt sich die Halle, die Britpop-Frisuren im Saal rufen schon jetzt nach Zugaben.

An Soundtrack Of Our Lives spalten sich wie immer die Meinungen: Bei den ruhigen, Doors-artig georgelten Stellen und den Gitarrensoli rollen viele genervt mit den Augen. Die Soundtracks fuhren eine griechische Tragödie auf, die Prog-Rock-Tragödie, und man merkt, wie sehr sie das Material verehren – so sehr, dass sie sich eng an die Original-Inszenierung halten. Ebbot singt fantastisch, die Band rockt wie im Burggraben, die Melodien sind feierliche Fanfaren. Man kann sich berauschen daran.

Und so sehr alle auf Keane und ihrem Klavier rumhacken: Die attraktivsten Leute sind wegen ihnen gekommen, Zweier-Kuschel-Konstellationen und hübsche Einzelgänger. „Vor einem Jahr waren wir schon mal hier“, sagt Tom Chaplin an, „als Support von Starsailor.“ Es ist zum Wundern, wie groß die kleine Band geworden ist, ohne körperlich zu wachsen. Die blauen Scheinwerfer, die von hinten strahlen (typisch für alle Coldplay-artjgen Bands), reichen weit in den Saal hinein – die Musik glüht wohlig, ein Mädchen macht die Augen zu, kippt den Kopf zurück und singt mit: „If only I don’t bend and break, I’ll meet you on the other side.“ Auf der anderen Seite, im Kunstpark Ost, sind die Dogs sicher schon vom Hof gejagt worden.

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