ROLLING STONE wird 20. Unsere Helden, Teil 7: Thom Yorke

Wir werden 20! Und starten mit einer Serie ins Jubiläumsjahr – über 20 Helden, die uns in den vergangenen 20 Jahren wichtig waren. Teil sieben: Thom Yorke. Ein Porträt von Torsten Groß

In der Sekunde, nach der  die Welt eine andere werden sollte, saß ich gerade in einem Café am Schlesischen Tor in Berlin. Es war etwa Viertel vor drei, Flug AAL11 schlug in den Nordturm des World Trade Centers ein, und ich bestellte einen Cappuccino. Die Stärkung diente der Vorbereitung auf einen lange herbeigesehnten Termin: Zum ersten Mal würde ich am Abend endlich Radiohead live sehen können, jene Band, die ich viele Jahre zuvor einmal spät in der Nacht auf MTV entdeckt und die zuletzt drei grandios-wahnwitzige Meisterwerke in Folge veröffentlicht hatte.

Als wir gegen halb sechs die Freilichtbühne an der Wuhlheide erreichten, regnete es, und die mit 18.000 Zuschauern ausverkaufte Arena war wie leer gefegt. Voller wurde es erst wenige Minuten bevor Thom Yorke die Bühne betrat. Die Stimmung blieb indes verhalten. Ich wippte im Takt und sang ein bisschen mit, was mir verächtliche Blicke von allen Seiten einbrachte. Man hielt mich, den vermutlich einzigen Menschen auf dem Gelände, der nichts von den Anschlägen mitbekommen hatte, wohl für pietätlos. Vor „Paranoid Android“ erzählte Yorke schließlich von den Flugzeugen. Eine Ansage, die so surreal erschien wie das ganze Stück. Weshalb ich tatsächlich erst nach dem Konzert erfuhr, was geschehen war. Man hatte ja damals noch keine Smartphones!

Später hätte ich Thom Yorke gern gefragt, warum Radiohead das Konzert nicht einfach abgesagt hatten. Doch der gab kaum Interviews. Radiohead ereiferten sich in den folgenden Jahren über Bush, revolutionierten Pop-Rezeption und -Vertrieb und verloren sich in zahlreichen Nebenprojekten. Entwicklungen, die im ROLLING STONE begleitet und kommentiert wurden, mangels eigener Interviewmöglichkeiten aber meist mittels Artikeln, die aus der US-Ausgabe übernommen wurden.

Doch auch mit den Kollegen sprach der zunehmend als biestig wahrgenommene Sänger nur selten. Und so dauerte es einige Jahre, bis ich Thom Yorke tatsächlich gegenübersaß. Inzwischen bei einer anderen Zeitschrift tätig, traf ich ihn gemeinsam mit Nigel Godrich in London. Endlich beantwortete er an jenem Tag auch meine Wuhlheide-Frage: Der Bühnenaufbau sei zu weit fortgeschritten gewesen, um das Konzert ohne Weiteres abzusagen. Außerdem sei ihm der Auftritt als willkommene Ablenkung erschienen: Die halbe Crew und die Band hätten die ganze Zeit vergeblich versucht, Freunde und Angehörige in New York zu erreichen. Vergessen habe er jenen Abend nie.

Cover 2

Rezensionen 10

Sterne 40,5

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