Rostock statt Woodstock

Es war natürlich wieder Bono, der die großen Worte nicht scheute: „Ich habe Woodstock vepasst, Rostock werde ich nicht verpassen“, gab der U2-Sänger zu Protokoll, wahrscheinlich wohlwissend, dass der Vergleich hinkt. In Woodstock gab es gar keinen Zaun, in Heiligendamm einen meterhohen. Die G8-Politiker, die im „Kempinski Grand Hotel“ tagten, mussten geschützt werden, also zogen die musikalischen Demonstranten nach Rostock um, 40 Kilometer außer Sichtweite. „Deine Stimme gegen Armut“ – Merkel, Putin, Bush, und wie die anderen alle heißen, konnten sie nur per Fernseher hören.

In der ARD wurde am 7. Juni unter dem Motto „Grönemeyers Rock-Gipfel“ übertragen, das klang irgendwie nicht seriös. Das Konzert war nicht als Demonstration angemeldet worden, deshalb wurden 80 000 Superbilligtickets verkauft, und dafür durfte man dann auch sogenannte „P8“-Bands sehen, also Musiker aus den acht ärmsten Ländern der Welt. Das hatte Bob Geldof aus „Live 8“ gelernt: Es nützt nichts, wenn du nur Gutes für Afrika tun willst, du musst auch Afrikaner einladen, sonst sieht das komisch aus und Journalisten beschweren sich. Die Fantastischen Vier kamen trotzdem besser an als Bangla oder Bassekou Kouyate. „Ernten, was wir säen“ bekam hier eine neue Bedeutung, obwohl im Rückblick möglicherweise „Du mich auch“ besser gepasst hätte.

Es kam, wie es kommen musste: Die Wichtigen tagten, die Berühmten protestierten, und dann machten diese doch einfach Dienst nach Vorschrift, was jene nicht verhindern konnten. Am Ende waren alle enttäuscht. Grönemeyer sang in Rostock „Mensch“, unterstützt von Bono, dessen Deutsch-Versuche nicht zu verstehen waren, wohl aber sein „Keep the promise!“ Es ging um eine Erhöhung der Entwicklungshilfe um 50 Milliarden Dollar, die zwei Jahre zuvor in Gleneagles bereits versprochen worden war. Im Grunde ist es schon armselig, dass das alles ist, was man wollte: dass Politiker einmal tun, was sie längst zugesagt haben. Grönemeyer wollte der Kanzlerin ihre „Taschenspielertricks“ nicht durchgehen lassen, er rief: „Frau Merkel, merk dir das“ – wir müssten jetzt beweisen, „ob wir Schwätzer sind oder zu unserem Wort stehen“. Merkel war nicht beeindruckt. Sie schätze Bono und Geldof, schwätzte sie in die eine oder andere Kamera, aber sich von ein paar dahergelaufenen Rockstars Integrität aufzwingen lassen? Geht gar nicht. „Der Protest war präzise, auf den Punkt“, betont Grönemeyer noch heute – nur die Politiker waren es leider nicht. Plötzlich fallen einem wieder Geldofs schönste Zeilen aus dem großen Song der Gleichgültigkeit ein: „I don’t care if the Third World fries/ It’s hotter there, I’m not surprised.“ Die starren Gesichter von Merkel und Putin, das dümmliche Grinsen Bushs – warum sollten die sich kümmern? Wenn Rostock irgendeine Ähnlichkeit mit Woodstock aufwies, dann nur diese: Mit dem Großteil der Welt hatte es leider nichts zu tun. „When I fight authority, authority always wins“, sang John Cougar einst, doch bei aller Resignation lautete sein Fazit: „I’ve come out grinning.“ Zumindest hat man’s versucht, zumindest ist man laut gewesen, zumindest drang ein bisschen Wut und Verzweiflung über den Zaun und zu den Strandkörben, wenn auch nicht bis in die Hirne und bestimmt nicht in die Herzen. Die Einzigen, die wieder mal gar nichts zu lachen haben, leben weit weg.

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