Rupert Everett: Der beste Freund

Mit Hollywood hat Rupert Everett fast abgeschlossen. Seine freimütige Autobiografie erklärt, warum.

Der lausige Novembertag beginnt nicht gut für Rupert Everett. Beim „Morgenmagazin“ des ZDF hatte er offensichtlich wenig Spaß, und nun ist auch noch sein Handy weg. Im Taxi liegengelassen. Seit vier Jahren ist ihm das nicht mehr passiert, seufzt er, und muss zugeben, dass er wieder den Fehler gemacht hat, alle wichtigen Daten dort zu speichern. „Ich muss mir dann immer mein Leben komplett neu aufbauen“, behauptet er. Zum Trost isst er erst mal eine Banane. Mit seinem verwaschenen Shirt und dem gepflegten Vier-Tages-Bart sieht der Schauspieler nicht wie 50 aus, doch seine Autobiografie, die jetzt auch auf Deutsch erschienen ist, enthält so viele spannende Geschichten, dass es für mindestens drei Leben reicht.

„Rote Teppiche und andere Bananenschalen“ (Kiepenheuer) hat er das Werk genannt. Er schont sich darin nicht, berichtet von Miseren und Misserfolgen, von gefährlichen Reisen und noch gefährlicheren Freizeitak-tivitäten. Gewitzt erzählt er von Liebschaften mit Paula Yates und Beatrice Dalle, von prägenden Begegnungen mit Madonna und Orson Welles. Niemals gemein, selten banal. Seine einzige Regel hieß: nichts über Menschen, die er nicht mag. „Es ist zu leicht, nur morbide, hinterhältige Geschichten zu schreiben. Ich wollte etwas Romantischeres, Spaßigeres.“ So entschied sich der Mann, der sich so oft über den Hochmut Hollywoods, die Homophobie und Bigotterie allerorten beschwerte, dazu, sein Privatleben zu offenbaren und sich damit noch mehr der Öffentlichkeit auszusetzen. Widerspruch oder blanker Trotz? Eine Annäherung an einen komplexen Charakter – anhand einiger Zitate aus seinem Buch.

„Je mehr Zeit verstreicht nach dem Augenblick des Triumphs, desto mehr verliert er an Wert.“
Als Everett 1997 mit Julia Roberts in „Die Hochzeit meines besten Freundes“ spielte und 2000 mit Madonna in „Ein Freund zum Verlieben“, schien es, als stünde dem Briten eine große Hollywood-Karriere bevor. „Ich hatte eine Weile Erfolg – und alle stellten mir nur Fragen zum Schwulsein. Dann beschwerten sich alle, dass ich immer nur übers Schwulsein rede. Ich konnte nicht gewinnen. Wer ausweicht, ist langweilig. Wer antwortet, nervt.“

„Hollywood bügelt unausweichlich sämtliche Falten in der Seele eines Schauspielers aus.“
Ob das Everetts Hemmschuh war: dass er sich nicht so vereinnahmen ließ? Die Antwort kommt postwendend: „Nein. Mein Hauptproblem ist, dass ich schwul bin. Deshalb werde ich nie ein Superstar wie Tom Cruise werden. Vielleicht auch, weil ich untalentiert bin, doch das kommt an zweiter Stelle.“

Hollywood vermisst er nicht – „bis auf das Geld“. Immer nur der schwule Kumpel zu sein, war ihm auf Dauer zu langweilig. „Aber es nützt ja nichts, wütend zu sein. Schauspielern ist wie Glücksspiel. Man hat kein Recht, dies oder jede Rolle zu gewinnen. Alle Schauspieler haben eine Achillesferse, die sie aufhält – schiefe Nasen, kleiner Wuchs, was auch immer. Meine ist eben anders gelagert.“

„Schauspieler können sich schneller durch ein Drehbuch fressen als ein ganzes Termitenvolk durch eine Pappwand.“

„Das stimmt. Wir wissen sofort, wie viel Raum unsere Rolle einnehmen wird, was ja der entscheidende Punkt ist“, behauptet Everett. Inzwischen haben sich seine Interessen allerdings verlagert – er hat gerade zwei eigene Drehbücher geschrieben, die er verfilmt sehen will. „Das ist mein großer Traum. Das erste handelt von den letzten drei Jahren im Leben von Oscar Wilde. Das zweite ist eine Art Fantasy-Geschichte über meine Zeit als Teenager in Paris.“

„In Hollywood im Gespräch zu bleiben ist ein strapaziöser Job, der mehr an den Kräften zehrt als die Arbeit an einem Film.“

Everett hasst Preisverleihungen und Galas, obwohl er im Frack stets gut aussieht. „Andere Künstler ansagen, Preise übergeben – dabei wirkt man immer hirntot. Auch, weil sie einem so schlechte Witze vorschreiben. All diese Award-Shows sind sowieso absurd. Wenn ich von oben auf die Menschheit schauen würde – God help God! -, dann müsste ich mich doch fragen: Wie lächerlich sind wir, dass wir uns dauernd gegenseitig auszeichnen müssen? Wie eitel können wir noch werden?“

Ein bisschen seltsam wirkt diese Einschätzung von einem Mann, der doch auch mal Model war und offensichtlich immer noch viel Wert auf sein Äußeres legt. „Die große Lektion, die mir das Schauspielern erteilt hat, ist, dass es mir gezeigt hat, wie fragil das menschliche Ego ist. Man ist nur, was andere von einem halten. Leider wird man mit dem Alter neurotischer und will Stabilität. Schauspielern ist toll für 18-Jährige, aber das Problem ist, dass man es machen muss, bis man 75 ist.“

Er denkt kurz nach. „Ich habe ja Glück, dass ich immer Arbeit fand und keine Kinder oder drei Frauen hatte. Sonst wäre ich sicher ärmer als jetzt. Und in mancher Hinsicht vielleicht reicher. Aber zumindest hat der Geldautomat nie meine Karte gefressen.“ Er klopft zur Sicherheit auf den Holztisch.

„Es ist schon seltsam, dass Amerika nur von der sicheren Warte der Cartoons zur Selbstbetrachtung bereit ist und sich einen Spiegel vorhalten lässt.“

Die Stimme des Prince Charming in „Shrek“ war Everetts letzte große Rolle. Eine, die er besonders liebt. „Zeichentrickfilme sind heute oft realer als richtige Filme. Das ist wie mit dieser Gesetzeslücke, die es einem erlaubt, eine Droge wie GHB (eine Art flüssiges Ecstasy) im Internet zu verkaufen. Trickfilme standen nie unter denselben Zwängen und so unter der Beobachtung rigider Bosse. Sie haben die Kreativen einfach machen lassen, das führte zu weit, und jetzt sind sie nicht mehr aufzuhalten, ,South Park‘, ,Family Guy‘ und so weiter. Sehr subversiv… Wäre ich noch einmal jung, würde ich es wohl bevorzugen, an Trickfilmen zu arbeiten – oder im Anzeigengeschäft. Ich finde es brillant, wenn Leute sich einen kleinen Slogan ausdenken, aus dem dann ein Riesending wird – wie diese Nike-Typen. Faszinierend.“

„Ein Fremder zu sein kann sich als wahre Freude erweisen.“

Es gibt kaum ein Land, das Everett noch nicht bereist hat. Eine Zeitlang lebte er in Paris, und vor kurzem wollte er noch nach Berlin umsiedeln – eine Idee, die sich zerschlagen hat, weil die Freunde, bei denen er einziehen wollte, es sich anders überlegten. Der Brite kommt mit erstaunlich wenig Nationalstolz aus. „Sollen wir nicht alle so sein?“, fragt er mit hochgezogenen Augenbrauen. „Die meisten Menschen sind so retro. Ich versuche einfach zu tun, was von mir verlangt wird. Erst hieß es: Sei Europäer! Aber keiner wollte Europäer sein. Dann hieß es: Sei global! Aber keiner wollte global sein. Während sich alle zurückzogen, habe ich diese Ideen verinnerlicht. Mich fasziniert die Welt.“ Momentan lebt er in London, doch die Stadt ist ihm auf Dauer „zu teuer und langweilig“.

Momentan ist Everett allerdings sowieso viel unterwegs, für diverse BBC-Dokumentationen. Vor kurzem reiste er im Auftrag des Fernsehsenders auf den Spuren von Lord Byron um die Welt, als nächstes steht eine Reihe über „Städte der Vergangenheit und der Zukunft“ an. Rupert Everett wird nach Jerusalem und Rom fliegen, nach Lagos und Mumbai. Und versuchen, der BBC ein neues Konzept abzuringen. „Was erfolgreich war, wird zu Tode wiederholt“, so laufe es momentan, nörgelt er. „Wer etwas Neues ausprobieren will, ist wie ein Lachs, der gegen den Strom schwimmt. Sehr anstrengend. Und nur wenige kommen überhaupt durch.“

Rupert Everett ist wild entschlossen, einer von ihnen zu sein. Weder Bananenschalen noch Spießbürger sollen ihn aufhalten.

Birgit Fuss

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