Sachertorten from outer Space

Wien tanzt zu den Sounds von DJs wie Kruder & Dorfmeister - und bald die ganze Welt? Eine Definitionssuche zwischen TripHop, Ambient und Drum & Bass

Der Qlub-Sound des Jahres 96 bedient sich bei allem – von Drum & Bass und TripHop, Dub und Electro. Eine Handvoll Wiener Discjockeys und Musiker würzte ihn mit Feingefühl. „Servus“, sagten die Etiketten auf den kartonweise gestapelten Weinflaschen. Doch es grüßte kaum jemand zurück. Noch 1995, wie in den Jahren zuvor, war auf der Musikmesse der Stand mit dem Charme von Ostblock-Reisebüros ein Exklusiv-Treff für einige Patrioten. Ringsum mochte das Business branden – hier ging es gemütlicher zu.

Wen es dagegen in diesem August an den Österreicher-Stand der JPop-Komm“ verschlug, fand ihn belagert von Journalisten, Promotion-Damen und Labelmanagern aus aller Herren Länder. Allesamt waren sie angetanzt, um der hippsten Namen dieser Messe angesichtig zu werden: Pulsinger & Tunakan sowie Kruder & Dorfmeister. Doch die Insider-Favoriten, die hier DJ-Sets zum „Servus“-Spritzer servierten, blieben so gelassen, wie es einen original bedroom rocker aus Wien ansteht „Ist schon ein bißchen übertrieben, was da abgeht international“, gab Richard Dorfmeister zu Protokoll „Aber dieser Hype macht uns auch nicht sonderlich nervös. Wir ziehen unser Ding durch wie gehabt.“ Dasselbe Bild dann wenige Tage später beim Auswärtsspiel im Hamburger Mojo-Club:K&D&P&T als Publikumsmagneten. Menschenmassen eingeschweißt in den coolsten Grooves des Jahres. Eine Stil- & Genre-Rätselrally – quer durch den Gemüsegarten.

TripHop? Dub? Bectro? Und nun noch Drum & Bass?

Wiewohl sich die Klientel bis zum heutigen Tag nicht auf einen Namen für diesen Stoff einigen mochte, erwies sich das Zeug jedoch als hochgradig infektiös. In diesem Sommer gab es kaum ein Clubbing, Grillfest und Liegestuhl-Happening, das nicht mit diskret-futuristischen Sounds a la mode verbrämt worden wäre. So enervierend das Stakkato – war das jetzt Drum & Bass, ein Jazzrock-Derivat oder instrumentaler HipHop, oh Schutzgöttin der feinen Unterscheidungen!? – in manchem Ohr widerhallte, so abstrus und abwegig und abseits aller „four to the floor“-Funktionalität diese „Musik aus der TripHopbythek für Trickybrettfahrer“ (Copyright: Krombacher MC) bisweilen klingen mochte – zweifellos war man mittendrin. Im Geschehen. Ein Spielball in dem ewigen Malstrom unserer Populärkultur.

Nearly God. Natürlich lächeln die Hardcore-Insider gnädig, kommt man ihnen heute mit Trip Hop daher. Und jungle, Mensch!, wurde längst durch this years model Drum & Bass ersetzt. Wie man es schließlich schafft, diese beiden diagonal eingepflanzten Eckstangen des Spannungsfeldes „Moderne Tanzmusik“ zusammenzubiegen, bleibt das Betriebsgeheimnis schlecht sortierter Plattengeschäfte. Und von guten Discjockeys.

Kruder & Dorfmeister zählen zu den besten. Wenn man sich etwa die süperbe „DJ Kicks“-Mixtur, erschienen beim Berliner K7-Label, zu Gemüte führt, wird die Arbeitsweise des Produzentenduos deutlich. Die Plattensammlung ist die Ausgangsbasis. Vor allem im Livebetrieb macht die Bestückung des imaginären Fließbandes, die Abstimmung und Abfolge einzelner Tracks die Atmosphäre und Qualität eines sets aus. Im Studio ermöglicht der Sampler eine weitergehende Sezierung ihres Materials, wie unter einem Mikroskop. Legostein auf Legostein und Schicht um Schicht wird dann ein Gebäude aus Patterns, Breaks und reichlich ornamentalem Schnickschnack auf ein tragfähiges Rhythmus-Fundament gesetzt. Purer Eklektizismus. Was zählt, sind Fingerspitzengefühl und Stilsicherheit.

Goldie, einer der Säulenheiligen des TripHop (ein wenig geschätztes Etikett, das die langsameren Spielarten allerdings ziemlich auf den Punkt bringt), nennt es „to flick around with beats“. Übersetzt soll das bedeuten: Die Breakbeats drehen und wenden, sie durch das Mischpult jagen und immer wieder umstülpen, bis sie den ultimativen Kick haben. Der ehemalige Friseur Peter Kruder & Richard Dorfmeister, sogar firm im Gebrauch von Konzertgitarre und Querflöte, brachten 1993 den Stein mit einer EP in Kleinstauflage ins Rollen. Und der Londoner Acid Jazz-Papst Gilles Peterson erwies sich mit seinen Radioshows und DJ-Sets ab probater Durchlauferhitzer. Was folgte, waren Remixaufträge von Bomb The Bass bis Alex Reece. Seit Jahresfrist basteln K&D an ihrem ersten eigenen Album (Arbeitstitel: „Pink Floyd„). Die lukrativen Nebenjobs ermöglichen dafür langwierige, entspannte Filigran-Bastelarbeit.

Zwei, drei weitere und ideologisch ähnlich orientierte Zellen, die Cheap-Blase rund um Pulsinger & Tunakan, Uptight alias Werner Geier & Rodney Hunter, Mego, Abuse, Swound Park und Spray, machen die Stadt an der Donau zum Epizentrum musikalischer deepness. „Natürlich gibt es einen spezifischen Wiener Sound“, erläutert Erdem Tunakan. „Man erkennt ja auch die Briten sofort.“ Woran sich diese spezielle Note festmachen läßt? „An ihrer Subtilität.“

Zu addieren wäre auch der Freigeist, mit dem die Wiener Tonmanufakturen ihre Spezereien backen. Man könnte es auch Chuzpe nennen. „Die Szene hier ist zu jung“, so Tunakan, „um sich über Definitionen und Grenzziehungen den Kopf zu zerbrechen.“ Diese Scheuklappenlosigkeit der österreichischen Protagonisten macht somit eine Kategorisierung schwierig, wenn nicht unmögich. „Eine Wiener All-Star-Formation wäre natürlich eine sehr witzige Idee, aber ich habe keine Ahnung, wie so was dann klingen würde.“ Patrick Pulsinger, der bei seinen Freestyle-DJ-Sets auch mal eine Modern Talking-B-Seite kreisen läßt, bedauert es, daß die Elektronik-Puzzles aus dem Hause Cheap – unter Namen wie IO, Sluts’n’Strings & 909 oder The Private Lightnig Six – nach wie vor als „Techno“ firmieren, obwohl diese Wiener Soundtüftler mit dem Babe Marusha, Dune und dem Berliner „Love Parade“-Mastermind Dr. Motte soviel zu tun haben wie etwa mit Anton Karas „Der 3. Mann“-Thema. Kruder und Dorfmeister lassen für sich am ehesten noch den Kunstgriff „dubfreejazz“ gelten. Denn die Resultate ihrer Programming-Sessions liegen eher an dem unteren Ende des Beats-per-minute-Spektrums, was an der melancholischen Atmosphäre des Entstehungsorts, vor allem aber am lustvollen Genuß von Rauch-Inhalationsstoffen liegen mag. Aber sie fügen sich prächtig ein ins Bukett der aktuellen „Irgendwie-Dance-Musik“-Definitionen.

Drum & Bass zum Beispiel hat oft den Effekt, so schnell zu sein, daß sich der hypnotische Eindruck eines Stillstands ergibt vergleichbar einem Kreisel in höchster Drehzahl. Vom dunklen, statischen Baßgrollen des Dub und TripHop bis zum heftigen Trommelgewitter braucht es da nur wenige Augenblicke. Und daß seit kurzem gerne weitgreifende Melodielinien und getragene Stimmbögen mit Reform-Jungle unterfüttert werden – man denke dabei an das vormalige Wanderklampfen-Duo Everything But The Girl oder an Nicolette – darf in diesem Kontext durchaus einer Schublade zugeordnet werden. Die Innovatoren Kruder & Dorfmeister, bislang Verfechter der instrumentalen Spielart, haben ebenfalls schon bei Chanteusen angeklopft, so etwa bei der Blues-Diva Dana Gillespie. Ein Anlauf, die Hippie-Hymne „Aquarius“ aus dem Musical „Hair“ in die Neunziger zu hieven (in Kooperation mit einem Wiener Rechtsanwalts-Praktikanten namens Waldeck), erwies sich ab höchst stimmige Zwischenlösung. Text- und Melodie-Fragmente garantieren hier einen gewissen Wiedererkennungswert. Aber um Pop (im Sinne von: populär) zu sein, ist dieses Produkt immer noch zu intelligent.

Und wie soll diese Melange nun heißen? Gibt es einen kleinsten gemeinsamen Nenner? „Nenn es Serious Easy Listening. Nenn es auch New School Abstract Porno Muzak. Nenn es wie Du willst“, setzt Pubinger den Schlußstrich. „Oder nenn‘ es einfach eine Chance für eine neue Hörkultur.“ Groove on!

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