Sam Cooke

Er verband Gospel und Sex, Soul und Pop und sang die Hymne der Bürgerrechtsbewegung. Auf dem Gipfel seines Ruhms wurde er 1964 erschossen.

Cooke war ein Pfarrerssohn. Mit sechs Jahren schon trat er als Gospelprofi mit seinen Geschwistern auf. Und brachte mit 19 als Leadsänger der Soul Stirrers eine ungehörige Portion Sex in die Kirche. Soft und sophisticated, hätte er es wohl auch allein mit seinem Sexappeal geschafft, aber er sang noch besser, als er aussah, schrieb seine Songs selbst, gründete ein eigenes Plattenlabel und wurde nach einer Reihe Nummer-eins-Hits zum Topkünstler von RCA hinter Elvis. Aber trotz allen materiellen Erfolgs: Gegen die Rassentrennung kam auch er nicht an. 1961 weigerte er sich, bei einer nach Hautfarben getrennten Show in Memphis aufzutreten. Bei einer Tour 1963 mußte er in Birmingham/Alabama hilflos zusehen, wie mit Feuerwehrschläuchen und Hunden gegen schwarze Kinder vorgegangen wurde. So entdeckte er den Protest und schrieb sein Meisterstück „A Change Is Gonna Come“. Wir drucken einen Auszug aus Peter Guralnicks neuer Cooke-Biographie „Dream Boogie“.

Der 19jährige Bobby Womack konnte sein Glück kaum fassen: Er würde jeden Abend hinter Sam Cooke auf der Bühne stehen. Die Tournee im Frühjahr ’63 sollte sieben Wochen lang durch 24 US‘ Staaten führen, plus Montreal und Toronto. Sara setzte drei Autos ein: den Cadillac, den Buick-Kombi und einen neuen, maßgefertigten Checker (eine Mischung aus Bus und Limousine mit Platz für neun Leute und deren komplettes Gepäck), den er sich von dem Taxihersteller in Michigan hatte bauen lassen.

Zum Tourprogramm gehörten Johnny Thunder, die Crystals mit ihrem Bad‘-Girl-Image – feuchter Traum aller anderen Tourteilnehmer -, und die rührend unerfahrene Dionne Warwick, die Sam als kleines Mädchen in der Gospelszene kennengelernt hatte. Dazu Solomon Burke – babygesichtig, 120 Kilo schwer und selbsternannter „King Of Rock’n’Soul“ -, die Drifters und Sams alter Freund Dee Clark. Der MC war Gorgeous George, der Bobby faszinierte: „Er sah so gut aus, daß ihn die Mädels rumzerrten wie ein Püppchen. Sam sagte: „He can dress a guy into bad health.'“ Sam holte ihn und Lotsa Poppa in Atlanta ab. Lotsa: „Sam sagte: .Erstens: Ich möchte euch vor allem dabeihaben, weil ihr mich zum Lachen bringt. Zweitens: Ich möchte euch den Arsch versohlen.'“ Es war, sagte Lotsa, „wie eine Familie. Es ging nicht um Geld. Erst mal sollte allen ihre Arbeit Spaß machen. Sie sollten jeden Abend auftreten und das Publikum schlicht umblasen.“

Die Acts der zweiten Reihe und die Musiker reisten zum größten Teil in einem 46sitzigen Greyhound-Bus, die Headliner hatten alle ihr eigenes Auto. Für Bobby, der die Südstaaten zuvor nur mit einer Gospel-Familienband und nur innerhalb der schwarzen Community erlebt hatte, war es ein Riesenerlebnis, nun für ein gemischtes Publikum zu spielen. „Ich erinnere mich besonders an die Fahrten im Bus. Einer stieg aus: „Bleibt ganz entspannt, mal sehen, ob wir was zu essen kriegen.“ Oh, und die Löcher, in denen wir untergebracht waren. Sam meinte: ‚Wißt ihr, mir soll’s recht sein: Ich lebe, wie ich lebe, bin ’ne Weile hier, und danach kann ich ja wieder nach Hause. Die (schwarzen) Leute, die in meine Konzerte kommen, können nicht mal das.‘ Er sagte: „Man kann mit denen (den Weißen) schon abhängen, die lassen dich auch. Solange du ihnen nicht gefährlich wirst.“‚ Machte man allerdings Anstalten – so erklärte er Bobby -, in ihre Welt aufzusteigen, dann schmissen einen nicht nur diese weißen Motherfucker in hohem Bogen raus, sondern dann fragten sich auch die eigenen Leute, ob man sie nicht vielleicht im Stich ließ. „Er sagte: ‚Es ist schon hart – zu wissen, wie die Dinge stehen, und dabei so zu tun, als wäre alles bestens.‘ Sam fühlte sich echt nicht wohl dabei, unter diesen Bedingungen Musik zu machen. Aber wer ein wahrer Schauspieler ist, der spielt die Rolle eben.“

Dionne Warwick, die naive 20jährige mit der seltsamen, fast antiseptisch klassischen Stimme, schien sich weder auf der Bühne noch außerhalb wohlzufühlen. Sie hielt sich vom Rest der Truppe fern, verbarg ihr Unbehagen, nur einmal wagte sie sich auf eine abendliche Party in Sams Zimmer. Aber Sam, der sie ja schon als Kind kannte, empfing sie an der Tür „und eskortierte mich prompt zurück in mein Zimmer“, erinnert sich Dionne. „Das war dann schon der Gipfel meiner Beteiligung an irgendwelchen Aktivitäten. Und an eine Halle erinnere ich mich noch sehr gut – in South Carolina, glaube ich, da war die Bühne in der Mitte, Schwarze auf der einen, Weiße auf der anderen Seite, und ich fragte Sam: ‚Mensch, was tut man da?‘ Er sagte: ‚Man tut, was man tun muß. Das tut man.“‚ An diese spezielle Show erinnert sich jeder anders, auch, was die Location betrifft. Johnny Thunder glaubt, es habe mehr Applaus von der weißen als von der schwarzen Seite gegeben – ein ebenso rätselhafter wie beunruhigender Umstand. Sams Drummer June Gardner meint, die Musik hätte das gesamte Publikum zusammengeschweißt, schwarz wie weiß. Sam jedoch – der die Kollegen seinen Ärger nicht sehen ließ, nur die stets gutgelaunt gelassene Fassade, für die er nun mal bekannt sein wollte – erinnerte sich nur an die Hunde, die Polizeihunde in den Gängen auf der schwarzen Seite, überdeutliches Signal der Behörden, daß sie ihre Nigras unter Kontrolle behalten würden. „Unsere Leute dürfen höchstens brav klatschen“, sagte er zu Bobby, als sie später allein im Auto saßen. „Wenn sie aufstehen und schreien, gehen die Hunde auf sie los. Die Leute wissen doch gar nicht, wie sie sich verhalten sollen. Und dann müssen sie auch noch dableiben, bis alle Weißen draußen sind.“

„Ein mieser Scheiß“, stimmte Bobby zu, ohne das Problem in seiner ganzen Dimension zu erfassen. Rückblickend sagt er, es sei gewesen, „wie auf den Ausbruch eines Krieges zu warten. Sam sagte: ‚Wir sind die Gladiatoren hier draußen.'“ Und dann machte Cooke sich ausnahmsweise Luft: „Ich kann das nicht mehr.“

Sam war der Erfolgsmaßstab für alle. Er war der Coolste. Der Schärfste. Nie sah man die Kehrseite. Er zeigte Thunder seine Lektüre, trank aus kleinen Tassen Beefeater-Gin, und während die anderen ihre Cadillacs und Lincolns fuhren, ließ er sich unterwegs seinen Sportwagen bringen, den schicken kleinen Jaguar XKE. „Wenn einer immer lächelt, dann macht das manche mißtrauisch“, sagte Johnny. „Dann denken sie, der hat was zu verbergen. Aber bei Sam war es einfach nur Warmherzigkeit.“

Beweisen mußte er es aber auf der Bühne. Alles andere hätte nichts bedeutet, wäre Sam im Konzert nicht gut gewesen. „Er konnte wunderbar mit den Leuten umgehen“, sagte Dionne. „Manchmal hatte man fast das Gefühl, er gehört zum Publikum. Es machte ihm so viel Spaß, was er tat. Und das kam als Reaktion zurück.“

Cooke konnte es auch mit den Frauen. Bobby war fasziniert, und wohl auch frustriert: Er bemühte sich ständig, einmal bei einer zu landen – und Sam hatte die freie Wahl. „Einmal müssen es zwölf vor der Badezimmertür gewesen sein, jede ging für fünf Minuten rein und kam dann ‚wieder raus. Als würden sie sich segnen lassen oder sowas.“

Er sah Sam mit weißen Chicks und schwarzen Chicks, mit zwei hübschen blonden Zwillingen… aber die amouröse Operation, an die er sich am lebhaftesten erinnert, hatte weniger mit Lust und mehr mit Wut zu tun: Irgendwo in Texas kam der Programmdirektor eines weißen Radiosenders mit seiner Frau im Motel vorbei. Es war heiß, die Männer tranken, und dem Radiomann wurde etwas schwummrig, also schlug Sam vor, er solle sich doch eine Weile aufs Bett legen. Worauf der Sänger mit der Gattin im Bad verschwand und die Dusche aufdrehte, und dann vögelten die beiden, ohne sich auch nur ganz auszuziehen. Als ihr Mann wieder aufwachte, erzählt Bobby, „da war diese Frau wieder komplett angezogen, als war nichts passiert. Sie sagte: ‚Komm, Baby, wir müssen.‘ Ich dachte: ‚Damn, wie verrückt.‘ Aber Sam – der ärgerte sich, daß diese motherfucker mit ihren Frauen hierherkommen, und die Frauen machen mir schöne Augen, und trotzdem kann ich nicht auf ihrer Seite der Stadt wohnen. Ich muß in dieses Motel.“‚ Wenn sie zu zweit in ihrer Limousine unterwegs waren, redeten Sam und Bobby über alles mögliche. Sam lachte Tränen über Bobbys Stories von dessen Kindheit im Womack-Haushalt in Cleveland, wo man „nichts als Gospel singen durfte. Mein Vater, Mann, den fragst du nach den harten Tatsachen des Lebens – und wenn du aufwachst von dem Schwinger, den er dir verpaßt hat, sagt er: ,Das sind die harten Tatsachen des Lebens.‘ Wir hatten ’nen Fernseher, aber mein Vater nannte ihn ,das einäugige Monster‘. Er sagte immer: .Warum siehst du nur fern? Der weiße Mann hat das erfunden, und während du guckst, raubt er dich aus.“‚ Bobby kam mit den naivsten Fragen: Warum übernachteten sie immer in „Motels“ statt in „Hotels“? Und Sam erklärte es ihm geduldig, erläuterte ihm die Ethymologie des Worts: „Mo-tel“ sei eine Verschlüsselung von „more tail“, bis Bobby wissend nickte und Sam lachend herausplatzte. Er hatte großen Spaß mit Bobby, vielleicht, weil er in ihm sein eigenes jüngeres Selbst sah – zumindest dachte Bobby das manchmal. Vor allem aber beriet Sam ihn gern, gab ihm die Ratschläge, die er selber auch gern bekommen hätte, als er anfing.

Bobby gab sich zum Beispiel viel Mühe mit seinen Haaren, er wollte eine Aufsteiger-Frisur, aber Sam sah’s nur als Ausdruck von Unwissenheit: „Weißt du, wir werden nie zu diesen Leuten gehören. Wir sind und bleiben schwarz. Ich jedenfalls glätte mir die Haare nicht mehr.“ Bobby träumte von einem großen Cadillac, so wie R&B-Sänger Johnnie Morisette einen hatte. Sam und sein Businesspartner und Freund J.W. Alexander lachten darüber. Er solle vor allem den Stift nicht aus der Hand legen, sein Songwriting würde ihm alles ermöglichen, was er wollte. „Sam hatte immer einen Flachmann mit, aus dem er ab und zu nippte“, sagt Bobby. „Er begann Bücher über die Geschichte der Schwarzen zu lesen, davon brachte ihn keiner ab. Er hielt sich nie für etwas Besseres. Fuhr die Straße runter und sah ein paar Cats in einer Gasse beim Zocken, stieg aus und sagte: ,Hey, Mann, was treibt ihr, ich mach ’ne Runde mit.‘ Ich denke: ,Sam wird irgendwann noch umgebracht in so’ner Gasse. Das gehört sich doch nicht. Was will er denn mit diesen Pennern? Aber Sam sagte: ,Mann, ich hatte Onkels und andere Leute, die endeten genauso, weil sie nie ihre Nische fanden, weil sie halt nicht zur Schule gehen konnten oder sonstwas. Die tun dir nichts. Weil sie wissen, daß sie dich fragen können. Da kurbelt man nicht die Fenster hoch und fährt vorbei. Hier komm ich her, und wenn’s mir Angst macht, hierherzukommen, dann hab ich ein Problem.'“

Währenddessen brach die Bürgerrechtsrevolution los. Natürlich gab es die scharfen Polizeihunde in Birmingham, die in den Gängen patrouillierten, um „Rassenvermischung“ oder allzu demonstrativen Jubel seitens der Schwarzen zu unterbinden – aber die Hunde und die Feuerwehrschläuche von Ordnungshüter Eugene „Bull“ Connor richteten sich nicht nur gegen das Saalpublikum. Sondern letztlich gegen die wachsende Macht, die Martin Luther King Jr. mobilisierte, gegen die ganze Opposition, die den sturen Widerstand gegen alle Integration in den Südstaaten brechen wollte.

Sam erklärte: „Wir sind mitten in einer sozialen Revolution, und ganz ohne Gewalt geht das nicht. Auch bei der amerikanischen und der französischen Revolution gab es Gewalt.“ Zunächst jedoch konnte er nichts tun, als gespannt die Nachrichten zu verfolgen, während sie in Raleigh, Richmond, Augusta, Memphis oder Atlanta spielten. Sam hatte Kontakt zu vielen der wichtigen Leute – er kannte Martin Luther King und dessen Vater und Bruder. Wenn er seine Gefühle beschrieb, steckte er immer wieder zwischen Zorn und Verantwortung fest – er witzelte mit Dionne und Thunder, um den Schmerz der Erniedrigung zu mildern, aber Bobby erzählte er von früher, als er mit den Highway QCs, einer Teenage-Gospeltruppe, in Memphis war, nicht älter als Bobby jetzt, „und dann kamen sie und ohrfeigten mich im Park, weil ich schwarz war und da nichts zu suchen hätte.“ Sein Vater hatte ihm beigebracht: Wenn du im Recht bist, gib niemals nach. Aber als Bobby überlegte: „Mann, wenn sich alle Schwarzen Knarren besorgen und zurückschlagen würden…“, erwiderte Sam: „Wir mußten die Gewehre bei ihnen kaufen.“ Zudem glaubte er auch, zusammen mit J.W. einen Weg gefunden zu haben, in der Welt der Weißen operieren zu können. Sie holten sich Respekt auf die einzig gültige Art: als erfolgreiche Geschäftsleute. Das ersparte auch die Selbstanalyse. „Mir egal, was du machst“, sagte Sam zu Bobby, „du kannst dir noch so treu bleiben und noch so fest an das glauben, was du tust – am Ende gilt: Wenn der Fucker kein Geld mit dir verdient, bist du draußen.“

Cassius und Cooke

Sam begann sein Gastspiel im Apollo am 22. November 1963, dem Tag, an dem Präsident Kennedy erschossen wurde. Er war gerade mitten im Finale

der ersten Nachmittagsshow – alle Mitwirkenden stiegen bei der Reprise von „Having A Party“ ein und warfen Konfetti in die Menge -, als Apollo-Besitzer Frank Schiffmann auf die Bühne kam und die deprimierende Nachricht bekanntgab. „Mehrere Frauen im Publikum wurden hysterisch“, berichtete die „Amsterdam News“. „Überall hörte man Schluchzen, von Männern wie von Frauen.“ Schiffmann wollte umgehend das Theater für den Rest des Tages schließen, doch dafür „mußte ich mich mit Sam besprechen. Er wurde ja über einen Teil der Einnahmen bezahlt, deshalb brauchte ich seine Einwilligung. Ich ging also rauf zu seiner Garderobe und formulierte schon Sätze im Kopf, aber bevor ich den Mund aufmachen konnte, sagte er: ‚Ganz ehrlich, mir ist heute nicht nach arbeiten‘, und so schlossen wir das Theater.“

Die schwarze Community war besorgt. Man fürchtete, wie Mahalia Jackson es formulierte, „daß die Neger den Verlust des Mannes, der ihr großer Freund war, doppelt betrauern werden“. Nur der muslimische Schwarzenführer Malcolm X tönte deutlich pietätloser, nachdem er zunächst – gemäß der Order von „Nation-Of-Islam“-Gründer Elijah Muhammad – zehn Tage zu Kennedys Tod geschwiegen hatte. Nach einer sorgsam formulierten Presseerklärung befand er gegenüber Reportern, nach all der Gewalt, die Amerika der Welt schon angetan habe, sei die Ermordung eines US-Präsidenten schlicht selbstverschuldet.

Sam frischte auch seine Bekanntschaft mit Cassius Clay wieder auf, der gerade für den Titelkampf mit Sonny Liston unterschrieben hatte und in der Stadt war, um seine LP „I Am The Greatest“ mit einem Auftritt in der Jack Paar Show“ zu promoten. Cassius wohnte im Hotel Theresa und verbrachte dort viel Zeit mit Malcolm, den er im Lauf der vergangenen Jahre durch seine Beschäftigung mit dem Islam gut kennengelernt hatte. Auch Sam kannte Malcolm schon seit Jahren, seit seinem ersten großen Auftritt im Apollo, und er hatte ihn immer als versierten Redner geschätzt. Malcolms muslimischer Glaube hatte ihn nie groß interessiert, aber jetzt verstand er langsam die tiefere Wahrheit von seiner Botschaft. Schwarzer Stolz und schwarze Selbstbestimmung, das Prinzip des Besitzes und vor allem das Bedürfnis, das eigene Schicksal selbst zu lenken – das waren alles Lektionen, die er schon auf dem Knie seines Vaters gelernt hatte: Begnüge dich nicht mit den Brosamen vom Tisch des weißen Mannes. Lieber aufrecht sterben als auf den Knien leben – dergleichen war die Essenz von Sams persönlicher Philosophie. Und Malcolm gehörte auch nicht zu diesen eindimensionalen Cats, die außer ihren Vorträgen nichts drauf hatten. Hinter dem stählernen Blick erkannte Sam eine Spur Humor, und aus Gesprächen mit Malcolm wußte er, daß der Mann geradeaus denken konnte. Und wie Sam sah eindeutig auch Malcolm im jungen Cassius Clay ein diffuses, von religiösen Instruktionen unabhängiges Potential.

Für den Titelkampf Clay gegen Liston am 25. Februar 1964 in Miami Beach quartierte Sams Manager Allen Klein alle im edlen Hotel Fountainebleu in Miami ein. Als Sam, seine Frau Barbara und J.W. ankamen, hatte Allen schon eingecheckt und war auf seinem Zimmer. Am Empfang wurde Sam mitgeteilt, es hätte – leider, leider – wohl einen Fehler bei den Reservierungen gegeben. Sam sah keinen Grund, das leicht zu nehmen: Wie in Las Vegas beherbergte man auch in Miami ungern Neger. Man bot zwar stolz das beste farbige Entertainment, aber die Entertainer selbst mußten bis vor kurzem immer durch die Hintertür. Sam rief Allen an, und der Manager kam sofort in die Lobby hinunter und veranstaltete einen Riesenwirbel. „Ich rastete völlig aus. Ich schrie sie an: ‚Wißt ihr nicht, was Rassismus ist? Wie könnt ausgerechnet ihr, nach allem, was wir durchgemacht haben, das Gleiche tun?‘ Ich fand das einfach peinlich – ein jüdisches Hotel, jüdisches Personal, und die wollten ihm kein Zimmer geben?“ Allen drohte, er würde in der Lobby campieren, bis das Problem aus der Welt war. Am Ende fand sich doch eine hübsche Suite im zweiten Stock.

Auch Malcolm war in Miami, als persönlicher Gast von Cassius Clay. Allerdings hatte Cassius einen Monat zuvor seinen Übertritt zum Islam bekanntgegeben, und die Öffentlichkeit hatte so heftig reagiert, daß der Boxpromoter drohte, den Kampf abzusagen, wenn Clay nicht jegliche öffentliche Äußerung zu den Black Muslims und jeden sichtbaren Kontakt zu seinem Mentor unterlassen würde. Also hielt sich Malcolm im Abseits.

Immer dasselbe, dachte Sam. Alle wollten sie Cassius Clay als „All-American Boy“ – und wenn das nicht ging, versuchte dieselbe schwarze Bourgeoisie, die sich schon gegen Martin und die Bewegung gestellt hatte, das vor der weißen Welt geheimzuhalten. Scheiß auf die weiße Welt. Clay war ein junger Kerl, der sich nicht aufhalten ließ, der sich aus religiöser Überzeugung einer weithin verpönten Doktrin des schwarzen Separatismus und der Selbstbestimmung verschrieben hatte – der sich aber sein bezwingendes Showtalent und seine gewaltige intellektuelle Neugier bewahrte. Es entging Sam auch nicht, daß diese neue britische Band, die Beatles, als sie zum zweiten ihrer drei phänomenal erfolgreichen Auftritte in der „Ed Sullivan Show“ in Miami ankam, keinen anderen als Cassius Clay in seinem schäbigen Trainingsquartier besuchte. Egal, wie der Kampf ausgehen würde – für Sam bestand kein Zweifel, daß Cassius in der ganzen Welt Furore machen würde, mit seinem Witz, seinem Genius, seiner schieren Willenskraft.

Mit all dem bewaffnet stieg Cassius in den Ring. Er war nervös, wie er später zugab („Allein schon zu wissen, wie hart Liston zuschlagen konnte, machte mir Angst“), und er begann defensiv, duckte sich weg, wich aus, bewegte sich von einer Seite zur anderen. Doch dann ließ er plötzlich beide Arme sinken, und wie nie ein Schwergewichtler vor ihm, mit einer Miene heiteren Selbstvertrauens, begann er zu tanzen. Wenn man sich diese Szene heute ansieht, beeindrucken ihre Anmut und Schönheit immer noch, aber am meisten sagt der Ausdruck in Sonny Listons Gesicht. Ein verblüffter, ein ratloser Blick, der vermuten läßt – sagte Sam später -, daß Cassius den Fight in genau diesem Moment gewann. Als der Kampf vorbei war und Liston sich weigerte, auf die Glocke zur siebten Runde zu reagieren, machte sich Sam auf den Weg zum Ring.

Cassius war mitten in einem Interview mit dem TV-Moderator und Ex-Champion Joe Louis, als er Sam erblickte, der vor Aufregung fast derangiert aussah, die Krawatte fort, das Hemd offen. „Sam Cooke!“ schrie der neue Champion enthusiastisch. „Hey, laßt den Mann rauf.“ Der Moderator tat alles, um weitere Überraschungen zu verhindern („Ich will Gerechtigkeit! Ich will Gerechtigkeit!“ hatte der neue Champion gerade ausgerufen). „Das ist Sam Cooke!“ schreit Cassius. „Wir sehen ihn, wir sehen ihn“, sagt der Moderator, völlig aus der Fassung. Joe, stell Cassius noch eine Frage.“ Aber Cassius bleibt unbeirrbar. „Laßt Sam rein“, fordert er noch einmal, mit derselben Verve, mit der er eben gekämpft hat. „Er ist der größte Rock’n’Roll-Sänger der Welt.“ Sam wird fast in den Ring katapultiert, Cassius fährt sich durch die Haare und legt einen Arm um ihn. „Sam Cooke. Very good friend. Good vocalist“, sagt der Moderator, während Sam und Cassius sich in die Augen sehen. „Wir werden die Welt aufrütteln!“ ruft der Champion noch einmal. „You’re beautiful“. sagt Sam, sein Gesicht ein einziges großes Lächeln.

Change is Gonna Come

Im Frühjahr 1963 hörte Sam Cooke zum ersten Mal „Blowin‘ In The Wind“ vom neuen Dylan-Album, das J.W. Alexander ihm geschenkt hatte. Er war so hingerissen von der Message des Songs und von der Tatsache, daß ein weißer Junge ihn verfaßt hatte, daß er sich – so sagte er J.W. – fast schämte, nicht längst etwas ähnliches gemacht zu haben.

„Ich werde etwas schreiben“, sagte Sam zu J.W. Aber er wußte noch nicht, was.

Ein halbes Jahr später, kurz nach Weihnachten, rief Sam J.W. an und lud ihn zu sich nach Hause ein. Er habe einen Song, den er J.W. vorspielen wolle. Er wisse nicht, wo der Song herkomme, der sei anders als alle, die er je geschrieben hätte.

Er spielte ihn einmal durch, sang den Text leise zur Gitarre. Danach war es einen Moment lang still. J.W. wollte etwas sagen, da begann Sam den Song noch mal von vorn. Jetzt ging er ihn Zeile für Zeile durch, als könnte sein Partner nicht begriffen haben, worum es ging. Oder als müßte er sich – ganz untyptsch – selbst noch mal daran erinnern. Der Song war zugleich persönlicher und politischer, als J.W. hätte erwarten können, ein Song, der einen irgendwie an eine Gospelmelodie erinnerte und doch keinem bestimmten Gospelsong entsprang; einer, in dem die Bürgerrechtsbewegung und Sams eigenes Leben gleichermaßen anklangen. J.W. wußte genau, wo dieses Lied herkam, aber Sam erklärte es ihm trotzdem. Es war beinahe, sagte er staunend, als hätte er den Song im Schlaf erträumt. Das Statement im Titel und im Refrain, „A Change Is Gonna Come“ („It’s been a long time comin/ But I know/ A change is gonna come“), war ein schlichter Glaubenssatz, doch dieser Glaube wurde dann Strophe für Strophe so beschrieben, wie es jeder schwarze Mann und jede schwarze Frau des 20. Jahrhunderts sofort verstehen würde. Wenn Sam sang: „It’s been too hard living/ But I’m afraid to die/ 1 don’t know what’s up there/ Beyond the sky“, dann drückte er damit den Zweifel aus – so erklärte er J.W. -, der ihn befallen hatte, weil er kein Indiz für Gerechtigkeit auf der Welt mehr erkennen konnte. „I go to the movies/ And I go downtown/ Somebody keep telling me/ Don’t hang around“: Das war einfach seine Art, ihr Leben – Memphis, Shreveport, Birmingham – und das Leben aller Afroamerikaner zu dieser Zeit zu beschreiben.

Oder, erklärte J.W., „in der Strophe, wo es heißt: ,I go to my brother and I say ‚Brother, help me, please‘, da meint er das Establishment – und dann sagt er: ,That motherfucker winds up knocking me back down on my knees.‘ Er war sehr aufgeregt, sehr. Und ich auch, ich hab gesagt: Vielleicht verdienen wir damit nicht so viel wie mit manchen anderen Sachen- aber ich finde, das ist einer der besten Songs, die du je geschrieben hast.‘ ‚Ich glaube, mein Daddy wird stolz sein‘, sagte er. Und ich sagte: ‚Das glaube ich auch, Sam.“‚ Fast einen Monat lang ging Sam nicht mit dem neuen Song ins Studio. Er hatte ihn seinem langjährigen Arrangeur Rene Hall ohne genauere Instruktionen gegeben – Hall sollte ihm nur einfach die Instrumentierunggeben, die er erforderte. Rene zweifelte keinen Moment, daß dieser Auftrag ein besonderer war. „Ich wollte das größte Ding meines Lebens draus machen – ich investierte sehr viel Zeit, viele Ideen, die ich immer wieder änderte und umarrangierte. Schließlich ging’s um einen Künstler, für den ich nie irgendwas ganz nach meinem eigenen Konzept gemacht hatte. Es war der erste, und wenn ich mich recht erinnere, auch der einzige Song, bei dem Sam sagte: ‚Hier, den überlasse ich dir.'“

Rene arrangierte wie für eine große Filmmusik, mit einer symphonischen Ouvertüre für Streicher, Pauke und Horn, separaten Sätzen für jede derersten drei Strophen (im ersten dominiert die Rhythmussektion, dann die Streicher, dann die Bläser), einer dramatischen Kombination aus Pauke und Streichern für die Bridge („I go to my brother and I say, ‚Brother, help me, please'“) und ein abschließendes Crescendo, das selbst für eine Nationalhymne gepaßt hätte – die Stelle, an der Sam seine Wiederholungen des Refrains („I know a change is gonna come“) auf ein inbrünstiges „Oh, yes it is“ ausdehnt, die Geigen schimmern, die Pauke donnert und die Hörner die unterschwellige Botschaft von Hoffnung und Glauben leise punktieren.

Alle Mittel waren ganz bewußt eingesetzt. Das Horn, erklärte Rene J.W. – der genauso überrascht war wie Rene, daß Sam diesmal alle Kontrolle abgab – das Horn also gäbe dem ganzen etwas Trauerndes. Ein Orchester zu verwenden, passe zur Würde des Songs. Harold Battiste, Keyboarder der Session, sinnierte: „Wir alle haben eine Vision von dem, was wir sind. Manchmal wollen wir eine bestimmte Vorstellung unbedingt umsetzen. Vielleicht schießen wir übers Ziel hinaus, aber letztlich geht es uns wohl allen um Akzeptanz.“

Alle spielten ihren Part makellos – außer Schlagzeuger John Boudreaux, den der orchestrale Aufwand der Session offenbar so einschüchterte, daß er sagte: „Mann, ich kann nicht da rausgehen und spielen“ und sich weigerte, den Regieraum zu verlassen. Keiner konnte ihn umstimmen. Zum Glück arbeitete Earl Palmer im Studio nebenan, er kam und sprang ein. Kurz darauf erzählte Sam Bobby von dem neuen Song, den er gerade aufgenommen hatte und spielte ihm das Werk im abgedunkelten Musikzimmer seines Hauses vor. Renes Streicherarrangement donnerte aus den riesigen Kinolautsprechern, und Sam erklärte Bobby alles so, wie er es J.W. erklärt hatte. Es lag aber nicht nur Stolz in seiner Stimme. Er klang fast, dachte Bobby, als hätte er eine böse Vorahnung. Sam sagte: „Der Song fiel mir einfach so ein. Ich hab weder am Text noch an sonstwas lange rumgefeilt. Als war der Song von jemand anders. Was hältst du davon, Bob?“

„Es klingt wie der Tod“, sagte Bobby auf seine direkte Art. „Er fragte: ‚Wie meinst du das? Ich sagte: ‚Nein, es klingt nicht wie der Tod, aber irgendwie gruselig, als würde irgendwas passieren. Die Streicher und so, das ist gruselig, als wäre jemand gestorben.'“ Sam nickte finster.

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