Sampeln, Sex & Sleater Kinney
Das kleine Dorf, in dem Thomas Meinecke lebt, verfügt über all jene Merkmale, die man von der lieblichen Endmoränen-Landschaft des Vbralpen-Gebiets erwartet: Fette Wiesen und sanfte Hügel, Zwiebelhaube, Kühe, Maibaum, Traktoren und in der Ferne die Bergketten, bei deren Anblick einem Luis Trenker und Leni Riefenstahl in den Sinn kommen. Bis zum See sind es nur zehn Minuten mit dem Rad. Gemeint ist natürlich der Starnberger See, jenes zuweilen stürmische Gewässer, in dem einst ein Märchenkönig zu Tode kam, und an dessen Gestaden betuchtere Bayern ihre Bootshäuser haben.
Nicht wegen der misthaufenen GemĂĽtlichkeit oder der alpinen Erhabenheit aber sind Meinecke, der sich „immer noch“ einen „Hamburger in Bayern“ nennt, und die KĂĽnstlerin und F.S JC-Bassistin Michaela Melian aufs Land gezogen, sondern schlicht und ergreifend, weil die Wohnungen in der sogenannten Weltstadt mit Herz unerschwinglich teuer sind, zumal Tochter, Kaninchenstall, Plattensammlung, Verstärker, Papierberge, Atelier reichlich Platz beanspruchen. „Ich mag’s hier. Ich staune, wenn ich irgendwelche seltenen Vögel rumfliegen sehe, oder eine Unke sich ins Haus verirrt“, sagt der Radiomoderator, Schriftsteller und Musiker, „aber ich wĂĽrde daraus keine Philosophie machen wollen.“ Nur weil man 30 Autobahnminuten von MĂĽnchen entfernt in einer entrustikalisierten Bauernhaushälfte („Loft mit Porch“) wohnt, muĂź man noch lange kein Landmensch sein.
Nach wie vor verrichtet der Spezialist fĂĽr Popismus den GroĂźteil seiner Arbeit in den Sendestudios, Buchhandlungen, Literaturcafes und Musikclubs deutscher GroĂźstädte. Nach der Lesetour mit dem im Spätsommer erschienenen Roman „Tomboy“ (Suhrkamp, 260 Seiten, 36 Mark) wird Meinecke im Februar mit dem neuen Album „Tel Aviv“ seiner Band F.SJC. auf Achse sein. Diesmal haben sie Surfgitarren, Krautrock, Steeldrums und repetitive elektronische Musik zu ĂĽberwiegend instrumentalen Titeln verarbeitet „Ybr lauter Angst, daĂź man denken könnte, dies sei eine augenzwinkernde Platte des in die 90er Jahre herĂĽbergeretteten Zitaten-Pop, haben wir das Zitat ganz klein gehäckselt – und dadurch ist aus Versehen so etwas wie ein eigener Musikstil erstanden.“
Einen ganz eigenen Bricolage-Stil hat auch der Schriftsteller Meinecke entwickelt Sprödheit statt belangloser Buntheit, eine Jörne Autorenposition“ statt GroĂźkĂĽnstlergestus: Um nicht in die „Falle einer originellen, schöpferischen Schreibe“ zu tappen, hält er sich die Sprache „durch Manierismen auf Armeslänge vom Leibe“. Selbst den mit seinem Schreibstil oft bemĂĽhten DJ-fergleich hält der 43jährige wegen des inflationären Aufleger-Kults fĂĽr gefährlich. Trotzdem kommt man bei „Tomboy“, im Suhrkamp-Verlag schon das zweitbestverkaufte Buch nach Martin Walser, kaum um DJ-Metaphern herum. Mark Twain, D.H. Lawrence, Judith Butler, Ernst Bloch, Jacques Lacan und das Sozialistische Patientenkollektiv werden „gesampelt“ und der altertĂĽmliche Franzose Xavier de Maistre „gepitchshiftet“, also quasi unmerklich und ohne AnfĂĽhrungszeichen oder Quellenverweise in seinen Romantext ĂĽberfĂĽhrt Die BĂĽcher, ĂĽber die er seine Figuren – eine halbamerikanische Studentin, einen Zahnarzthelfer, eine lesbische Doktorandin, eine bisexuelle Tennisspielerin und eine Anti-BASF-Aktivistin – diskutieren läßt, hat der Hobbytheoretiker während der Arbeit am Roman selbst gelesen. „Ich weiĂź beim Schreiben auch nicht mehr als die Figuren, die ich durch die Materie schikke“, sagt Meinecke, „Ich bin wie ein Gebetsfahnchen im Himalayawind.“ In den verwirrenden wie stimulierenden Gesprächen des im Umfeld Heidelbergs angesiedelten Romans geht es um das Geschlechtliche im Sinne der amerikanischen „Gender Studies“. Meinecke ist fasziniert von den „sexy“ Theorien des avancierten Feminismus‘ ä la Donna Haraway und Judith Butler, gerade da sie „auch eine Angelegenheit fĂĽr den Coffee-Table geworden sind“. Dieses Theoretisieren ist fĂĽr den Autor und seine Figuren eine Alltagsbeschäftigung zwischen „abenteuerlichem Denken“, Engagement und Mode. Und so wird in „Tomboy“ viel geredet, gelesen, Bus, Zug und Auto gefahren, werden Platten gehört (Sleater Kinney, Conjoint, Cat Power, RO 70) und Filme geguckt, Kleider probiert und Veranstaltungen besucht – allzuviel Handlung ist Meinecke jedoch suspekt. Der Unterhaltungwert entspringt weniger dem „rudimentären, spannungserzeugenden, quasi eine Notbeleuchtung liefernden Erzählstrukturen“, als den diskursiven Pirouetten jener Denksportlerinnen. „Es ist eine Comedie humaine aus Irrungen und Wirrungen, von denen ich mich nicht ausnehmen wilL“
DaĂź Meinecke nicht so gerne ĂĽber den Dingen steht, hilft auch im dörflichen Dasein. „Die Einheimischen akzeptieren mich“, glaubt der Zugezogene. „Ich kenne den BĂĽrgermeister, der kennt mich. Dies ist eine katholische Gegend; hier wird nicht gehaĂźt“