Schwarze Legende, Gatekeeper und Mordopfer: Leben und Tod von Euronymous

Eine tragischer Mythos aus einer Zeit, in der in Norwegen die Kirchen brannten.

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Er war eine der zentralen Figuren im frühen norwegischen Black Metal, ein Musiker, Labelbetreiber, Plattenladenbesitzer, mehr noch: ein Knotenpunkt der Szene, die er so elitär wie möglich halten wollte. Um wenige Figuren in der Metal-Historie ranken sich so viele Mythen, Meinungen und Theorien wie über Øystein Aarseth alias Euronymous. Bücher, Dokumentationen, Verfilmungen („Lords of Chaos“), Anthologien, Erzählungen und auch einige Interviews und Essays, etwa von seinem Mörder, dem Burzum-Musiker Varg Vikernes,  zeichnen ein oft widersprüchliches Bild über das Leben und den frühen Tod von Aarseth. Wir begeben uns an dieser Stelle zurück in eine Zeit, in der in Norwegen die Kirchen brannten, eine kleine Gruppe von Bands die Metalszene verändern und die zweite Welle des Black Metal heraufbeschwören sollten und junge Menschen tragisch ums Leben kamen.

Euronymous: Seine Kindheit

Es ist nicht allzu viel über die Kindheit von Aarseth bekannt. Øystein Aarseth wurde am 22. März 1968 geboren und war der älteste Sohn von Helge und Inger Aarseth. Er wuchs in bürgerlichen, behüteten Verhältnissen auf und besuchte die Schule in Ski, einer Kleinstadt südlich von Oslo. In seiner Jugend spielte er Violine, bevor er sich später ganz der Gitarre zuwandte. Ebenfalls wird oft erwähnt, dass er bis zu seinem 15. Lebensjahr der Norwegischen Staatskirche angehörte – angesichts seiner bald schon artikulierten, gänzlich konträren Ansichten ein durchaus anmerkenswürdiges biografisches Faktum.

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Der Beginn von Mayhem und Deads Tod

1984 gründete Aarseth gemeinsam mit Bassist Necrobutcher (Jørn Stubberud) und Schlagzeuger Kjetil Manheim jene Band, mit der er den Black Metal nachhaltig prägen sollte: Mayhem. Zunächst nannte er sich Destructor, später änderte er seinen Künstlernamen zu Euronymous – inspiriert vom Dämon Eurynomos. Zwei Jahre später stieß Per Ohlin alias Dead zur Band, ein charismatischer wie selbstzerstörerischer junger Mann. Mayhem bezogen ein abgelegenes Haus in der Nähe von Kråkstad, das als Probenraum und Wohnsitz diente. Das Zusammenleben war jedoch von Spannungen geprägt. Immer wieder soll es zwischen Dead und Aarseth zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen sein, angeblich sogar zu einem Streit, bei dem ein Messer im Spiel war.

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Am 8. April 1991 nahm sich Dead das Leben. Aarseth fand ihn mit aufgeschnittenen Pulsadern und einem Schuss in den Kopf. Aarseth, so erzählt es die Black-Metal-Geschichte, alarmierte nicht sofort die Polizei. Stattdessen fotografierte er die Leiche und soll sich später sogar Knochenstücke genommen haben, um daraus Amulette zu basteln – wieder so ein Mythos. Das Foto von Deads Leiche tauchte später auf dem Mayhem-Bootleg-Live-Album „The Dawn of the Black Hearts“ auf.

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Helvete Records

Aarseth gründete im Jahr 1991 den Plattenladen Helvete in Oslo. Dieser wurde schnell zum Treffpunkt der Black-Metal-Szene – und Aarseth das Bindeglied. Es formierte sich der sogenannte Inner Circle – eine lose Gruppe von Musikern und Sympathisanten, die Euronymous als eine Art Anführerstatus zukommen ließen, auch wenn es hier natürlich verschiedene, teils konträre Sichtweisen gibt. Im Helvete gaben sich Bands wie Burzum, Darkthrone, Emperor und Immortal die Klinke in die Hand. Die Einrichtung war karg, ein Pentagramm und ein verkehrtes Kreuz dominierten den Eingangsbereich. Euronymous war gleichermaßen ein Ermöglicher als auch eine Art Gatekeeper, der unter anderem mit der damals gerade populär werdenden Musikrichtung Death Metal so gar nichts zu tun haben wollte.

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„Alle Trends werden früher oder später sterben, und ich begrüße den Tod der trendigen ‚Death‘-Metaller, die meiner Meinung nach nur Fälschungen sind. Ich denke und hoffe, dass in einem Jahr nur noch die trendigen Leute übrig sind und die anderen wieder zu Disco oder was auch immer sie hörten, bevor sie Morbid Angel „entdeckten“, zurückgekehrt sind“, erklärte er 1991 im Interview mit dem „Slayer“-Fanzine, einem bekannten norwegischen Magazin.

Für ihn hatte Metal etwas Elitäres, wie er betonte:„ Ich würde gerne eine Szene sehen, in der die Musik etwas Grausames und Böses ist, vor dem sich normale Menschen fürchten, und in der die Leute in der Szene alle aussehen wie Hellhammer oder der alte Sarcofago, Stacheln und Ketten regieren! Die Szene muss auch für normale Idioten unerreichbar sein, denn ich denke, sie sollte nur für extreme Menschen sein“.

Kontakt mit Varg Vikernes und die Kirchenverbrennungen

Weil wir bereits den Namen Burzum erwähnt hatten: Die Begegnung mit deren Frontmann und einzigem Mitglied Varg Vikernes alias Count Grishnack sollte Aarseths Schicksal besiegeln. Anfangs war Euronymous begeistert von Vikernes, versprach, dessen Debütalbum Burzum über sein Label Deathlike Silence Productions zu veröffentlichen. Doch es kam schnell zu Streit, dazu gleich mehr.

So richtig bekannt wurde die norwegische Black-Metal-Szene weltweit aber durch eine Serie von Kirchenverbrennungen. Zwischen 1992 und 1996 gingen mehr als 50 historische Kirchen in Flammen auf. Viele dieser Brände wurden dem Umfeld um den Inner Circle zugeschrieben.

Vikernes war eine der Schlüsselfiguren. 1992 soll er an der Brandstiftung der berühmten Fantoft-Stabkirche beteiligt gewesen sein, auch andere Szenemitglieder wurden verdächtigt. Euronymous selbst, so behauptete Vikernes später, habe die Kirchenbrände zwar öffentlich gefeiert und sich in den Vordergrund gespielt. Er sei insgeheim aber eifersüchtig auf den Ruf gewesen, den Vikernes sich damit aufbaute. Euronymous, so Vikernes, wollte die Kontrolle über die Szene behalten – und sah in ihm eine Bedrohung seiner eigenen Stellung.

Euronymous: Streit mit Varg Vikernes

Vikernes fühlte sich hingegen von Aarseth betrogen, warf Euronymous vor, ihm Tantiemen vorzuenthalten und Versprechen nicht einzuhalten. Vikernes wurde immer frustrierter. Auf der anderen Seite, behauptet Vikernes das selbst, soll Euronymous Pläne geschmiedet haben, ihn zu demütigen oder sogar körperlich anzugreifen oder zu töten. Das Misstrauen wuchs, die Eskalationsgefahr ebenso. Bis es am 10. August 1993 zur Katastrophe kam.

Der Mord an Euronymous

An diesem Tag beschloss Varg Vikernes, gemeinsam mit Snorre „Blackthorn“ Ruch die stundenlange Autofahrt von Bergen nach Oslo anzutreten, um Euronymous in dessen Wohnung zu besuchen. Offiziell sollte es um die finale Unterschrift zur Vertragsauflösung zwischen Burzum und Deathlike Silence Productions gehen. Allerdings hatten wohl beide das Gefühl, der andere wolle ihn übergehen, austricksen oder sogar attackieren.

Es kam zum Streit. Vikernes tötete Euronymous mit mehreren Messerstichen. Euronymous, der noch flüchten wollte, brach im Treppenhaus zusammen und starb. Vikernes behauptete später, aus Notwehr gehandelt zu haben. Euronymous starb am 10. August 1993 im Alter von 25 Jahren.

Satanismus, Weltanschauung und Ideologie

Euronymous war eine Zeit lang Mitglied der kommunistischen Jugendorganisation Rød Ungdom, distanzierte sich aber später, weil ihm deren Kurs zu moderat erschien. Er idealisierte autoritäre Regime wie die Sowjetunion unter Stalin, Albanien oder Kambodscha unter den Roten Khmer und wünschte sich eine Rückkehr zu einer düsteren, kontrollierten Gesellschaft. Zeitweise zeigte er Interesse an Marx und Engels und äußerte auch Kritik an der Umweltzerstörung durch den Kapitalismus.

Über seine Ideologie schreiben wollte er aber nicht, wie er im bereits genannten Interview mit dem Fanzine„Slayer“ erklärte. Für ihn musste sich Metal um eines drehen: um den Tod. „Nein, das wird nie passieren. Auch wenn ich in der extremsten kommunistischen Partei hier aktiv bin (Albanien inspiriert), überlasse ich es den Punks, darüber in den Texten zu schreiben. Heutzutage schreiben tonnenweise Bands Texte über „soziales Bewusstsein“ und sie wagen es immer noch, es Death Metal zu nennen. BULLSHIT! Ich spiele in einer Death Metal Band, oder vielleicht sollte man es Black Metal nennen, und das Wichtigste ist der Tod! Bands, die behaupten, Death Metal zu spielen, sich aber nicht mit dem Tod selbst beschäftigen, sind Fakes und können stattdessen Punk spielen“.

Und weiter: „Es ist heute ein großer Trend, völlig normal auszusehen mit diesen verdammten Jogginganzügen und über „wichtige Dinge“ zu singen, und es Death Metal zu nennen. Diese Leute können sterben, sie haben die Szene verraten. Death Metal ist etwas für brutale Menschen, die in der Lage sind zu töten, es ist nichts für idiotische Kinder, die nach der Schule ein lustiges Hobby haben wollen. Ich werde später noch mehr darüber schreiben. Zum Schluss möchte ich nur noch sagen, auch wenn ich mich persönlich sehr gerne mit den großen Werken von Mao, Stalin und so weiter beschäftige. Ich denke, die Band ist viel wichtiger, und Death und Black Metal ist mein Leben.“

Nachwirkung und Vermächtnis

Øystein „Euronymous“ Aarseth blieb auch nach seinem Tod eine der prägendsten Figuren der Black-Metal-Geschichte. Für viele war er derjenige, der dem norwegischen Black Metal seine extreme Ästhetik, seine Radikalität und seine finstere Ideologie gab. Ohne ihn, so sagen manche, wäre die Szene nie das geworden, wofür sie heute bekannt ist. Doch Euronymous bleibt eine ambivalente Figur. Manche verehren ihn als Visionär, andere sehen in ihm einen Manipulator, der sich selbst ins Zentrum stellte und sich mit fremden Federn schmückte. Manche nennen ihn sogar einen Poser. Eines steht jedoch fest: Ohne Øystein Aarseth wäre die Geschichte des norwegischen Black Metal anders verlaufen.

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Øystein Aarseth wurde auf dem Friedhof in Ski beigesetzt. Dort, wo früher der legendäre Plattenladen Helvete stand, befindet sich heute Neseblod Records, der als inoffizieller Nachfolger gilt. Den alten Keller, in dem sich Helvete befand, kann man noch heute besichtigen. An der Wand stehen immer noch in großen Lettern die Worte „Black Metal“. Bis heute pilgern tausende Metal-Fans – oft auch „Blackpacker“ genannt – nach Oslo, um die Schauplätze der norwegischen Black-Metal-Szene zu besuchen und dem Mythos von Euronymous nachzuspüren. Ob Euronymous das gefallen hätte, sei dahingestellt.

JON EEG AFP via Getty Images

Markus Brandstetter schreibt freiberuflich unter anderem für ROLLING STONE. Weitere Artikel und das Autorenprofil gibt es hier.