Sheriff Greens Genesung

Am 18. Oktober 1974 schüttet eine Freundin Al Green kochenden Griesbrei über den nackten Rücken und erschießt sich anschließend selbst. Kurz darauf besucht der "Rolling Stone" den Sänger und erkundigt sich nach den Fortschritten des Genesungsprozesses.

Also, Al Green, wie geht’s dem Rücken? Er lächelt: „Mein Arzt sagt exzellent. Und ich fühl mich gut. Ich bin komplett geheilt – zumindest theoretisch, denn mental ist das noch nicht überwunden. Wenn man so etwas im Fernsehen sieht, etwa in einem Kung-Fu-Film, ist das okay. Aber um zu wissen, wie es ist, wenn man das selbst erlebt, muss man seine Vorstellungskraft schon ziemlich anstrengen.“

Wir sitzen in einer windigen Ecke draußen am Pool des Holiday Inn in Belmont, einer Vorstadt, fünf Minuten entfernt vom Circle Star Theatre, wo Green diese Woche auftritt. Er hat sich eingepackt in einen langen schwarzen Ledermantel mit Schafpelzkragen, ein 2.000-Dollar-Teil, das, wie er sagt, in Israel hergestellt wurde. Jede Menge Schmuck hängt um Greens Hals und glitzert an seinen Händen.

Mit der linken Hand hält er einen Dobermann an der Leine, der jeden Besucher unseres Tischs anbellt oder nach ihm schnappt. Jetzt knurrt der Hund einen Bediensteten an, und Green beruhigt das Tier: „Es ist okay, Roma, ruhig, oookay…“ Er erklärt: „Ich habe Roma nur für vier, fünf Tage. Er wird trainiert von Jim Weaver, dem Typen, der die Hunde für Doberman Gang‘ (ein Film über eine Hundegruppe, die eine Bank überfallen soll. Anm. d. Red.) schult. Das Ganze war eine Idee von der Polizei und von meinen Sicherheitsleuten“, berichtet er und bezieht sich auf den bizarren Anschlag, den eine Freundin am 18. Oktober in Memphis auf ihn verübt hatte. Laut Polizeibericht hatte sie sich erschossen, nachdem sie Al Green zuvor einen Topf kochenden Griesbreis über den nackten Rücken geschüttet hatte.

Green wurde ins Memphis Methodist Hospital eingeliefert, wo ihm ein Spezialist für Hauttransplantationen „drei Teile meiner Haut entfernt hat. Nach elf Tagen war es okay. Sie mussten Haut abnehmen, die nicht ordentlich heilen konnte. Es gab aber keine Verpflanzungen von anderer Haut von meinem Körper. Aber sie haben da ein neues Verfahren. Was ich nun also habe, ist Schweinehaut. Wie gesagt, nach elf Tagen war es okay.“

Nun ist Green also zum Teil Schwein. Er lacht darüber und grunzt vernehmlich: „Oink!“ Später verrät er, dass er Special Deputy Officer des Memphis Sheriff Department sei. „Ich bekam meine Ernennung vor einem Jahr“, berichtet Green, „nach einem entsprechenden Kurs. Sie dachten wohl, dass ich als jemand, der so viel reist, gut daran täte, eine solche Ausbildung zu absolvieren. Außerdem bist du nun mal fit, wenn du Police Officer wirst.“

Bei Mary Woodson, der Frau, die ihn heiraten wollte und ihn dann, als er sie abgewiesen hatte, verletzte und sich selbst tötete, hat ihm das nicht geholfen. In einer offiziellen Erklärung ließ Green noch von seinem Krankenbett aus wissen: „Ich bin wegen ihr und dieser fürchterlichen Tat zutiefst erschüttert – nicht weil sie es mir angetan hat, sondern weil sie ihr eigenes Leben ausgelöscht hat. Ich bete zu Gott, dass er ihr vergeben möge.“ Jetzt fügt er hinzu: „Es war ein sehr drastischer Schritt. Und es war erschreckend zu sehen, wie weit jemand tatsächlich gehen kann, um dir eine solche Botschaft zu übermitteln.“

Mary Woodson, 29, hatte in Madison, New Jersey, gelebt und war plötzlich in Memphis aufgetaucht, um Green zu besuchen. „Es gab ein paar Telefongespräche. Sie und eine Freundin hatten ziemlichen Ärger.“ Green wendet sich an seinen Pressemann, der ebenfalls am Tisch sitzt. „Soll ich wirklich erzählen, was los war?“ Der Journalist, früher selbst Schreiber bei einem Soul-Magazin, rät davon ab (nach Presseberichten hatte das Ganze mit einer Verhaftung wegen Marihuana zu tun). „Ich hab sie rausgeholt, und sie wollten sich mit ihrem Problem nicht mehr auseinandersetzen, was ihr großen Druck bereitet hat. Außerdem wollte sie heiraten. Wie dem auch sei, sie nahm in ihrem Hotel zwölf Pillen und schnitt sich dann mit einem Skalpell die Pulsadern auf.“ Ein mit Green befreundeter Polizist nahm sie bei sich zuhause auf, bis sie wieder genesen sein würde.

„Sie blieb bei ihm, seiner Frau und seinem Sohn,“ sagt Green. „Und dann kam sie rüber ins Studio.“ Green nahm gerade Material für den Film „Mimi“, Curtis Mayfields Adaption von „La Boheme“, auf, in dem der Sänger mitspielt und singt. Nach den Sessions, gegen Mitternacht, fragte Woodson Green, ob er sie mit in seine 22-Zimmer-Vorortvilla nehmen würde. Er war einverstanden. Eine weitere Freundin von Green, Carlotta Wilson, war mit von der Partie.

Im Haus angekommen, saßen Green und Woodson in der Küche. „Sie sagte mir: ‚Alles was ich will, bist du – oder ich werde mir das Leben nehmen.‘ Ich sagte ihr, dass ich das nicht glaube, auch wenn sie es zuvor schon einmal probiert habe. ,Du hast eine Tochter, bist eine verheiratete Frau.‘ Sie antwortete: ,Ich lebe seit anderthalb Jahren getrennt‘ Daraufhin sagte ich: ,Und drittens: ich bin noch nicht bereit zu heiraten.‘ Ich dachte an die zwölf Schlaftabletten und ermahnte sie: ‚Mach keinen Blödsinn!'“

Anschließend ging Green in die erste Etage, um ein Bad zu nehmen. Er sagt, dass er sich gerade abtrocknete, als „plötzlich jemand mit einem kochenden Topf hereinkam, sehr zornig.“ Er schüttelt seinen Kopf. „Es gab keinen Anlass für diesen Zorn, keine bösen Worte, keinen Streit.“

Tatsache ist, dass diese Zurückweisung Greens ungewöhnlich beiläufig klang und eigentlich kaum eine wirkliche Zurückweisung war. Er meinte, dass er grundsätzlich nicht bereit sei zu heiraten, nicht dass er sie nicht heiraten wollte. Gedankenverloren blickt er ins Leere, reibt sich über den Stoppelbart. „Ich weiß nicht. Sie war eine nette Lady. Ich hätte gar nicht sagen können, dass ich sie nie heiraten würde. Halt eben nicht zu diesem Zeitpunkt.“

Im Circle Star eilt Green durch den Gang zur Bühne, wo überall Sicherheitsleute versteckt sind. Fünf von ihnen begleiten ihn auf der runden Drehbühne, wo bereits sein Enterprise Orchestra wartet. Während der einstündigen Show verharren die Wachleute bewegungslos, tappen nicht mal mit dem Zeh. Einer legt seine Hand auf das E-Piano. Weitere 20 Mann umringen die Bühne.

Während des Auftritts hieven die Bodyguards Mädchen zurück ins Publikum, meistens weiße, die der Sänger mit seinen Songs aus den Sitzen gelockt hat. Es ist ganz der alte Ladykiller Green, der in den Songintros herzlich lacht, seine Hits in Medleys präsentiert und für Geschrei sorgt, sobald er ins Falsett gleitet.

Zwei Sicherheitsleute drängen zum unteren Ende einer Rampe, als sich Green dort hin wagt, um „Jesus Is Waiting“ zu singen. Wie immer sieht er ein wenig konfus und verletzlich aus, den Blick aus glasigen Augen nach oben gerichtet, seine Finger zupfen am Gürtel und klopfen auf die Schärpe seines blauen Samtrocks. Zahllose Mädchen, plötzlich fast schon auf Tuchfühlung, versuchen ihn anzufassen, aber Green, ganz versunken, scheint das nicht wahrzunehmen. Die Bodyguards bleiben in ihrer Hockstellung. Sobald aber Green zurück auf die Bühne kommt, ist er wieder ganz da, spendiert Rosen. Später, vor der letzten Nummer, „Sha-La-La“, seinem diesjährigen Hit, wirft er sie wie Pfeile und gurrt dabei immer wieder „Ich liebe euch“.

Für Al Green, seit nunmehr zwei Jahren, in denen er gut 20 Millionen Alben und Singles verkauft hat, ein Star, war das Jahr 1974 eine Verschnaufpause. Green berichtet von bewusst ausgewählten Gigs („angenehmere Orte“), ein bisschen mehr Ruhe, Prüfungen von Filmangeboten und einem neuen Deal mit London Records. Was immer er fabrizierte, allzu große Hits gelangen ihm nicht.

Green scheint sich keine Sorgen zu machen. Der neue auf eine geheimnisvolle Weise nostalgisch angerührt, durchglüht von einem anachronistischen Zeitgeist, für den man eigentlich zu Vertrag ist laut seinem Pressesprecher übrigens „ein Multimillionen-Dollar-Vertrag mit langer Laufzeit, vergleichbar mit denen anderer aktueller Topstars“. Allerdings nicht so hoch dotiert wie der von Elton John, dessen Fünf-Jahres-Deal mit MCA ihm für sechs Alben acht Millionen Dollar garantiert. „Immer noch genug, Millionen über Millionen“, strahlt der Pressemann.

„Wir haben uns gerade geeinigt“, grinst Green, „und boom“ – er verfällt in ein fröhlichen Glucksen, „shala-la-la-la-la, I love you…“ Die Dinge laufen gut: Im Februar steht für den Sänger der „Mimi“-Dreh auf dem Plan. Zudem ist er erste Wahl für die Rolle des Sam Cooke in einem Filmporträt, das von Cookes früherem Agenten J. W. Alexander produziert wird. Das Filmteam will warten, bis Green die Arbeit an „Mimi“ beendet hat.

„Ich hab ihn geliebt“, sagt Green über Cooke, der im Dezembervorzehn Jahren von einer Frau erschossen wurde. „Ich habe mit seinem Agenten, diesem Mr. Alexander, gesprochen, und er sagte: Marvin Gaye wäre prima, Johnnie Taylor wäre prima – nun, in seinen Worten, ich aber ,sei perfekt‘.“

Dobermann Roma schnappt nach irgend etwas, vielleicht einem Vogel, der zu nahe vorbeigeflogen ist. Derweil sinniert Al Green über abgedrehte Frauen. „Sogar jetzt! Wir haben gerade in Valley Forge gespielt, und da ist diese Frau namens Luisa, sie folgt uns. Sie ist von Miami nach New York und dann nach Atlantic City gekommen.“ Wie immer zeigt Green nicht die geringste Spur von Sorge. „Mir ist das ja egal, aber ich hab keine Ahnung, woher sie das Geld für diese Reiserei nimmt. Ich versteh das nicht. Diese Mädchen…“

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