Signore Seltsam

In "Razmataz" vertont PAOLO CONTE das Paris der 20er Jahre - allerdings mit ausgesprochen modernen Mitteln

Dieses Gesicht ist ein Antlitz, wie in Stein gemeißelt, wie für einen Stummfilm erfunden. Stumm ist er auch am liebsten, der Signore, zieht an seiner Zigarettenspitze, lächelt sparsam im Raum umher, Rotweinglas in der Hand, Fluchtgedanken hinter der Stirn. Paolo Conte mag sie nicht, die Öffentlichkeit Fotos von ihm müssen für drei Alben reichen oder mehr, Interviews auch. Dass er nun ausgerechnet in London, fern der geliebten, piemontesischen Heimat, sich selbst ausstellt inmitten einer Vernissage von verschrobenen Bildern muss schwerwiegende Gründe haben.

Geträumt hat er schon immer viel, dieser komische Kauz. Am Tage und ganz wach fallen keinem solche Songs ein. Kantaten in Moll, die so ganz und gar nichts mit dem Papagallo oder dem Latin Lover zu tun haben – und die Conte auch in Italien bislang ohne Nachahmer lassen. Fünfzehn Jahre haben andere seine Lieder gesungen, bevor er selbst sich mit seinem Piano auf die Bühne traute – und dort auch noch heute so dasitzt, als sei der Vorhang gegen seinen Willen aufgezogen worden. Für seinen ältesten und allergrößten Traum aber erträgt der Rechtsgelehrte a. D. jetzt sogar das grelle Licht der Fernsehscheinwerfer.

In den Jazz sowie das schwarze Amerika war er immer schon verliebt – und da er selbst als Entwurzelter in seiner Eremitage musiziert, hat Conte nun das Paris der 20er Jahre vertont und obendrein eigenhändig bebildert. „Razmataz“ heißt sein Kaleidoskop einer versunkenen Epoche, und es erscheint in jedem nur denkbaren Format Als CD mit 18 Songs, die er auf seinen Weltenträumen eingesammelt hat. Sie endet mit einer Ouvertüre. Als Bilderbuch aus 1800 Illustrationen Contes, als DVD demnächst, für die ausgerechnet der alte Nostalgiker das neue Format so nutzt wie kaum ein Popstar. Und irgendwann soll dann „Razmataz“ wohl auch noch zum Musical werden. Die passende Ouvertüre, wie gesagt, die gibt’s ja schließlich schon.

Wer Conte jüngst in London auf der Bühne erleben durfte, der konnte erahnen, wieviel Magenschmerz und Selbstzweifel der Cantautore überwinden musste, bis er endlich einsah, dass sich das Paris von vor achtzig Jahren nicht von einem Mann allein in Worte fassen lassen konnte. Also stehen fünf Sängerinnen dicht neben ihm, der sich doch am Piano so gern allein hinter den Tasten duckt, der Jahre brauchte, um sich an seine Band zu gewöhnen.

Und ein weiblich besetztes Streich-Quartett kommt noch hinzu. Wenigstens das rückt ihm nicht allzu nahe auf die verletzliche Pelle. Doch siehe da: Jener Mann, der ab rigider Dirigent ganze Orchester zur spartanischen Begleitung seiner doch so mühsam aneinander gereihten Verse verdonnern kann, hat auch die neuen Begleiter schon sicher im Griff. Kein Ton zuviel tropft von der Bühne, nie wird es mal zu laut, nie ist es deshalb bloß wohl temperiert.

Weshalb die Kritiker überall mit italophobisch verstelltem Blick in Paolo Contes Konzerte schritten und auf den Knien wieder rauskamen, ist deshalb unschwer zu erraten. Und genauso klar ist auch: Sie werden’s wieder tun-egal, ob „Razmataz“ nun als Kammerspiel, Musical, Film oder gar als Spektakulum zur Aufführung kommt Und Conte, der alte Kauz, wird wieder genussvoll dazu schweigen. Denn der Hintersinn des Titels „Razmataz“ (eigentlich: razzmatazz), der für „Augenwischerei“ oder „Schwindel“ steht, dürfte seinem Publikum in Gänze verborgen geblieben sein.

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