Simone White: Prekäre Lage

Als Tochter zweier Künstler dilettierte Simone White mit Fotografie, bevor sie eigene Songs schrieb und ihre ersten Plattenaufnahmen selbst finanzierte.

„yaaakiiiimooo ishi yaakiiiimoooo“: Es ist eine Art leises Flehen, das durch die von Holz und Leder dominierte Bar des Hamburger Hotels weht. Ein paar Geschäftsmänner am Nebentisch schauen irritiert nach der Frau, die so seltsame Geräusche von sich gibt. Doch Simone White ist gerade dabei, den Titelsong ihres dritten Album zu erklären- und das geht nun mal nicht anders. Also lässt die in New York lebende Songwriterin den Kopf noch einmal in den Nacken fallen und singt erneut voller Sehnsucht: „Yaaakiiiimooo ishi yaakiiiimoooo.“

So weit die Demonstration, aber was steckt dahinter? „Vor anderthalb Jahren war ich im Winter in Japan. Es war schon dunkel, als ich diesen seltsamen Singsang hörte. Es klang wie ein Gebetsruf, und ich fragte meine japanischen Freunde ganz aufgeregt: Was ist das? Sie lachten und sagten, das sei der Yakiimo-Mann. Aus einem Lieferwagen heraus verkaufen diese Männer heiße Süßkartoffeln, die sie vorher auf einem Ofen erhitzt haben. Sie singen alle dasselbe Lied, um ihre Waren anzupreisen, aber jeder hat seine eigene kleine Melodie und Variation“.

Simone White war davon so begeistert, dass sie nicht nur einen Song darüber schrieb, sondern auch ihr drittes Album „Yakiimo“ nannte. Wie schon der mit Lob überhäufte Vorgänger „I Am The Man“, wurde auch „Yakiimo“ von Mark Nevers in Nashville/ Tennessee produziert. Fast alle Songs handeln von emotionaler Nostalgie, vom Erinnern einer Kindheit und Adoleszenz, die nicht nur leuchtend bunt und glücklich war, sondern manchmal auch traurig und einsam.

„Für Japaner verkörpert der Yakiimo-Mann kollektive Erinnerungen: Es ist kalt, deine Mutter kauft dir heiße Süßkartoffeln, und du hältst sie auf dem Weg zur Schule unter deinem Mantel, um dich daran zu wärmen. Das sind sehr emotionale Dinge, die ich so ähnlich auch gefühlt habe, nur auf meine Art. Trotzdem befürchtete ich zuerst, ich hätte einen Song über die japanische Variante eines Hot-Dog-Verkäufers geschrieben.“

Es ist sehr lustig und anregend, mit Simone White zu plaudern. Die 39-jährige mag wie ein zerbrechliches Vögelchen aussehen, erst recht mit dem neuen zerrupften Kurzhaarschnitt, aber sie ist sehr lebhaft und gut informiert. Neugierig fragt sie nach einem deutschen Gegenstück zur Americana, die auf ihrem neuen Album im Mittelpunkt steht. Also erzähle ich vom Krieg, den Nazis, dem Missbrauch der Folklore und wie schwierig es danach war, unbefangen an alte Traditionen anzuknüpfen.

„Hat die Vergiftung der Volksmusik bei den Deutschen zu einer Amnesie geführt?“ fragt sie ironisch und erzählt von dem Film „Cabaret“: „Da gibt es eine wunderbare Szene, die in einem Gasthof auf dem Land spielt. Ein Hitlerjunge steht plötzlich auf und fängt an, eine Art Volkslied zu singen, und die anderen stimmen ein, einer nach dem anderen. Das ist wunderschön und schrecklich zugleich, weil man spürt, warum diese Musik gestohlen und missbraucht wurde.“

Simone White wurde 1970 auf Hawaii geboren. Ihr Vater ist Bildhauer, ihre Mutter stand schon mit 14 als „Schwester“ ihrer singenden Großmutter auf der Bühne eines Burlesque-Theaters, später wurde sie Folksängerin. Das Cover von „I Am The Man“ zeigt Mutter White in leicht frivoler Pose zusammen mit ihrem Leoparden: „Das war noch vor meiner Geburt, damals gab es in den USA keine Gesetze für die Haltung von wilden Tieren“, sagt die Tochter. „Meine Eltern waren eben Künstler und etwas schräg, aber ich hielt das für völlig normal und eigentlich auch sehr positiv: Mich hat nie jemand gefragt, wann ich mir endlich mal einen anständigen Job suche.“

Also studierte das Künstlerkind erst einmal Schauspiel, begann Storys und Gedichte zu schreiben und arbeitete später eine ganze Weile als Fotografin. Ihr Debüt-Album hat Simone White erst 2003 im Alleingang aufgenommen und veröffentlicht: „Ich bin nicht besonders stolz darauf und höre eher die vielen Mängel. Deshalb habe ich einige Songs für ‚I Am The Man‘ und auch für ‚Yakiimo‘ noch einmal neu aufgenommen.“

Als leidenschaftlicher Fan von Bonnie „Prince“ Billy suchte die Songschreiberin im Sommer 2004 den Kontakt zu Mark Nevers, dem Produzenten von „Master And Everyone“. „Mark mochte meine Songs, wir haben dann zusammen ‚I Am The Man‘ aufgenommen, und ich habe erst mal alles selber bezahlt.“ Honest Jons war die erste Plattenfirma, die anklopfte- und unkompliziert, wie Simone White nun mal ist, entschied sie sich für das aus einem Londoner Plattenladen heraus entstandene Label, das vor allem für seine musikhistorischen Ausgrabungen bekannt ist.

Und obwohl Honest Jons nicht viel Erfahrung hatte, was die Betreuung von Künstlern angeht, wurde „I Am The Man“ zumindest unter Kritikern und Musikliebhabern ein großer Erfolg: „Not just a pretty voice but a mesmerizing intelligence…A summer soundtrack of charm and beguiling depths“, schwärmte das britische Musikmagazin „Mojo“ in einer Vier-Sterne-Kritik. Auch die Agentur von Audi zückte kurz entschlossen das Scheckbuch und kaufte „The Beep Beep Song“ für eine Fernseh-Werbung des Automobil-Herstellers, die leider nie in Deutschland lief.

„Yakiimo“ ist noch schöner und berührender geworden als „I Am The Man“, aber auch ein wenig leiser und intimer. Die Songs wurden diesmal live eingespielt und nicht durch das spätere Hinzufügen von einzelnen Instrumenten „nachgebessert“, wie das beim Vorgänger der Fall war. Alles klingt sehr organisch und selbstverständlich. „Das ist die Art, wie Mark und die Musiker in Nashville arbeiten: Sie kommen an, du spielst ihnen die Songs vor, sie notieren sich alles- und fünf Minuten später wird aufgenommen.“

Politische Songs wie beim Vorgänger gibt es hier nicht, sie hätten wohl auch nicht gepasst. In „Let The Cold Wind Blow“ sucht Simone White sogar den Frieden mit ihrem nicht immer geliebten Heimatland: „Der Spirit of America ist hier eine obdachlose Frau, ohne Glück, ohne Geld. Sie schläft in ihrem Auto, flirtet mit den Cowboys, versucht ihre Vergangenheit zu vergessen und was sie alles falsch gemacht hat, obwohl sie sich bemüht hat, das Richtige zu tun. Denn das darf nicht verloren gehen: die Liebe zu diesem Land, die Freiheit, sich darin zu bewegen, und die Möglichkeit, das Nirgendwo und Überall zur Heimat zu erklären.“

Doch wir schweifen ab, denn es sind eher Lieder wie das sommersatte und dennoch melancholische „Victoria Ann“, die das Herz dieses Albums bilden. Das Stück erzählt von einer Freundin, der großartigen Songschreiberin Victoria Williams, die während ihrer Kindheit in Louisiana gerne einem LKW hinterher radelte, der giftige Insektizide versprühte: „Mir ist fast das Herz stehen geblieben, als sie mir davon erzählte. Trotzdem wäre ich gern zusammen mit ihr aufgewachsen, in den Farben und der Atmosphäre des amerikanischen Südens. Das ist eine Art Americana, die ich wohl ein bisschen idealisiere.“

Wegen zweier Victoria-Williams-Coversongs (von deren „Loose“-Album), die sie ebenfalls mit Mark Nevers in Nashville aufnahm, hätte Simone White fast ihren Vertrag mit Honest Jons gekündigt: „Sie wollten die Songs nicht auf dem Album haben, es gibt sie vorerst nur als Download.“ Dabei sind Simone Whites Versionen von „You Are Loved“ und „Psalms“ ebenso unverzichtbar wie der Rest von „Yakiimo“. Simone White ist bereits jetzt eine der ganz großen amerikanischen Songschreiberinnen.

Jürgen Ziemer

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