Sleater-Kinney: Der Rock’n’Roll ist eine Frau

Sleater-Kinney haben nach zehn Jahren Pause mit "No Cities To Love" gerade ihr erstes neues Album veröffentlicht. Willkommen zum Comeback der Girl-Punk-Pioniere!

„Wir haben keine Vorläufer und keine Nachfolger. Wir haben nie zu einer Szene gehört. Niemand klingt so wie wir“

„Diese besondere Chemie zwischen uns war zwar von Anfang an wieder da“, erklärt Tucker. „Aber wir mussten lernen, unsere Energie zu fokussieren, um die Songs so präg­nant und überzeugend wie möglich zu machen, um eine klare Geschichte zu erzählen. Und das war wirklich eine Menge Arbeit – wir haben sehr viel geschrieben, umgeschrieben, bearbeitet. Wir hatten Teile und Anfänge für ungefähr 20 Lieder, davon waren 14 stark genug, um mit ihnen eine Platte zu machen.“ Bis zum Abschluss ihrer ultrageheimen Proben Ende 2013 wurden immer wieder Refrains umgeschrieben, bei manchen Stücken vier- bis fünfmal, bis endlich alle zufrieden waren. „Außerdem hatten wir einige technische Probleme, als wir anfingen, die ersten Demos aufzunehmen“, erklärt Tucker weiter. „Unsere Gitarren harmonierten durch irgendeinen Fehler im Computerprogramm überhaupt nicht. Es klang scheußlich. Eine totale Katastrophe. Das war teilweise extrem frustrierend, unsere Nerven lagen blank, und das hat uns an unsere Grenzen gebracht. Wir mussten wirklich kämpfen, um wieder eine Band zu werden.“

„Gute Stimmung und Spaß am Spiel sind sowieso nicht gut für den kreativen Prozess“, sagt Brownstein trocken. „Es muss Spannungen und Reibungen geben, man muss kämpfen. Wir haben viele unterschiedliche Dinge ausprobiert. Und längst nicht alles hat geklappt. Wie (der Choreograf George) Balanchine mal gesagt hat: ,My muse must come to me on union time.‘ Man muss die Muse für sich arbeiten lassen. Das ist wie in einer Beziehung: Da kann die Chemie noch so gut sein, man muss daran arbeiten, wenn es halten soll und wenn es wachsen soll.“ Tucker nickt: „Wir sind tatsächlich am besten, wenn wir gegen die Umstände ankämpfen müssen. Wenn sich uns etwas in den Weg stellt, spornt uns das an und wir werden dadurch stärker. Die Arbeit mit Sleater-Kinney hatte immer etwas Beunruhigendes, Unsicheres jenseits jeder Regel, und gerade die Sachen, von denen man denkt, sie können nicht funktionieren, sind die, die am Ende am meisten nach uns klingen. Um die Distanz zwischen sich selbst und der Welt zu verringern, ist Slea­ter-Kinney immer noch der beste Kanal.“

„No Cities To Love“ ist, auch wenn man natürlich von Nostalgie beseelt zuhört, ein Album, das ganz im Hier und Jetzt steht – statt den politisch naiven Traum der Neunziger zu feiern, beginnt es programmatisch mit „Price Tag“, einem Song über eine gering verdienende Mutter im postindustriellen Zeitalter. Es geht um den Kollaps der amerikanischen Mittelschicht, um Sorgen und Ängste.

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Sleater-Kinney machen also noch immer Musik zur Zeit. Und das, obwohl die Zeit der Gitarrenbands ja eigentlich gerade ein bisschen vorbei zu sein scheint. „Für Jungs vielleicht“, sagt Brownstein und grinst. „Die guten Gitarrenplatten kamen im vergangenen Jahr fast ausschließlich von Frauen: Angel Olsen, Sharon Van Etten, St. Vincent …“ Als Vorreiter dieser neuen weiblichen Gitarrengötter wollen Sleater-Kinney sich jedoch nicht sehen. „Wir haben keine Vorläufer, und wir haben keine Nachfolger“, so Brownstein. „Sleater-Kinney war immer ein ziemlich abgeschlossenes Ding. Schon damals gehörten wir nicht richtig zur Szene von Olympia/Washington – ich war überhaupt die Einzige in der Band, die dort längere Zeit lebte. Wir klingen wie niemand sonst, was auch daran liegt, dass ich der Überzeugung bin, dass man als Künstler seine ganz eigene Welt und seine ganz eigene Musik erschaffen muss. Und die interessanteste und originellste Musik wird in der Regel von denen gemacht, die nicht Teil von dem sind, was alle anderen gerade machen.“

Vielleicht haben Sleater-Kinney genau den richtigen Zeitpunkt für ein Comeback gefunden: Musikalisch ist noch kein Nachfolger in Sicht, und zugleich scheint der Zeitgeist endlich bereit für die Einsicht, dass Rock’n’Roll keine Frage der Chromosomen ist. „Musik wird sicherlich nicht mehr so in Geschlechterkategorien eingeordnet wie noch in den Neunzigern“, stimmt Brownstein zu. „In der Wahrnehmung der meisten Menschen sind die Übergänge zwischen Männlich und Weiblich fließender geworden.“

Vielleicht gibt es in naher Zukunft ja endlich eine Jungsband, die ein Lied mit dem Titel „We Wanna Be Your Sleater-Kinney“ singt – leicht wird es sicher nicht, diesen Wunsch zu erfüllen.

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