So war das All Tomorrow’s Parties mit Animal Collective

Einmal im Jahr verwandelt sich das Bungalowdorf in Butlins zum Festivalgelände, dieses Mal waren Animal Collective dafür zuständig, das Line-up zusammen zu stellen. Bericht und Bilder eines skurrilen Wochenendes.

Wie das kleine Pop-Rumpelstilzchen, das er auf der Bühne verkörpert, war Ariel Pink wild fluchend davonmarschiert. Eigentlich hatte er zwischen einarmigen Banditen und sonstigen grellen Prügel-, Baller- Race- und Dance-Automaten auftreten wollen, die Sicherheitsleute hatten ein solches Sponti-Konzert jedoch für keine so gute Idee gehalten und Ariel Pink das Mikro aus der Hand gerissen. So blinkten die Daddel-Dinosaurier – wie Freizeitwelten überhaupt Relikt einer unflexiblen, technologisch umnachteten Freizeitgesellschaft der 80er Jahre – weiter dumm vor sich hin. Welch ein Kontrast zu den psychedelischen Datamoshing-Visuals, die das „New Weird America“ rund um Animal Collective, Gang Gang Dance oder Black Dice als Hintergrundfilm zu seinen Shows laufen ließ.

All Tomorrow’s Parties in Minehead an der englischen Westküste haben längst den Ruf, ein besonders außergewöhnliches Musikfestival zu sein. Das liegt einerseits natürlich an seinem recht skurrilen Veranstaltungsort: dem Ferienresort Butlins mit seinem weitläufigen Bungalowdorf, seiner Fressmeile, dem bis auf Unterwasser-Soundinstallationen gar nicht so aufregenden Erlebnisbad und sonstiger Pauschalurlaub-Bespaßung für die unbewegliche, kleinbürgerliche Kernfamilie. Es ist ein Ort, der dem Rock’n’Roll und seinem (selbst-)zerstörerischen Potential per se eher misstrauisch bis feindselig gegenübersteht, wäre nicht verregnete Nebensaison und hätte Butlins nicht ähnliche Probleme wie andere alteingesessene Institutionen: die normalen Leute, sie kommen eben nicht mehr so einfach.

Dafür fällt der alte Underground und eine jetsettende, vermeintlich neue Geschmackselite ein. Sie lockt gerade die absurde, zynische Klammer aus kultureller Distinktion und der Sehnsucht nach fauligem Urlaub, triebgesteuertem Lagerkoller und etwas mehr Privatheit wie Hygiene als bei den üblichen, schlammigen Campingfestivals. Individualismus und Tribalismus zugleich. Dosenbier und Wasserkocher-Essen im wackeligen Doppelbett, dazu mittags eine Krautrock-Dokumentation von BBC auf dem Festivalkanal – eine Verlockung, die sich vielleicht nicht jedem Festivalgänger direkt erschließt.

Seit 1999 gibt es All Tomorrow’s Parties, seit 2006 finden die Festivals in Butlins statt. Der Veranstalter ATP lädt bei jeder Auflage eine Band oder einen Künstler ein, das Festival zu kuratieren, also das komplette Festival-Programm zu gestalten. Nach Simpsons-Schöpfer Matt Groening und Acts wie Pavement, My Bloody Valentine oder Portishead waren dieses Mal Animal Collective – selbst 2008 von den Postrockern Explosions In The Sky eingeladen – die Kuratoren des Indoor-Festivals. Neil Young, Ray Davies und Kraftwerk hätte man ohne die Budgetgrenze mit Kusshand genommen, berichtete Kollektivmitglied Geologist vorab im Interview, ein Auftritt von Daft Punk hätte sogar fast realisiert werden können. Vielleicht reichte die Strahlkraft der Marke ATP ohne diese großen Namen deshalb nur so weit, dass dem Vernehmen nach nur zwei Drittel der Tickets abgesetzt werden konnten und es auf dem Gelände – anders als in der sehenswerten DVD-Dokumentation – seltsam entspannt zuging. Nachts sprinteten die Boys natürlich trotzdem nackt um den Block und schlugen Purzelbäume auf der Kartbahn.

Musikalisch war es ein Festival, bei dem Animal Collective durch ihre Auswahl von über 40 Acts ihre doch recht verschlüsselte DNA preisgaben. Sie reicht von Detroit-Techno von Omar-S, britischem Dubstep (der UK-Hype Zomby war für seine Show allerdings nicht aufgetaucht) und abstrakte Elektronik über die spannende „New Weird America“-Szene ihres Labels Paw Tracks bis hin zu einem bunten Strauß an Genre-Koryphäen: „Sahara-Hendrix“ Bamaar Salmou zupfte afrikanische Gitarrenmusik, die Meat Puppets performten ihren Indie-Klassiker „Up On The Sun“ und Spectrum unter anderem den rauschenden Spaceman 3-Hit „Revolution“. Lee „Scratch“ Perry wiederum wackelte tiefenentspannt zu seinem Dub-Reggae-Set über die Bühne, ehe Big Boi von Outkast sein Publikum mit „Ms. Jackson“ und einer Rap-Miniatur von „We Will Rock You“ noch hysterischer machte als es sonst Bugs Bunny und Bob der Baumeister an gleicher Stelle je schaffen könnten. New Age-Legende Terry Riley meditierte die Leute am Synthesizer und Piano am Ende des ersten Festivaltages wieder herunter, später wurde er noch mit Big Boi bei Burger King in der Mall von Butlins gesichtet.

Auch Animal Collective selbst haben sich wieder einer Metamorphose unterzogen. Waren sie mit dem hochgelobten Album „Merriweather Post Pavilion“ noch als Kraftwerk’sches Elektronik-Trio unterwegs, orientieren sie sich mit dem Wiedereinstieg von Deakin an der Gitarre und Panda Bear hinter dem Schlagzeug wieder mehr in Richtung eines Band-Sounds, der krachigen Freak-Folk und harmonischen Experimental-Pop mischt. Über ein halbes Dutzend neuer Songs überzeugte dabei live genauso wie alte Smasher wie „Did You See The Words“, „Brothersport“ oder „Summertime Clothes“. Etwas enttäuschend war einzig, dass Animal Collective bei ihren beiden Headliner-Shows die gleiche Setlist abspulten. Eine halbe Stunde nach ihrer Sonntags-Show wurde vor der Hauptbühne bereits das literweise verkippte Bier aus dem Teppichboden gesaugt, in der Mall roch es streng nach Zitrusreiniger und die Spielautomaten blinkten weiter dumm vor sich hin. Montagmorgen kamen wieder die Anderen.

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