Spannende Melancholie

Grandiose Krimis für den Sommerurlaub: Richard Stark, Stieg Larsson und Hans Jörg Schneider beschreiben eine in Schieflage geratene Gesellschaft

Man kann eben keine Buletten machen, ohne vorher ein bisschen Fleisch durch den Wolf zu drehen“, sagt Race Williams, der Protagonist eines der frühsten amerikanischen Hardboiled-Autoren, Carroll John Daly. Ein Credo, das durchaus auch aus der Feder des Amerikaners Donald E. Westlake hätte stammen können, der von den Mystery Writers of America zum „Grand Master“ ernannt wurde. Wer Parker kennen gelernt hat, weiß warum. Diese Hauptfigur seiner mittlerweile 27 unter dem Pseudonym Richard Stark veröffentlichten Romane, dieser „ultimative Profi“, dieser „Maschinenmensch ohne Background‘, wie der irische Romancier John Banville Westlakes Geschöpf bewunderungsvoll nennt, ist der Prototyp des ebenso seelenlosen wie genialen Verbrechers; ein eiskalter Hund, dem kein Verbrechersyndikat zu übermächtig und keine Tresorwand zu dick war auf seiner ewigen Flucht vor den sogenannten „Guten“. Bis Westlake irgendwann die Puste ausging und er sein Geschöpf auf Eis legte. Es sollten lange 23 Jahre vergehen, bis der heute 75-Jährige den Mann, der nicht zu fassen ist, wiederbelebte und 1997 ganz zur Freude seiner Fans ein neuer „Parker“-Roman erschien. Der Amoralischste unter den Morallosen war zurückgekehrt.

Auch die deutschen Fans des genialen Fieslings dürfen sich freuen, denn ab August startet der Wiener Zsolnay Verlag die groß angelegte Wiederentdeckung mit der Veröffentlichung des neuen, 2006 in England erschienenen Romans „Fragen Sie den Papagei“; einem Buch, das anrollt wie ein dunkler böser Traum, in dem Westlake es vermag, eine an sich kleine, schmutzige Geschichte zu einem furiosen nächtlichen Endspiel zu weiten. Große Kunst.

Ein Attribut, das auch für die furiose Romantrilogie „Verblendung“, „Verdammnis“, „Vergebung“ des Schweden Stieg Larsson gelten darf. Denn was der auf diesen gut 2300 geschichtenprallen Seiten entwirft, ist nichts weniger als das Schwindel erregende Porträt einer Gesellschaft, die unterwandert ist von Korruption, Verschleierung und latenter Gewalt. Im Zentrum des Ganzen steht die ebenso charismatische wie unergründliche Lisbeth Salander, die — assistiert von dem Investigativ-Journalisten Michael „Kalle“ Blomkvist — eine gigantische Verschwörung autzudecken beginnt, die sie bis in die höchsten politischen Kreise Schwedens führt. Von der ersten bis zur letzten Zeile der Trilogie kämpft die gedanklich pfeilschnelle Aktrice um ihren eigenen Kopf. Denn ihre Gegner sind zu allem entschlossen. Larsson, einer der weltweit führenden Experten für Rechtsextremismus und Neonazismus, hatte ursprünglich eine insgesamt zehnbändige Geschichte in Form von knapp 8000 Seiten vor Augen gehabt, als er Salander und Blomkvist ins Rennen gegen das Böse schickte. Eine großangelegte Suche nach den verlorenen Werten. Daraus wurde durch seinen frühen Tod 2004 im Alter von 50 Jahren leider nichts.

Geradezu gemächlich erscheinen die so genannten „Hunkeler“-Krimis des Baslers Hansjörg Schneider. Auch er zeigt, dass gute Krimis mehr sind als bloß spannungsgeladene Genrestücke. „Schauen Sie doch die deutschsprachige Literatur der vergangenen 30 Jahre an“, sagt der inzwischen 70-Jährige, „da ist so viel langweiliges Zeug entstanden. Und vielleicht ist der Kriminalroman ja deshalb so erfolgreich, weil die Leser es satt haben, sich bei Lesen zu langweilen.“ Schneider hat seine Option für den Kriminalroman bislang nicht eine Sekunde bereut. „Genau betrachtet, ist der Krimi doch nichts anderes als eine Milieustudie. Und mich interessiert eben ein spezielles Basler Milieu.“ So verhandeln Schneiders Krimis um den Kommissar Peter Hunkeler das zentrale Thema aller ernsthaften Kunst: die Wechselwirkungen von Schuld und Sühne. Dabei geht es nicht allein um Kriminalfälle und ihre Aufklärung, sondern vor allem um Menschen und die Desaster, in die sie taumeln. Mit Büchern wie „Flattermann“ (1995). „Das Paar im Kahn“ (1999) oder „Tod einer Ärztin von 2001 avancierte Schneider zu einer Art Schweizer Simenon. Ebenso wie beim großen Belgier weiten sich auch seine Romane Expertisen einer in Schiefläge geratenen Gesellschaft. Schneiders neuester Coup, der Roman „Hunkeler und die Goldene Hand“, führt dies fort. Abermals ruft ein grausamer Mord den Basler Kommissär auf den Plan. Hunkeler, den der Rücken schmerzt, hat sich in das Rheinfeldener Solbad Marina einquartiert, um Linderung zu erfahren. Doch als eines Morgens die Leiche eines schwulen Basler Kunsthändlers im Außenbecken liegt, ist es aus mit der Ruhe. „Wenn all die Gewalt, die sich in den Kirchen, Spielhallen und Kneipen Harlems ansammelt, jemals zum Ausbruch käme“, befand einst James Baldwin, „würde Harlem in einer apokalyptischen Flut versinken.“ Ein Blick auf die aktuelle Kriminal-Literatur zeigt, dass Harlem längst überall ist: in Stockholm ebenso wie in Massachusetts oder Basel.

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