Spex – Puff und Pluder

Ein Umzug, der nicht stattfand, beschäftigte zum Jahreswechsel wenigstens die Redaktionen der Musikzeitschriften, ein veritabler Standort-Skandal: Der Verleger der Zeitschrift „Spex“ will, sogenannter Overhead-Kosten wegen, den Sitz des Blattes von Köln nach Berlin verlegen – weshalb nun zwar das gute alte „Spex“, nicht aber die bisherige Redaktion in die Hauptstadt wechselt. Ein gehasster Redakteur meldete sich per Rund-Mail ab, während in Berlin der Nachfolger bereits vollmundige Interviews gab und versprach, künftig viele deepe Debatten anzuzetteln. Allerlei aufgeregte Herren kommentierten die Kulturkrise in „FAZ“ und „taz“, worüber auch „Der Spiegel“ berichtete – denn all diese Autoren haben natürlich entweder früher in „Spex“ geschrieben oder früher einmal „Spex“ gelesen.

Die „Debatten“, der „Diskurs“, der angeblich auf den Seiten des Journals stattfand, fand freilich zuletzt im Jahr 1992 statt – die Älteren erinnern sich gerührt an Diedrich Diederichsens erschütternde Bestandsaufnahme „The kids are not alright“. Nun wusste der Kunstprofessor von Stuttgart-Dingsda von den Kids mutmaßlich so wenig, wie er bei McDonald’s die Happy-Hippo-Tüte bestellte. Aber bei den Gaga-Diskursen in „Spex“ ging es selbstverständlich niemals um die wirkliche Welt, sondern ausschließlich darum, wie die Autoren sie sich vorstellten. Ob Blumfeld, Arrested Development oder J. Mascis – immer lauerten hinter der nächsten Ecke Klaus Theweleit oder Niklas Luhmann, Derrida oder Foucault, es wurde das Werk von Bob Mould dekonstruiert, man betrieb gender studies, und nach Dienstschluss meldeten sich die Redakteure bei der Plattenfirma zur Bootstour mit den Backstreet Boys an – das hätten die Kids, die nicht alright waren, auch gern getan!

Es hatte sich bis zu den Plattenfirmen – die aber ganz bestimmt kein Wort in „Spex“ lasen – herumgesprochen, dass dort Trends gesetzt würden und die Redakteure immer vorn dran seien (weshalb um 1996 Prince entdeckt wurde). In „Spex“ wurde in jedem Aufsatz, jeder Rezension „Ich“ gesagt, und im Soziologie-Kauderwelsch wurde dieses und jenes verhandelt, häufig „der Kapitalismus“, oft „der Pop“. Kurzum, „Spex“ war eine wunderbare Studentenzeitschrift – wichtigtuerisch, dilettantisch, hermetisch, unverständlich, kariert, aberwitzig und zum Totlachen. Und noch jeder Pop-Journalist versicherte treuherzig, er habe „Spex“ zwar seit einer Weile nicht mehr gesehen, liebe es aber heiß und innig.

Nun wird man das Magazin-ohnehin nicht mehr so häufig sehen, weil es nur noch alle zwei Monate erscheinen wird, wodurch die Trends womöglich noch schneller als bisher aufgespürt werden. Den Trend des Jahres 2006 (und dieses Blatt ist daran nicht unschuldig!) geißelte unser lieber Münchner Kollege Karl Bruckmaier auf den hippen Seiten der „Süddeutschen Zeitung“: „…dass es gerade die Jugend des Jahres 2006 ist, die sich gewissermaßen in musikalischen Strumpfhosen präsentiert, also so tut, als säße die erste und nicht die zweite Elisabeth auf dem Thron, als trage man Pluderhosen und Puffärmel, als schreite man taktgenau im Kreise. Als schlage man überall Laute und Harfe, wo sich rauschebärtige, feinblässliche, also vorwiegend weißhäutige Hippiekinder zusammentun, um Musik zu machen, während ringsum der Krieg gegen den Ami und alle, die keine Amis sind, durch die Welt tobt, musikalisch angetrieben vom HipHop, zu dessen Beats sich übergewichtige Gangster-Darsteller und ein Heer afroamerikanischer Unterwäschemodels drängeln, die alle in Treue fest die Auch nach dem Umbau von „Spex“ wird es virtuose Pop-Debattenkultur geben – das Wort vom „Tudor-Getue“ ist ein erstes feinblasses Beispiel Republikaner wählen und Hummer fahren“ – und so weiter und sofort, jedenfalls: „Anti-Folk, Neo-Folk und all dieses Tudor-Getue“ sei für die „Kinder aus gutem Haus, einigermaßen belesen, halb gebildet und durchaus nicht abgeneigt, während eines Freisemesters mal was richtig Ausgeflipptes zu unternehmen wie etwa einen Joint zu rauchen“. Chapeau! Nun ist es unwahrscheinlich, dass sich feinblässliche Negerkinder zu solchem Treiben zusammenfinden – und in der Trambahn sind dem Herrn Bruckmaier vermutlich keine rauschebärtigen Kinder aufgefallen, die zu Joanna Newsoms Harfengezupfe aus dem iPod taktgenau mit den Köpfen wippen, während sie Emily Dickinsons Gedichte lesen.

Aber da sage noch einer, es gebe keine Debatten mehr! Der Herr Bruckmaier hatte vor ein paar Jahren schon einen Versuchsballon steigen lassen, als er „Is A Woman“ von Lambchop spontan zu einer der „zehn besten Platten aller Zeiten“ ernannte. Und dafür braucht man härtere Drogen als bloß einen Joint oder halbe Bildung.

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