Sprecht ihn heilig, sofort!

Nach dem Heimgang des Papstes ist Bono der letzte geistliche Vordenker mit politischer Mission

In England werden wieder Wetten angenommen auf künftige Nobelpreisträger. Sportiv, versteht sich. Derzeit besonders beliebt ist der Wettlauf um höchste Ehren zwischen Bob’n’Bono. Wer hat die Nase vorn, Dichter Dylan oder Mahner Vox? Der eine ist vorgeschlagen in Sachen Literatur, dem anderen soll in seiner Funktion als Friedensmann ein ideelles Denkmal gesetzt werden. Die Quoten, unlängst noch fifty-fifty, sprechen neuerdings immer deutlicher für den U2-Prediger. Um dessen Gunst so mancher Amts- und Würdenträger buhlt. Bono beim Dalai Lama, Bono bei Stammeshäuptlingen in Afrika, Bono bei Bush, Bono beim Papst. Für den hatte auch Bob gesungen, aber das war’s auch schon. Ein lascher Händedruck und tschüs. Bono dagegen parlierte mit dem Pontifex, tauschte mit ihm Sonnenbrille gegen Rosenkranz, war ein Herz und eine Seele mit Seiner Unfehlbarkeit. Ein Meinungsaustausch, so verlautbarte Radio Vatican damals, sei indes nicht zustandegekommen. Keine Zeit.

Schade, sonst hätte sich Bono sicher zum Sprachrohr ungezählter toter Afrikaner gemacht, die an Aids krepierten, weil ihnen ihr geistliches Oberhaupt die Benutzung von Kondomen untersagte. Und zum Sprecher der Schwulen, die der Pole für pervers erklärte. Und zigtausender Opfer von Exorzismus und ähnlichem mittelalterlichen Wahnwitz. Aber ich schweife ab. Der Papst starb, die Medien übten sich in tagelangem Trauer-Terror, Nachrichtensprecher salbaderten vom „Heiligen Vater“, als ob wir alle Katholiken wären, die Massen pilgerten ergriffen nach Rom, und Bono hängte besagten Rosenkranz über den Mikroständer, nachdem er einigen tausend amerikanischen U2-Fans mitgeteilt hatte, daß da der größte aller Menschenfreunde das Zeitliche gesegnet habe.

Für einen im Glauben so gefestigten, moralisch so flexiblen Volkstribun hat natürlich auch die Politik jederzeit Verwendung. Tony Blair, selbst recht wendig in Fragen der Ethik, hatte das schnell erkannt, als seine „Cool Britannia“-Kampagne gegen die irakische Mauer fuhr und sich die Gallaghers und Wellers dieser Welt entgeistert und ernüchtert von ihm abwandten. Der Lack war ab bei New Labour, die Pop-Prominenz ging auf Distanz. Außer Bono. Der nur allzu gern zusagte, als man ihn bat, beim Labour-Parteitag in Brighton zu sprechen. Erst kurz davor hatte er sich noch bei einem Kongreß in Nairobi für die Entschuldung der ärmsten Staaten ausgesprochen, da bot sich ihm eine weitere Plattform für Appelle. Und wie in Afrika fand er auch in Brighton Bündnispartner im Kampf wider den Welthunger: Tony Blair und Schatzminister Gordon Brown. Bono war begeistert. So sehr, daß er sich in seiner Ansprache zu gewagten Vergleichen verstieg. Blair und Brown, so Bono, seien „the Lennon/McCartney of international aid.

Kein Wunder, daß U2 den Zuschlag bekamen, als es für die Partei darum ging, einen Wahlkampf-Song für die Anfang Mai anstehenden Unterhauswahlen zu küren. Zwar lag auch Fatboy Slims „Right Here, Right Now“ eine Weile ganz gut im Rennen, doch schließlich einigten sich die Parteistrategen auf „Beautiful Day“, auf denselben Song mithin, auf den auch John Kerry, Kandidat der Demokratischen Partei, bei den US-Präsidentschaftswahlen gesetzt hatte. Ohne durchschlagenden Erfolg zwar, aber ob die nur knapp unterlegene Alternative, Bob Dylans „The Times They Are A-Changin'“, Bushs Sieg hätte verhindern können, darf zumindest als zweifelhaft gelten.

Natürlich spielen die Faktoren Pop und Pop-Prominenz auch in der deutschen Politik eine gewisse Rolle, dem hiesigen Politikstil angepaßt, und in dem Maße, wie Pop von der Gesellschaft wahrgenommen wird. Also weit weniger als etwa in England und ganz anders. Als leicht frivoler Party-Spaß oder als Freizeitvergnügen Heranwachsender, die womöglich noch nicht wahlberechtigt sind. Unser Blair heißt Schröder. Der mag die Scorpions, weil die auch aus Hannover kommen. Unser Dylan heißt Biermann. Ein dreister Verse-Schlemihl, der sich auf Augenhöhe mit dem Dichterfürsten wähnt und diesen dummschlurchig „umhebt“ ins Biermannsche Deutsch. Und unser Bono ist nicht Maffay (fast!), sondern Hartmut Engler, weil unsere U2 ja Pur sind.

Tony Blair schickte Bono zum Dank ein jugendliches Konterfei von sich selbst, als Sänger seiner Glam-Rock-Band Ugly Rumours, in Jagger-Pose, mit der Inschrift: Es hätte auch anders kommen können, „me the rockstar, you the politician“.

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