„Spurlos verschwunden“: Der erschreckendste Film aller Zeiten?

Arte zeigt den introvertierten Schocker mit rabenschwarzem Finale in seiner Mediathek. Ein Thriller wie kein anderer.

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Das Szenario ist so unheimlich wie erschütternd: Rex muss damit leben, dass seine Freundin Saskia während eines Frankreich-Urlaubs spurlos verschwunden ist. Eben hatte er noch einen heftigen Streit mit ihr vor dem Halt in einer Raststätte, dann ist sie fort. Wie vom Erdboden verschluckt.

Drei Jahre später konfrontiert ihn der Täter mit einem verstörenden Angebot: Rex kann erfahren, was mit Saskia geschah – wenn er bereit ist, dasselbe Schicksal zu erleiden.

„Spurlos verschwunden“ (im Original: Spoorloss) von George Sluizer war 1988 eine Sensation. Ein stiller Thriller fast ohne die üblichen Inszenierungsmerkmale des Genres mit einem bemerkenswerten Ende, das noch lange nachhallt. Stanley Kubrick vertraute dem Regisseur an, dass er das makabere Psychoduell zwischen einem besessenen Trauernden und einem kühlen Täter ohne Gewissen für den „erschreckendsten Film“ hielt, den er je gesehen hatte.

Das Grauen in „Spurlos verschwunden“ ist still

Der Erfolg in Europa blieb natürlich auch Hollywood nicht verborgen. Man bot Sluizer an, seinen Film fürs große Publikum noch einmal zu drehen. Voraussetzung: ein milderes Ende. „Spurlos“ (The Vanishing), mit Jeff Bridges, Kiefer Sutherland und Sandra Bullock gut besetzt, floppte gnadenlos. Auch Kubrick hatte keinen Gefallen mehr daran.

Der Blick aufs holländische Original lohnt also doppelt. Der auf dem Roman „Das goldene Ei“ von Tim Krabbé basierende Film verzichtet auf explizite Gewalt und setzt stattdessen auf eine nüchterne, fast dokumentarische Inszenierung.

Man erfährt früh, dass Raymond Lemorne der Entführer ist. Der Blick auf sein Leben ist kein Nebenstrang des Films. Lemorne ist ein scheinbar normaler Familienvater, dessen Motivation nicht aus Hass oder Rache, sondern aus einer morbiden Neugierde entspringt. Eindringlich wird der pedantische Chemielehrer gespielt von Bernard-Pierre Donnadieu („Der Profi“). Er wird nicht nur als Mörder gezeigt, sondern auch als Retter eines Kleinkindes. Kritiker sprachen damals, wie oft, wenn es kein simples Täter-Opfer-Prinzip gibt, von der Banalität des Bösen.

Umrissen wird der zum Teil an die Filme Hanekes erinnernde Nihilismus des Films durch einen sarkastischen Humor, den man auch aus den Filmen von Paul Verhoeven kennt. So wird etwa der Täter ausgerechnet von der Volleyballtrainerin einer seiner Töchter darauf gebracht, Frauen an einer Raststätte zu suchen. Die Ironie des in trüben Farben auf 35 Millimeter bei sehr viel Sonnenschein gedrehten Films könnte düsterer nicht sein: Das Grauen entsteht nicht aus der Dunkelheit heraus, sondern mitten im Alltag.

„Spurlos verschwunden“ ist noch bis 27. Mai 2025 in der arte-Mediathek zu sehen.