Sting – Berlin, Philharmonie

Bevor er die alten Police-Songs wieder ausgräbt, zieht Sting mit den (noch älteren) Liedern des elisabethanischen Lautenspielers John Dowland durchs Land

Böse Zungen unterstellen Sting – neben allerlei anderen Boshaftigkeiten – Jägern, ihm würde nun partout nichts Inspirierendes mehr einfallen. Dem ist so schnell nicht zu widersprechen. Liest man sich seine Bilanz dieses Jahrtausends durch, hat er es gerade mal auf ein reguläres Album gebracht. Eben jene kommerziell und kreativ nicht sonderlich erfolgreiche Platte „Sacred Love“ ist nun auch schon ein paar Jahre alt. Ansonsten hat sich Sting in den letzten Jahren gern als der Onkel von The Police im Refrain zahlreicher R6?B-Singles rumgetrieben. Und jetzt verkündete er auch noch die Reunion der alten Band. Visionäre hören sich anders an. Dass er kurz zuvor auch noch ein Album mit der Musik des Spätrenaissance-Sängers und Lauten-Van-Halens John Dowland (1563-1626) aufnahm, gab Skeptikern noch mehr Stoff.

Ganz abschreiben sollte man ihn aber noch nicht. Die äußerst sparsam und historisch ansatzweise korrekt interpretierten „Songs From The Labyrinth“ sind besser geworden als zu befürchten war, und nun bereist Gordon Matthew Thomas Sumner (der bürgerliche Name klingt in diesem Zusammenhang doch um einiges seriöser) wie einst Dowland Europa, mit dem Unterschied, dass er ein bisschen mehr Aufmerksamkeit erhält. Die Berliner Philharmonie ist ausverkauft, wobei der Anteil derer, die sich sonst nie eine Dowland-Platte oder gar ein Dowland-Konzert angetan hätten, bei mutmaßlich 90 Prozent liegt.

Das Projekt „Sting singt Dowland“ funktioniert trotzdem. Live noch wesentlich besser als auf der Platte. Denn hier verkneift er sich viel vom Hall- und Effekt-Quark, der bei den Aufnahmen so viel Schönes verkleben ließ.

Dowland schrieb stadionuntaugliche Kammermusik, die im Prinzip schon für die Philharmonie zu klein ist. Um dem zu entgegnen, hat man es in der Mitte der Bühne entsprechend kuschelig eingerichtet, nur der Kamin ist dankenswerterweise zu Hause geblieben. Ein paar Lauten stehen herum, die Notenständer in schwarz fallen nicht auf, die Licht-Regie bleibt dezent.

Bis Sting seinen Arbeitsplatz erreicht, muss er erst mal einen ordentlichen Weg zurücklegen. Als er dort endlich ankommt, geschieht Erstaunliches. Der Popstar Sting mutiert praktisch übergangslos zum demütigen Interpreten. Keine Pose, kein Affekt, nur inniges Musizieren. Mit Verve kristallisiert er geniale Momente in Dowlands Oeuvre heraus, als hätte diese Musik schon immer ihm gehört.

So viel Emphase ist außerordentlich verdienstvoll. Überlässt er doch damit Dowlands Erbe nicht nur den drögen Akademikern, die dem Meister seit Jahrzehnten auf betulichen Alte-Musik-Festivals die Seele austreiben. Da entfaltet sich „Flow My Tears“ genauso prachtvoll wie das tatsächlich düstere „In Darkness Let Me Dwell“. Manchmal singt sogar ein achtköpfiger Chor mit, was dann bisweilen nach Sphärenmusik klingt. Nur gelegentlich greift Herr Sumner selbst zur Laute, das Virtuose wird dem flinken wie energischen Edin Karamazov überlassen.

Karamazov selbst kennt man in Fachkreisen schon seit Längerem. Spielte er doch mit einem der wenigen veritablen Countertenöre, Andreas Scholl, eine tragfähige Dowland-Platte ein, und auch an Johann Sebastian Bach hat sich Karamazov durchaus akzeptabel abgearbeitet. Einer, dem man vertrauen kann.

Dass Sting damit die Klassik beziehungsweise die Ernste Musik entdeckt habe, wie vielerorts analysiert, ist allerdings abenteuerlicher Unsinn. Dowland hat mit Bach, Beethoven und Schönberg nichts zu tun – außer, dass er schon lange tot ist. Sein musikalischer Einfluss blieb vergleichsweise überschaubar. Als Lautenkomponist schätzte man ihn wesentlich mehr denn als Songschreiber. Ironischerweise haben außerhalb der Wissenschaft trotzdem nur ein paar seiner Songs in England überlebt. Von denen hatte Sting auch nur zufällig erfahren.

Doch jetzt gibt er sich erwartungsgemäß belesen und interpretiert zwischendurch Dowlands Zeitgenossen Robert Johnson (1580-1634). Wahrscheinlich nur, um bei den Zugaben den besten Witz des Abends anzubringen: „Here is another song by Robert Johnson“ und es folgt „Hell Hound On My Trail“ von dem Johnson (1911-1938), den man wirklich kennen sollte. Karamazov bluest, Sting jault, die Menge tobt.

Dann kommt es, wie es kommen muss. Sting arrangiert eigene Werke im Dowland-Stil. „Fields Of Gold“ und „Message In A Bottle“ mit quirligem Saiten-Gefriemel sind so uncharmant nicht. Doch zum Schluss verlässt er sich lieber wieder auf Dowland und schmettert hymnisch mit dem Chor „Fine Knacks For Ladies“. Irgendwie berührend. Ein kleiner Triumph.

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