Sting live in Berlin: Beau mit abgeranztem Bass

Sting müht sich ab, die verschiedenen Phasen seiner Karriere miteinander in Einklang zu bringen. Über einen durchwachsenen Konzertabend in der Berliner Waldbühne

Es gibt vielleicht nichts Cooleres, nichts Souveräneres, als angestammte Live-Dramaturgien über den Haufen zu werfen – und sofort mit dem größten Hit ein Konzert zu beginnen. Große Bands machen das (die Rolling Stones mit „Satisfaction“), kleinere Bands machen das (Pavement mit „Cut Your Hair“). Das soll auch zeigen: Unser Repertoire ist derart groß, dass wir die Knaller schon am Anfang verfeuern können.

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Bei seiner aktuellen Tournee eröffnet Sting den Abend, wie in der Berliner Waldbühne, mit dem Police-Hit „Every Breath You Take“. Das Lied von 1983 ist derart populär, dass der Sänger damit angeblich immer noch täglich 2.000 Dollar einfährt.

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Das intime „Every Breath“ liest sich auf dem Papier vielleicht ungeeignet für die Opener-Position. Aber die vierköpfige Band des 64-Jährigen weiß das schon durchzurocken. Vor allem Drummer Vinnie Colauita – und das erweist sich als Problem. Es wirkt vielleicht müßig, immer den Musiker des Originals, Police-Drummer Stewart Copeland, zum Vergleich heranzuziehen. Aber von der Qualität eines „Every Breath You Take“, dem Lauernden, geradezu Metronom-artigen, bleibt wenig übrig, wenn ein Schlagzeuger stattdessen immer schön auf die Becken drischt.

Colauitas Drumkit ist einfach zu groß, das verführt doch dazu, alles auszunutzen. Copelands Magie bestand darin, dass er eher wie ein Mann mit einer einzigen, umgeschnallten Trommel wirkte, der aber wie aus dem Nichts tausend Töne erzeugen konnte.

Aber als Rockbombe funktioniert „Every Breath“ anscheinend, das Publikum hat Sting mit seiner Hit-Offensive augenblicklich im Griff. Es sind dennoch die Solo-Stücke, die seine Musiker überzeugender interpretieren. Die lange nicht mehr live gehörte, Palast-artige Arabeske von „Mad About You“, auf dem „Soul Cages“-Album von 1991 komplex arrangiert, wird hier von Dominic Millers Gitarre nahezu alleine emporgehoben. „If I Ever Lose My Faith in You“ hat auch bald 25 Jahre auf dem Buckel, aber von Tournee zu Tournee noch immer denselben Schwung. Sting schließt jedesmal, Theater hin oder her, bei der Stelle „Every Time I Close My Eyes, I See your Face“ seine Augen.

Schweiss und Muskel-Shirt

Im Rahmen seiner voran gegangenen, „Back To Bass“ betitelten Tournee spielte er in kleinen Hallen. Sein triumphaler Auftritt in der Berliner Columbiahalle bot ganz den alten Proberaum-Sting mit Schweiss, Muskel-Shirt und definierten Oberarmen, umgeschnallt den abgeranzten Bass, dessen Schrammen vielleicht noch auf Streitereien mit den Police-Kollegen zurückzuführen sind. Diese Amateur-Power hat Sting für seine jüngste Konzertreise zum Glück beibehalten, er wirkt wieder wie ein Musiker, der vor Publikum arbeitet. Früher hatte man gelegentlich den Eindruck, Sting würde über die Köpfe seiner Zuschauer hinwegsingen und in Gedanken woanders sein.

Seinen Bass spielt Sting heute so bedächtig wie McCartney. Bei beiden wirkt es so, als wäre das Zupfen einer Saite wie das Umschlagen einer Buchseite, die in Ruhe gelesen werden will, erst dann geht’s zum nächsten Ton. Es funktioniert. Das Medley aus „Roxanne“ und Bill Withers’ „Ain’t No Sunshine“ ebenso, die Fusion aus Rock und Jazz hätte Stings Livealbum „Bring On The Night“ gut gestanden. Die lange Live-Fassung wird zum Showcase seiner Band, jeder Musiker erhält seinen Solo-Moment, und es gibt – was bei Pop-Konzerten immer ein wenig albern wirkt – Szenen-Applaus. Ebenso für Stings schwer zu verkaufendes Cover von Peter Gabriels „Shock The Monkey“. Mit dem Ex-Genesis-Sänger war er bis zur vergangenen Woche noch auf Tournee. Die Entscheidung aber, einfach dieses Lied – und eins von Genesis – in sein jetziges Solo-Repertoire rüberzunehmen, wirkt etwas gemütlich.

Ausflug in die Russendisko

Gegen Ende zwei Überraschungen. Zum einen „Englishman in New York“, das auf dem 1987er-Album „…Nothing Like The Sun“ eher verstörend, traurig, passiv-aggressiv erscheint, aber in der Waldbühne zum Reggae-Singalong wird. Die einst aus purem Zynismus in die Studiofassung integrierte HipHop-Passage nutzt das Publikum zur Stampf-Vorlage. Und dann, im Zugabenblock, „Desert Rose“ von 1999. Stings Teufelsfiddler, der gelegentlich von hinten die Bühne entert, macht aus dem orientalisch angehauchten Lied eine Russendisko. Sting lässt dazu von seinem Bass ab und spielt Handtheater vor dem Mikro. Man wünscht sich nur, das würde irgendwohin Schatten werfen. Und denkt außerdem, dass eine gute Entscheidung war, dass Sting vor allem auf sein Material bis, sagen wir, 1993 gesetzt hat. Es bleibt der Eindruck, dass Sting die verschiedenen Phasen seiner Karriere nicht harmonisch miteinander vereinen kann.

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Aber da war doch noch irgendwas anderes, oder? Natürlich, im November veröffentlicht Sting mit „57th & 9th“ wieder ein neues Studioalbum mit Rocksongs, das erste seit „Sacred Love“ von 2003. Neues Material daraus vorgestellt hat er leider nicht. Warum nicht?

Setlist:

Every Breath You Take
If I Ever Lose My Faith in You
Mad About You
Driven to Tears
Shock the Monkey
Invisible Sun
Dancing With The Moonlit Knight
Message in a Bottle
Fields of Gold
The Hounds of Winter
So Lonely
When the World Is Running Down, You Make the Best of What’s Still Around
Something the Boy Said
When We Dance
Shape of My Heart
Englishman in New York
Every Little Thing She Does Is Magic
Roxanne / Ain’t No Sunshine

Zugabe:
Desert Rose
Next to You
Fragile

C Flanigan Getty Images
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