Stoß der Lende

In der Satire "Bestseller" erzählt Klaus Modick gewitzt von den Absurditäten und Skandalen des Literaturbetriebs

Das Taxi bringt mich in die bessere Wohngegend mit der typischen Kaiserreichs-Architektur, die in Oldenburg aber immer noch nahe der Innenstadt liegt. Klaus Modick winkt durchs Küchenfenster – er kocht Kaffee – und empfängt mich herzlich an der Tür. Wir sind uns schon früher einmal begegnet, auf einer seiner Lesungen, insofern entfällt das erste vorsichtige Abklopfen heute. Vielleicht wäre es ohnehin entfallen: Modick ist angenehm unkompliziert, jovial, und auf seinen auch nicht mehr ganz jungen Zügen liegt ein schalkhaftes Lächeln. Die professionelle Deformation des Ironikers sozusagen.

Ich folge ihm in die Küche, auf dem Fensterbrett steht ein Ghettoblaster, daneben ein CD-Stapel, Leo Kottke liegt obenauf. Bevor wir mit Kaffee und Kuchen in sein gemütliches Arbeitszimmer verschwinden, dessen Wände vollständig hinter Büchern verschwinden, rauscht seine hübsche Tochter mit einem „Moin“ herein. Wir werden einander vorgestellt, aber sie hat es eilig. Modick bietet ihr Kuchen an und will ihr einen Teller zusammenstellen. „Nur eins“, ermahnt sie ihn und ist wieder weg.

Ich kenne sie bereits als quasiliterarische Figur aus dem „Vatertagebuch“, seinem vorletzten Buch, erinnere mich sofort an ein paar Szenen mit ihr und die etwas problematische Indiskretion dieses Projekts, die Modick durchaus mitreflektiert und für die er sich auch entschuldigt bei seiner Familie und die dennoch problematisch bleibt, wird sofort offensichtlich. Es ist mir fast ein bisschen unangenehm, ihr gegenüberzutreten – ein Gefühl, als hätte ich verbotenerweise in ihren Sachen geschnüffelt.

Später kommen wir noch auf das „Vatertagebuch“ zu sprechen, auf die Grundsatzfrage, wie weit man die Fiktion durchlässig machen darf für die Realität. Modick räumt ein: „Es haben sich manche Leute böse auf den Schlips getreten gefühlt. Das sind Leute, deren Namen ich gar nicht nenne, die auch keine öffentlichen Personen sind, die aber doch von einigen identifiziert werden. Zum Beispiel ein paar Lehrer von der Schule meiner Töchter. Die Schule weiß, die sind gemeint, aber sonst niemand. Was macht man da? Ich habe sehr böse, gekränkte, zum Teil auch anonyme Briefe bekommen. Das ist schwierig.“

Mit seinem neuen Roman wird es ihm wohl ähnlich gehen. Auch „Bestseller“ (Eichborn, 18.90 Euro), eine Literatursatire in der Tradition von Charles Simmons‘ „Beiles Lettres“, lebt nicht zuletzt von der Schlüssellochperspektive, der gezielten Indiskretion bzw. dem witzigen, gewitzten Spiel mit dem Wiedererkennen alter Bekannter oder auch nicht so Bekannter des Literaturbetriebs.

Lukas Domcik, Modicks Alter Ego – ein unschwer zu entzifferndes Anagramm seines Namens -, kennt der eine oder andere Leser vielleicht noch aus dem früheren Roman „Weg war weg“: Da jagt der Schriftsteller einem verlorenen Manuskript nach und ist letztlich doch ganz froh über diesen Verlust, weil es ihm immer fragwürdiger wird und weil das, was er auf der Suche erlebt, das volle Leben nämlich, sowieso viel besser ist. Jetzt, 20 Jahre später, kommt Domcik erneut ein Text abhanden – wenn auch nur metaphorisch: Hier geht seine Autorschaft verloren. Er erbt von seiner unlängst verstorbenen „Schwippgroßtante“ Thea, die sich als glühende Hitler-Verehrerin in der Familie unmöglich gemacht hat, ein Konvolut mit ihren unvollendeten Memoiren und poetischen Versuchen. Der von seinem penetranten Lektor um gängige Doku-Fiktion vorzugsweise mit Nazi-Thema angegangene Schriftsteller sieht seine Chance, klittert Theas Memoiren und macht aus ihr eine heldenmütige Adlige im Konflikt mit den Zeitläufen und „das weibliche Gegenstück zu Oskar Schindler“. Zwischenzeitlich verliebt er sich auch noch in eine verhinderte Schauspielerin – Rachel soll nun als fingierte Großenkelin und Autorin des Buches ihren hübschen Kopf in die Kameras halten, wenn „Vom Memelstrand zum Themseufer. Die Odyssee einer tapferen Frau durch tausendjährige Zeit“ erst einmal in den Talkshows angekommen ist.

Der Coup gelingt tatsächlich, das Buch wird mit einem gewaltigen Vorschuss gedruckt, die Kritik fällt fast einhellig darauf herein, aber dann emanzipiert sich die Marionette von ihrem Drahtzieher und betrügt den Betrüger Domcik, prellt ihn um die ihm zustehenden Tantiemen. Als er versucht, die Notbremse zu ziehen und seine Autorschaft zu beweisen, glaubt ihm natürlich keiner. Der Plot ist Fiktion, aber Modick nimmt in kleinen polemischen Einschüben – nur leicht chiffriert – so ziemlich alle Feuilleton-Skandale und Skandälchen der letzten Jahre aufs Korn, lässt vor allem die einschlägigen Fälschungs-Fälle Revue passieren. Etwa die Diskussion um das „Manieren“-Buch des äthiopischen Prinzen Asfa-Wossen Asserate, das wohl zu großen Teilen der befreundete Schriftsteller Martin Mosebach verfasst hat.

„Bei den Anspielungen auf Asserate hat Eichborn durchaus Bedenken gehabt“, gibt Modick grinsend zu. „Und das Problem ist folgendes.“ Das gelte übrigens auch für das, wie er meint, „weitgehend getürkte“ Tagebuch der Anonyma „Eine Frau in Berlin“. „Beide Titel sind in der Anderen Bibliothek erschienen, und das ist ein von der alltäglichen Verlagsarbeit fast autonom operierender Bereich. Es hat kein Lektor von Eichborn diese Bücher lektoriert oder Mitsprache gehabt; das hat immer alles Enzensberger exklusiv verantwortet. Eichborn sagt zu mir, und mir erscheint das glaubwürdig: Wenn es einer gewusst hat, dann höchstens Enzensberger. Und das wiederum würde auch gut zu Enzensberger passen, denn er selbst hat ja immer sehr gerne mit Pseudonymen und Mystifikationen gearbeitet.“

Die rettende Idee für seine satirische Anverwandlung dieser Episode habe dann Thommie Bayer gehabt. „Der sagte: Mach doch einfach eine Frau daraus. Und damit war das auch für den Verlag in Ordnung.“ Modick schüttelt den Kopf. „Auch albern, als ob das dann keiner merkt… Ich bin ja auch nicht der erste, der darauf kam, das ging ja durch alle Blätter, bis Mosebach sich dann bemüßigt fühlte, eine Stellungnahme abzugeben und zu sagen, er habe das Buch lediglich sehr gründlich lektoriert. Tja“, er hebt die Schultern und lacht. „Ich finde das auch weiter nicht schlimm, es war ja ein sehr gutes Buch. Auch die Mystifikation fand ich eigentlich ziemlich charmant. Auf die Idee muss man erst mal kommen.“ Ekelhaft werde es aber dann, „wenn es ins Abgeschmackte geht, wenn versucht wird, diesen ganzen Nazi-Scheiß auszubeuten, die braune Bonanza, wie ich das in ‚Bestseller‘ nenne“.

Da fällt ihm natürlich auch gleich Grass ein. „Günter Grass sagt, er war in der Waffen-SS. Da fasst man sich doch an den Kopf. Nicht darüber, dass er in der Waffen-SS war. Wann sagt er das? Er sagt das unmittelbar vor Erscheinen seines neuen Buches. Ich glaube mittlerweile so viel oder so wenig, beides, dass ich mich nicht mal wundem würde, wenn es nicht stimmt.“ Wir lachen beide. „Na gut, es wird schon stimmen, aber in der Logik meines Romans wäre jedenfalls auch das denkbar. Das wäre eigentlich nur eine Schraubendrehung mehr. Zuzutrauen ist da eigentlich allen alles.“

„Bestseller“ ist ein fintenreicher, selbstreflexiver, gelehrter, trotzdem nie langweiliger Roman, der vor allem durch seine stilistische Vielstimmigkeit besticht. Vom flachen Kalauer bis zur distinguierten Wissenschartsprosa – Modick bewegt sich souverän und behende in den verschiedensten Registern. Eins der Meisterstücke satirischer Stilmimikry ist Tante Theas Preisgedicht auf den Lebensborn, Blubo-Lyrik, die hübsch in der Schwebe bleibt zwischen Karikatur und realistischem Größenwahn der Zeit: „Im Horte meiner deutschen Schenkel/ Empfange denn, oh mütterlicher Schoß/ Des Führers Saat, Kinder und Enkel / Kraft deutscher Lende eisenhartem Stoß.“

Bei aller satirischen Aufgekratztheit, der Roman kippt immer wieder um in einen Bekenntnisessay. Es gibt da offenbar eine tieferliegende Ernstebene, eine Verletzung durch den Betrieb. „Das kann ich nicht leugnen. Lukas Domcik ist fiktiv, aber in dieser Figur stecke ich natürlich drin. Ich habe ein paar Dinge satirisch zugespitzt, aber manche kommen auch aus meinem Erfahrungsschatz. Bis hin zu dem Umstand, dass mich mal ein Verlag um zirka 5000 Exemplare beschissen hat. Wir sind für den Verlag wichtig, weil wir zuverlässig und regelmäßig arbeiten. Und in meinem Fall: Ich bin ein Autor, der fast immer schwarze Zahlen schreibt. Das ist dann eher für mich ein Problem, weil der Verlag eher Autoren pusht, bei denen man sich schon mal an den Kopf fasst.“ Extremes Beispiel: der Roman von Wolfgang Joop.

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