Stromschlag-Kids

Im Liverpooler Regen haben The Dead 60s gelernt, wie man blitzenden Reggae-Punk auf heutige Verhältnisse anwendet

Wir waren alle etwas nachlässig in den letzten Monaten. Jede dahergelaufene englische Band, die ein wenig Schnodder an der Nase hatte, haben wir ohne Umstände mit The Clash verglichen. Im Rückblick: ein Witz! Wir haben nicht mit den Dead 6os gerechnet. Die Dead 6os sind The Clash, vom doppelhalsigen Slogan-Gesang, den Hackmesser-Gitarren, dem Baß mit den hochgekrempelten Ärmeln über die Reggae-Schunkeleien bis zur Wortwahl. „Riot Radio“, „You’re Not The Law“, „Loaded Gun“ heißen ihre Lieder, und der entscheidende Unterschied ist nur: Bei den Dead 6os merkt man schneller, daß die Mietskasernen-Sozialreportage halt eine Kunstform von vielen ist, die keine praktischen Konsequenzen haben muß für die, die sie fabrizieren.

Wesentlich jünger als damals die Clash sind sie auch nicht, obwohl sie gefühlsmäßig als ganz frische Jungs aus dem Keller kommen. Bei Veröffentlichung ihrer ersten Platte „The Dead 6os“ sind sie zwischen 22 und 24, harmlose, leicht befangene Buben aus Liverpool, die natürlich nicht wissen, wie ihnen geschieht: In dem schwierigen US-Markt kam ihr Album bereits vorab im Juni heraus, weil die Nachfrage so groß war. Erklären läßt sich das kaum – möglicherweise ist der Punkrock-Ska die Art von typischer Britishness, die man in den USA am ehesten mag, weil es an der Westküste ähnliche Bands gibt. „Dort hat das mehr mit der kalifornischen Lebensart zu tun, da ist das Wetter schön, und die Leute sind fröhlich“, vermutet Bassist Charlie Turner. „Aber wir sind aus Liverpool, wo es alle zwei Tage regnet.“

Die vier kommen alle aus derselben Nachbarschaft im Liverpooler Süden, mit den Beatles haben sie nichts und mit den „Cosmic Scouse“-Bands The Coral und The Las schon gar nichts zu tun. „Es ist toll, was in den letzten Jahren alles in Liverpool passiert ist“, sagt Turner. „Aber das ist überhaupt nicht unsere Szene. Während im ,Bandwagon‘-Club die wichtigen Konzerte stattfanden, waren wir im Proberaum und haben an unseren Grooves gearbeitet.“ Als die Dead 60s ihren Plattenvertrag bekamen (lustigerweise bei Deltasonic, dem „Cosmic Scouse“-Label schlechthin), hatten sie noch keinen einzigen Auftritt in ihrer Stadt gespielt. Dead 60s heißen sie heute nicht zufällig, denn für die Sixties interessieren sie sich nicht.

Manche sehen schon ein umfassendes britisches Ska-Revival heraufdämmern, weil andere Bands namens Hard-Fi, The Ordinary Boys oder The Kooks in dieselbe Richtung gehen. Der Impuls ist freilich ein rein ästhetischer, anders als Ende der 70er mit The Clash und den Specials, als die rohe Mischung aus weißem Rock und schwarzem Ska etwas offensichtlich Politisches hatte. Die vier Dead 60s sind über genau diese Platten zu ihrem Genre gekommen, hören längst auch echten Dub und bemühen sich, das alles nicht nur zu kopieren. Wie ein Soundsystem lassen sie im Konzert ein Lied ins nächste fließen, improvisieren, spielen hart und virtuos.

Riesig war der Ärger, als sie diesen Sommer beim Glastonbury-Festival von der Liste gestrichen wurden, weil der Regen zu schwer war. Bis die Bühne genau zur Dead 6os-Stage-Time vom Blitz getroffen wurde.

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