Swinging Salzinger

Vor 40 Jahren war deutsche Pop-Kritik noch terra incognita. Doch mit den 68ern und Begriffen wie „Gegenkultur" und „Agitprop" sollte auch im Musikjournalismus eine neue Zeitrechnung beginnen. Helmut Salzinger alias „Jonas Überohr" stellte die Uhren um.

Vor fast 20 Jahren druckte eine kleine Kulturzeitschrift meinen ersten Artikel. Beifallheischend zeigte ich die Ausgabe den Kommilitonen, und einem sehr viel älteren Oberseminaristen fiel der Name eines anderen Beiträgers auf: Helmut Salzinger, das sei der Held seiner Jugend gewesen, erklärte er und schwärmte wortreich von einem Buch mit dem damals schon leicht abgestanden klingenden Titel „Rock Power“.

Für die nächste Nummer hatte man nun jenen Helmut Salzinger gebeten, „Blattkritik“ zu üben. Er ging also die letzten Ausgaben durch und monierte recht scharf die Angepasstheit und mangelnde Waghalsigkeit des Konzepts und nicht zuletzt der Autoren. Meine Textlette lieferte ihm ein Musterbeispiel für das, was er zu kritisieren hatte.

Jetzt wollte ich doch gern genauer wissen, was dieser Salzinger eigentlich für einer war, besorgte mir „Rock Power“ antiquarisch, las – und fand es zu meinem Ärger auch zwei Jahrzehnte nach seinem Erscheinen noch unangepasst, waghalsig, schlicht brillant.

Die USA hatten Lester Bangs, Richard Meltzer, Paul Nelson, Paul Williams, Greil Marcus etc. -Schriftsteller, die schon in den 60er Jahren Karrieren darauf aufbauten, dass sie über so etwas Triviales wie Rockmusik schrieben. In Deutschland fehlten die entsprechenden subsistenzsichernden Publikationsmöglichkeiten. Die Feuilletons der großen deutschsprachigen Tageszeitungen berichteten nur zaghaft und mit spitzen Fingern über die neue „Gegenkultur“. Das änderte sich erst Ende der 60er Jahre, und eine literarisch avancierte Popkritik begann nun auch hierzulande langsam Gestalt anzunehmen. Uwe Nettelbeck und vor allem Helmut Salzinger stehen für diese Entwicklung. Sie machten das junge Genre hoffähig.

Salzinger, frisch promoviert, aber schon angestunken vom Uni-Muff, beginnt Mitte der 60er Jahre als freier Literaturkritiker für diverse Rundfunkanstalten und Zeitungen, nicht zuletzt die „Zeit“, zu schreiben, wird dann aber bald angefixt von der revoltehungrigen US-Counterculture. Sein Versuch, sich als Poplyriker in diese Tradition einzureihen, scheitert. „Das lange Gedicht“ bleibt sein einziger Versuch: eine aufgesetzt delirante, Allen Ginsbergs „Howl“ hinterherhechelnde Beschwörung der „lange erwarteten lange gefürchteten lange verhinderten lange schon fälligen Revolution“, die er jetzt mithilfe „von heißen kreischenden jaulenden pfeifenden zischenden schnarrenden raschelnden schlürfenden gurgelnden sprechenden hustenden heulenden keuchenden krächzenden stöhnenden aufgedrehten überdrehten Verstärkern“ in die Tat umsetzen will. Es sind seine Konzertberichte, Platten- und Buchbesprechungen – Artikel über Jefferson Airplane, Grateful Dead, immer wieder Rolling Stones, Frank Zappa, The Fugs, Andy Warhol, Tom Wolfe, Rolf Dieter Brinkmann etc. -, die ihn bekannt machen. Salzinger erschreibt sich einen Ruf als Instanz für Popkultur und wird bald zu ihrem einflussreichsten Vermittler im bürgerlichen Mainstream, den er da schon längst verlassen hatte.

Dass sein Versuch, der Gegenkultur und ihrem linken Polit-Aktivismus in einem kulturkonservativem Medium wie der „Zeit“ eine Stimme zu verleihen, nicht lange ohne Sanktionen bleiben würde, hätte er sich denken können. Und vielleicht hat er sich auch so etwas gedacht und wollte es nur bis zum Äußersten ausreizen. Ein paar Jahre später schreibt er dazu in „Swinging Benjamin“: „Das Kapital, in dessen Hände sich die Zeitung befindet, verkauft mit ihr nicht einfach eine Ware, sondern eine Ware, die seine Herrschaft rechtfertigt… Er verfiele daher einer Illusion, sollte ein Autor mit der Möglichkeit rechnen, seine Auffassungen über die Notwendigkeit zu einer revolutionären Veränderung der Gesellschaft öfter als ein einziges Mal über die Zeitung zu verbreiten.“

Nun, ein bisschen öfter durfte er es schon verbreiten. Als er aber im Sommer 1970 in einem Artikel unverhohlen Werbung für Bootlegs macht und die Raubpresserei als emanzipatorischen Kampf gegen die Herrschaft der Kulturindustrie billigt, kommt es zum Bruch mit der Redaktion. Trotzdem bleibt es bemerkenswert, welche ideologischen Molotov-Cocktails er davor ins Blatt schmuggeln konnte. Etwa seine Besprechung von Jefferson Airplanes „Volunteers“. Das sei „schon deswegen ein gutes Album“, schreibt er in der regelmäßig von ihm belieferten Rubrik „Die neue Schallplatte“, „weil es die Widersprüche der bestehenden Gesellschaft bloßlegt. Die Revolution wird es nicht auslösen, aber es hilft mit, das Bestehende weiter zu unterhöhlen, wie auch das Scheitern von Frank Zappa, der MC 5 und der Stones mitgeholfen hat, das Bestehende soweit zu unterhöhlen, dass die Airplanes es schafften.“ Nämlich sich gegen ihr Plattenfirma durchzusetzen, die das Album zensieren wollte – und zwar nicht die Agitprop-, sondern vielmehr die obszönen Stellen. „Merkwürdig, nicht? Revolution, ja, weil verkäuflich; Obszönität, nein, weil möglicherweise unverkäuflich. Solange sich mit der Revolution Geld machen lässt, wird damit Geld gemacht. Ob die Jefferson Airplane dadurch unglaubwürdig werden?“

Eben das ist die Frage, der sich Salzinger in größerem Maßstab in seiner fulminanten, die Szene maßgeblich beeinflussenden Essay-Bricolage „Rock Power“ stellt. Er montiert hier vornehmlich fremde, aber auch eigene Texte, Zeitungsmeldungen, Magazinartikel, Lyrics zu einem vielstimmigen Dialog, zu einer Art Streitgespräch: Wieviel revolutionäres Potential besitzt die Pop-Musik denn überhaupt noch, wenn „das revolutionäre Engagement“ bereits „Teil der Bühnenshow“ ist?

Salzinger bemüht sich, die zeitgenössische Debatte zusammenzufassen und in den wichtigsten Positionen zu dokumentieren: die bornierte Reaktion des konservativen Bildungsbürgertums auf die „Negermusik“ ebenso wie die gelungene Vereinnahmung und also Domestizierung der revolutionären Attitüde durch den Markt; die daraus resultierende Grundsatzkritik der orthodoxen Linken und das hedonistische Revoluzzertum der Youth International Party, der „Yippies“, die nach eigener Aussage „die Politik der Neuen Linken mit einer psychedelischen Lebensweise verschmolzen“ haben wollten und sich über die Attribute „Acid, lange Haare, verrückte Kleidung, Pot, Rock-Musik, Sex“ identifizierten. Ihnen gehört Salzingers ganze Sympathie, und er hielt auch in seinem Auftreten nicht hinter dem Berg damit.

Der später mit Salzinger eng befreundete Schriftsteller Klaus Modick hat ihn damals in einem Seminar erlebt. Er sei ihm „furchtbar arrogant“ vorgekommen und etwas zu „zeitgeistig“: „Ganz in schwarz gekleidet, lange, bis zu den Schulterblättern reichende Haare, die wohl damals schon grau gesträhnt waren, randlose John-Lennon-Brille, über der Schulter eine dieser bunten, griechischen Hirtentäschchen. Aber was heißt schon ,zeitgeistig‘? So hatte man als radikaler Intellektueller bzw. intellektueller Radikaler – was er ja beides war und übrigens, im Gegensatz zu den Institutionenmarschierern, auch blieb – damals wohl auszusehen.“

Seinen Yippies jedenfalls traute Salzinger einschneidende gesellschaftliche Veränderungen zu – auch wenn er einräumen musste, dass die Revolution zumindest erstmal vertagt war und die Kulturindustrie sich eine goldene Nase an ihr verdiente: „Die Langhaarigen sind, auch wenn sie das selbst noch nicht wissen sollten, Revolutionäre, und ihre Musik, der momentan von den Feuilletonisten sämtlicher politischen Fraktionen als Konsumschund gescholtene Rock’n’Roll, bezeichnet, wie Jerry Rubin sagt, ‚den Beginn der Revolution‘, was immer die Vergnügungsindustrie aus dieser Musik gemacht haben mag.“

Hier haben wir Salzingers Credo: Es geht um die Unterwanderung des kapitalistischen Systems mit den Mitteln des Systems. In „Swinging Benjamin“ analysiert er genauer, auf der Grundlage der materialistischen Ästhetik Benjamins, unter welchen Bedingungen das möglich ist. „Rock Power“ ist da noch eher als eine vertrauensbildende Maßnahme gemeint, ein halsstarriges Insistieren auf der Revolution und nicht zuletzt eine suggestive Werbung für die – erstmals von Abbie Hoffman so genannte – „Woodstock Nation“, das heißt für eine undogmatische, heitere, ironische und vor allem revolutionäre Lebensweise im Hier und Jetzt: „Woodstock Nation bedeutet Verweigerung, bedeutet Abkehr, bedeutet Subversion. Woodstock Nation bedeutet den Bruch mit der bestehenden Gesellschaft, mit ihren Gesetzen, Traditionen, Werten und Normen. Woodstock Nation bedeutet, daß einer nicht länger mitmacht, daß er aufhört zu tun, was ihm gesagt wird, und statt dessen so zu leben versucht, wie er es selbst für richtig hält… Woodstock Nation ist ein Vorgriff auf die befreite Gesellschaft, ist der Beginn der Revolution.“

Nach vier Jahrzehnten Abstand mutet es einigermaßen fremd, beinahe rührend an, mit welchem Ernst und welcher ehrlichen Inbrunst Salzinger immer wieder diskutiert, ob bei diesem oder jenem Konzert von den Stones, Fugs, Jefferson Airplane, Dylan, Hendrix, Byrds etc. nun echte revolutionäre Entschlossenheit im Spiel war – oder eben doch nur bloße Attitüde, geboren aus marktwirtschaftlichem Kalkül. Oder sogar beides.

Aber man kann auch neidisch werden, wenn man hier noch einmal nachliest, welche gesellschaftliche Relevanz Popmusik und eben nicht zuletzt auch die Musikkritik einmal besessen hat. Vom intellektuellen resp. ästhetischen Anspruch sowieso ganz zu schweigen. Das ist doch Welten entfernt vom heute üblichen schnellfertigen Geschmacksfeuilletonismus oder dem sich immer stärker durchsetzenden leicht camouflierten Produktmarketing, das die zeitgenössische Popkritik zu dominieren droht – und mit Kritik eigentlich schon nichts mehr zu tun hat.

Ende der 60er Jahre zieht Salzinger aufs Land, zunächst ins niedersächsische Nartum, bald darauf nach Odisheim, und distanziert sich allmählich vom bürgerlichen Kulturbetrieb: „Aufgrund zunehmender Schwierigkeiten mit den Redaktionen“, wie er im kurzen Biogramm zu „Rock Power“ festhält, „deren politische Natur sich nach und nach herausstellte.“ Und wohl auch aus Enttäuschung über die eigene Wirkungslosigkeit. Nicht er und seinesgleichen veränderten die Kultur von innen heraus – der Betrieb korrumpierte sie. „Der Sog der Anpassung ist eben darum so übermächtig, weil er so überaus gesichtslos und und anspruchslos auftritt“, schreibt er an den befreundeten Fischer-Lektor Wolfgang Schuler. „Nur da diese kleine Bemerkung streichen, den Schlenker. Sicher, er ist ein Nichts. Aber dadurch, daß er weg soll, wird er zu etwas. Die Kritik ist nun einmal zu einem Dienstleistungsbetrieb geworden, und daß die Kritiker und alle sonstigen Beteiligten diese Tatsache mit Erfolg verdrängen, macht die Kritik für mich so überaus schwer, weil ich nämlich nicht gedenke, mich im Sinne dieser Branche verwursten zu lassen.“

Noch gibt er das große Yippie-Projekt nicht ganz auf. Und noch hat er auch ausreichend alternative Publikationsmöglichkeiten: das Magazin „Twen“ etwa, die „Frankfurter Rundschau“ und nach dem Bestseller-Erfolg von „Rock Power“ schließlich auch „Sounds“, das sich unter seinem Einfluss vom reinen Musikmagazin zur tonangebenden Postille für linke Gegenkultur transformierte. „Wir waren ja ziemlich unbeleckt, wussten noch gar nicht richtig, was wir machen wollten“, räumt der ehemalige Herausgeber Jürgen Legath im Gespräch ein. „Da kam uns Salzinger gerade recht. Seinen Einfluss auf die thematische Ausrichtung des Hefts, gerade in der Anfangszeit, kann man gar nicht überschätzen.“

Beim „Sounds“ findet er zumindest für zwei Jahre, 1973 – 1975, die Arbeitsbedingungen, die er sich wünscht. Und man räumt ihm genügend Platz ein: für Buch- und Plattenbesprechungen und nicht zuletzt für seine in der Szene bald bekannten „Jonas Überohr“-Kolumnen, die sich heute gesammelt als eine Art Langzeit-EKG der intellektuellen Erregungszustände jener Jahre lesen lassen.

Meinungsstark und sowohl theoretisch als auch literarisch auf hohem Niveau, hat er die zeitgenössischen Debatten jener Jahre aber nicht nur dokumentiert, sondern zugleich auch mitbestimmt. Er lässt zum Leidwesen des Drogen ablehnenden Herausgebers gleich in der ersten Kolumne eine Verteidigung Timothy Learys vom Stapel. „Ja, mit LSD kannte er sich gut aus“, erinnert sich Legath. Er schreibt einmal mehr über die kulturindustrielle Indienstnahme der Rockmusik und ihren daraus erwachsenden agitatorischen Chancen, über die Unterdrückung der nordamerikanischen Indianer, über linke Selbstermächtigung und die RAF, über die Ölkrise, über die Familie als kapitalistische Konditionierungsinstanz, über Frauenemanzipation – und bald auch über den totalen „Ausstieg“ aus dieser heillosen Gesellschaft.

Nicht nur bei ihm verwandelte sich die kulturrevolutionäre Euphorie der 60er Jahre mit den Jahren und dem Ausbleiben konkreter Veränderungen allmählich in Desillusionierung. Salzinger war in diesem Punkt ein gar nicht so untypischer Repräsentant seiner Zeit, allerdings wusste er seinen Sinneswandel so scharfsinnig wie kaum ein anderer der Eskapisten-Fraktion theoretisch zu unterfüttern. Nicht zuletzt infolge der Rezeption von Carlos Castanedas esoterisch-mythopoetischen Schriften schmolz er die revolutionäre Gesellschafts- in melancholische Zivilisationskritik mit radikalökologischem Einschlag um: „Die Befreiung, die heute von den Sozialisten angepeilt wird, ist viel zu kurz gezielt, weil sie die tieferen Ursachen der Unterdrückung, nämlich die Entfremdung von den natürlichen Lebensbedingungen des Menschen, vernachlässigt. Die wahre Befreiung… wäre eine Sprengung des historischen Kontinuums, die Benjamin meint, wäre der Untergang der Menschheit, von dem er spricht, nämlich der Untergang der weißen Rasse als des Usurpatorengeschlechts, als das sie vom Beginn ihrer Geschichte an aufgetreten ist.“

Die gesellschaftliche Revolution setzt also zunächst mal eine fundamentale Revolution des Bewusstseins voraus, deren Ziel es nur sein kann, die Ursünde, das alles beherrschende Rationalitätsprinzip zurückzunehmen und den mythischen Urzustand wieder in Kraft zu setzen. Und aus dem Umstand, dass damit sobald nicht zu rechnen ist, zieht Salzinger ganz pragmatische Konsequenzen. Wie schon Henry David Thoreau, dessen Hauptwerk „Waiden oder Leben in den Wäldern“ Salzinger enthusiastisch bespricht, macht er nun wirklich Ernst mit seinem Ausstieg. Der urbane Intellektuelle, der einst die elektrische Revolution beschwor, betreibt seine systematische Auswilderung. Er versucht sich an einer Vorwegnahme des Paradieses im Kleinen, an einer einfachen, bodenständigen Existenz im Einklang mit der Natur. In seiner Kolumne zitiert er David Crosby, der erklärt hatte, „wenn es zu Blutvergießen auf der Straßen“ komme, dann haue er ab und gehe angeln. „Ich glaub, ich geh auch angeln.“ Eine solide Erbschaft sorgte dafür, dass er sich den Spaß tatsächlich auch leisten konnte.

Der Waldläufer ist für die Popkultur verloren, und folglich äußert sich Salzinger in der Folgezeit nur noch sehr sporadisch dazu – und dann auch meistens rückblickend. So liefert er „75 Alternativübersetzungen“ zum „Rolling Stones Songbuch“ oder einen Katalogbeitrag zu einer Andy Warhol-Ausstellung.

Er erlebt in dieser Zeit aber auch einige tiefe Enttäuschungen mit der gegenkulturellen Szene. Die politische Linke beschimpft ihn als Reaktionär. Und der Versuch, nach dem Vorbild von MC 5 oder Grateful Dead mit Musikern in einer Rock-Kommune zusammenzuleben, geht völlig in die Hose, weil die Gruppe sich bald als „hin und her nippender Haufen von Egomaniacs“ herausstellt, der sich „zum alleinigen Zwecke des Schmarotzens zusammengefunden hat“, und Salzinger sie schließlich hinauswerfen muss. Nach diesen ernüchternden Erfahrungen zieht er einen Schlussstrich. „Für mich ist die Sache mit der Gegenkultur oder Alternativdingsbums erledigt“, schreibt er Trikont-Chef Achim Bergmann. „Ich habe damit nichts mehr zu tun, oder richtiger gesagt: Ich will damit nichts mehr zu tun haben. Ich widerrufe meine Hoffnungen.“

Späterhin nimmt er seine Distanzierung von der Subkultur teilweise wieder etwas zurück. In den frühen 80er Jahren geht er sogar noch einmal in die Offensive mit dem „Head Farm“-Konzept, einem Hybrid aus Landkommune und Warholscher Factory, das sich mithilfe zweier Kopierer und durch den Aufbau alternativer Distributionsstrukturen von der Kulturindustrie zu emanzipieren sucht.

Unterm Strich scheitert auch dieses Projekt: „Ich dachte, es sei möglich, Energien verschiedener Leute zur Erreichung eines gemeinsamen Zwecks gewissermaßen zu bündeln…, aber ich hatte doch meine Rechnung ohne die Kraft der widerstreitenden Egos, darunter sicherlich auch mein eigenes, gemacht. Es lief nicht oder lief nur zeitweilig. Oder es lief nicht so, wie ich das gehofft hatte.“

Immerhin, hier entstanden Salzingers selbstverlegte Gedicht- und Essaybände und über drei Jahre lang monatlich auch die „Falk“-Hefte (1984-1987), eine Zeitschrift für „alles Mögliche“, vornehmlich aber für ökologische, esoterische und literarische Themen, die zumindest idealiter im Kollektiv hergestellt wurde – meistens blieb die Arbeit dann aber doch bei Salzinger und seiner Frau Mo hängen. „Mo wird ja immer ganz falsch eingeschätzt“, weiß Peter Engstier, der Freund und Erbe des Nachlasses, der auch weiterhin fast das gesamte gedruckte Werk Salzingers lieferbar hält, „als so eine Art Küchenmamsell, die dafür gesorgt hat, dass was zu Essen auf dem Tisch stand, während sich Helmut und die anderen um die hehre Kultur gekümmert haben. Das ist völliger Quatsch, Mo war ganz wichtig für ihn. Da ging praktisch keine Zeile raus, die sie nicht abgesegnet hatte.“

„Falk“ war zwar nie mehr als ein Underground-Magazin von begrenzter Reichweite, hat aber zumindest das grüne Selbstverständnis in den frühen Achtzigern mitgeprägt und strahlte gelegentlich sogar in die Feuilletons aus. Von den popkulturellen Entwicklungen der Zeit war das alles jedoch weit entfernt. 1981, im März-Heft des „Sounds“, versucht er sich noch ein letztes Mal als Jonas Überohr in die laufenden Popgeschäfte einzumischen – mit einer harschen Polemik gegen die „gefräßige Generation“ der jungen Achtziger“. Aber obwohl es zunächst so aussieht, als wolle er die neuen affirmativen Oppositionsstrategien des Post Punk diskutieren, lässt er sich darauf gar nicht ein. Es bleibt bei einer pauschalen Denunzierung des vermeintlich wohlfeilen popkulturellen Widerstands, der sich um die eigentlichen, nämlich ökologischen Probleme herumdrücke. Die einzige Revolution, um die es heute noch gehen könne, sei eine anti-konsumistische: mit anderen Worten Verzicht „auf so gut wie alles in dieser unserer Zivilisationsgesellschaft, was bloß zum Konsum hergestellt wird und zu seiner Herstellung Elektrizität verbraucht“. Am Ende des Artikels bedauert er, dass „die Alliierten seinerzeit nach der Niederlage Groß-Deutschlands darauf verzichteten, den sogenannten Morgenthau-Plan in die Tat umzusetzen. Hätten sie das gemacht, wir wären heute fein heraus. Deutschland wäre Ackerland mit ein bißchen Handwerk und Klein-Industrie, allenthalben wehte die gesunde Landluft, und wir liefen alle in Holzschuhen herum, und Schweißfüße gab’s nicht.“

„Sounds“ veröffentlicht Salzingers eiferndes Öko-Bekenntnis mit einem redaktionellen Kästchen, in dem man sich deutlich distanziert. Der Text zeige, wie die Überlegungen „ehemals scharfsinniger und wichtiger Leute“ allein „dadurch nicht nur antiquiert werden, sondern richtiggehend an der Sache vorbeischießen, ihr nicht mehr gerecht werden, weil sich eben diese Leute .ausgeklinkt‘ haben.“ Wer „sich entzieht, darf sich nicht wundern, wenn sich Entzugserscheinungen zeigen – auch auf dem Gebiet geistiger Auseinandersetzung“. Das war nicht zuviel gesagt.

Salzingers Text über die „Greedy Generation“ bildet dann auch den Schlusspunkt von „Rock um die Uhr“, seiner Sammlung „kleiner Schriften zur Musik und Gegenkultur“, die im Jahr darauf im Selbstverlag erscheint. Das sollte wohl sein letztes Wort sein zu diesem Thema. War es aber nicht. Noch einmal holt er die Überohr-Fingerpuppe aus der alten Spielzeugkiste, für eine Selbstbesprechung des Buches in der „taz“. Selbstironisch skizziert er seine intellektuelle Position in den 70er Jahren und gibt auch ganz offen zu, dass ihm irgendwann „die Felle weggeschwommen sind“. Ein würdigerer Abschluss war das allemal. Am 3. Dezember 1993 starb Salzinger im Alter von 57 Jahren.

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