Tagebücher eines Taugenichts

1991 resümierte Bret Easton Ellis mit der bizarren Konsum- und Splatter-Travestie "American Psycho" Wahn, Leere und Horror der Existenz in den 80er Jahren - eine nachhaltige Verstörung

Als die Bombe platzte, war Bret Easton Ellis 28 Jahre alt. Man bedrohte ihn mit dem Tod, „American Psycho“ wurde in den USA indiziert, Mütter erkannten in dem jungen Mann den Gottseibeiuns, der Roman war ein Bestseller und so umkämpft wie „Lolita“. Schon fünf Jahre zuvor hatte Ellis mit „Less Than Zero“ ein ähnlich geschwätziges Yuppie-Inferno inszeniert; doch „Zero“ war nur eine Vorstudie für die Ein-Mann-Apokalypse auf 500 Seiten, ein Fanal von Kleidungsmarken, Restaurants, Mobiliar, Design, Menüfolgen, Fitnessübungen, Kokain, Sex und den grausamsten Schilderungen von Gewalt, die man je gelesen hatte – sofern man sie überhaupt aushalten konnte. Der Ruf nach dem Staatsanwalt war ein Hilferuf der Überforderung, denn Ellis‘ Monster schreckte vor keiner Perversität, nicht vor Nekrophilie und nicht vor Kannibalismus zurück.

„American Psycho“ ist einer der fürcherlichsten Romane der Literaturgeschichte – aber auch einer der komischsten und wahrhaftigsten. Als er nach New York gezogen war und jungen Börsenmaklern zuhörte, bemerkte Ellis, dass sie niemals über ihre Arbeit sprachen – immer nur von Clubs, Geld, Kleidung, Urlaub und Frauen. Es war also einerseits eine Fleißarbeit, all die Labels, Utensilien, HiFi-Gerätschaften und Unfugs-Speisekarten zusammenzutragen. Andererseits war es Ingenium, die Börsentypen und ein paar Freundinnen stunden- und also seitenlang in Telefonkonferenzen zusammenzuschalten, in denen es darum geht, in welchem Restaurant man sich am Abend trifft – während der Abend verstreicht. Es war ein großartiger Einfall, die Kleidung sämtlicher handelnder Personen (auch jener, die für die Handlung ohne Bedeutung sind) mit Herstellernachweis aufzuzählen, die Parfüms und Haar-Gels und Kreditkarten. Und es war außerordentlich amüsant, einen Langweiler die Prosa eines Urlaubsprospektes von den Bahamas aufsagen zu lassen, während Bateman ihm Ungeheuerliches anvertrauen will. Die Figuren in „American Psycho“ ignorieren den einen Grundsatz: Du sollst zuhören!

Der Name ist nichts

So sehr es hier auf Markennamen und Namedropping ankommt, so wenig spiegelt ein Familienname die Identität. Immerzu verwechseln die Makler jeden mit jedem, alle ähneln einander, allein die Visitenkarten tragen individuelle Züge. Donald Trump ist der wichtigste Name für Patrick Bateman, es heißt auch oft, Trump pflege hier oder da zu speisen aber sogar in den teuersten Restaurants ist er nie zu sehen. Bateman wird von fast allen mit anderen Namen angeredet, er gibt sich sogar selbst als Marcus Halberstam aus, um dem ominösen „Fisher-Account“ auf die Spur zu kommen. Der Verwalter des „Fisher-Account“, Paul Owen, besäuft sich aber bloß und verrät nichts, weshalb er schließlich zermetzelt wird. Am Ende seiner Mordserie fragt Bateman die Frauen nicht mehr nach ihren Namen, er tötet Namenlose. Das Verschwinden Owens erinnert ein wenig an Patricia Highsmiths „Der talentierte Mr. Ripley“. Und Bateman erhält ein Alibi, weil allerlei Leute glauben, er sei am betreffenden Abend mit ihnen zusammengewesen – sie hatten ihn verwechselt.

Musik des Zerfalls

Während Bateman einen Körper zerschnetzelt, läuft im Apartment „die neue CD der Traveling Wilburys“. Öfter schaltet er „die neue CD der Talking Heads“ ein. Ein Zitat aus einem Song des Albums „Naked“ der Talking Heads hat Ellis dem Roman als Motto vorangestellt: „And as things fell apart/ Nobody paid much attention.“ Vor allem zerfällt hier eine Persönlichkeit aus Angelesenem, Attitüden, Erscheinung und pathologischer Wut in ihre Bestandteile, verliert ein Mensch alle menschlichen Regungen, nimmt keine Rücksichten mehr, gibt sich sogar physisch als Ungeheuer zu erkennen (zur Halloween-Party erscheint er als „Serienkiller“, blutbefleckt und mit abgenagtem Finger-Accessoire, gewinnt aber nur den zweiten Preis). Merkwürdig, dass er in seinen Analysen der Musik von Genesis, Whitney Houston und Huey Lewis geradezu zartfühlend und zurückhaltend über die Werke urteilt. Während keine Merkmale klassischer Bildung, zumal in der Kunst, an ihm zu bemerken sind, äußert er sich eloquent, wenn auch klischeehaft im Jargon der kurrenten Pop-Kritik zum Ultratrivialen. Beim Abspielen der Talking Heads versagt einmal der Laser des luxuriösen CD-Geräts. In Batemans Wohung steht merkwürdigerweise eine Wurlitzer-Jukebox, aus der Sixties-Gassenhauer wie „Be My Baby“ tönen – wahrlich ein seltsamer Anachronismus bei jemandem, der keine Vergangenheit kennen will. Überall und jederzeit hört man „Les Miserables“ und „New Sensation“ von INXS.

Narzissmus und Sadismus

Körperpflege, Kleidung und Hygiene halten zusammen, was innerlich vollkommen hohl ist. Der Fitness-Club beschäftigt Bateman viele Stunden, seine Morgentoilette hat Ausmaße der Besessenheit, Massage, Maniküre und Pediküre genießt er ausgiebig. Der Sitz seiner Haare kann eine Panik bei Bateman auslösen wie sonst nur die telefonische Reservierung eines Tisches in einem Restaurant, das keine Reservierungen mehr annimmt. In einem Anfall von Irrsinn läuft er allerdings schwitzend, schreiend und mit Schaum vorm Mund durch die Stadt, dann gelüstet es ihn auch plötzlich nach Dosenfleisch, während er sonst nur die winzigen, absonderlichen Kreationen überkandidelter Feinschmecker-Küche, bizarre Teesorten und allerlei teures Obst zu sich nimmt. Er bewundert seine Bauchmuskeln und bemerkt bei einem Konzert von U2, dass Bono (der als Satan zu ihm spricht) nicht in bester körperlicher Verfassung ist. Frauen, die er begehrt, müssen „hardbodies“ haben. Bei einer Studentin bemerkt er die untrainierte Figur, sonst erfreuen ihn „große Titten“, allerdings fast immer im Zusammenhang mit sexuellen Perversionen.

Das bestialische, detailliert ausgemalte Schlachten seiner Opfer, das Zerteilen, Grillen und Essen ist für Bateman nicht nur der ultimative thrill es gibt ihm ein Körpergefühl (und ein Gefühl überhaupt), das ihm anderweitig vollkommen fremd ist. Wie im schlimmsten Albtraum von Alice Schwarzer hat er Frauen verdinglicht, er kann nicht einmal mit ihnen reden. Eine Prostituierte fragt er, ob sie schon einmal „herumgekommen“ sei, etwa „in Europa“. Die ihm begegnenden Frauen sind freilich austauschbar und agieren entseelt, wenn es nicht um Hochzeiten, Geschirr, Restaurants, Kleidung und Urlaubsreisen geht. Wenn er blutrünstige Drohungen murmelt, hören sie gar nicht zu oder verstehen alles falsch; manche deuten seine gefährlichen Marotten als skurrilen Humor. Die Männer sind nicht aufmerksamer und verstehen noch die deutlichste Anspielung als makabren Scherz oder zynische Gesachmacklosigkeit. Meistens endet eine Unterhaltung damit, dass jemand nach der Kombinierbarkeit von ausgesuchten Kleidungsstücken fragt oder nach einem neuen Club auf der Upper East Side.

Avantgarde des Tötens

Die Wirklichkeit bricht in die Welt Batemans ein, wenn er eine halbe Stunde am „Stairmaster“ im Fitness-Club warten muss. Oder wenn er abends „Videos in die Videothek zurückbringt“, eine häufig gebrauchte Ausrede, aber auch eine tatsächliche Beschäftigung.Im Videoladen leiht er Porno- und Gewaltfilme aus, und ein Angestellter schaut ängstlich um die Ecke, als der schon bekannte Kunde die Kassetten auf den Tresen legt. In der chinesischen Wäschereinigung kann Bateman sich nicht verständlich machen, verliert die Fassung und begegnet einer Nachbarin, die sehr wohl die Blutflecken auf den Laken erkennt, aber die groteskesten Erklärungen nur zu gern glaubt. Um sich mit Bateman für ein Abendessen zu verabreden.

Die Stumpfheit hindert auch einen Detektiv daran, Batemans hanebüchene Ausflüchte zu durchschauen – am Ende unterhalten sie sich über Designer und Shampoos, Batemans Nervosität ist verflogen. Überall erzählt er krude Lügen, doch gerade das Unwahrscheinliche wirkt authentisch. Wo alle dem nachjagen, was jeder trägt und hört, da ist der Soziopath der Avantgardist und Künstler seiner eigenen Existenz. Je stärker Bateman dem Wahn verfällt und Schutzmechanismen abwirft, desto grässlicher werden seine Morde, desto konsequenter schließt er er sich aber auch vom Kreis der Uniformierten aus. Am Ende schafft er sich so eine Identität.

Auslöschung

Das alles sei allein im Kopf seines Protagonisten geschehen, ließ Bret Easton Ellis einmal in Abwehrhaltung wissen. Vielleicht ist es auch nur im Kopf des Lesers passiert. Wenn die Gewalttaten unaussprechlich sind (unbeschreiblich ja nicht), dann sind sie womöglich Hirngespinste. „American Psycho“ treibt die makabre Komik auf die Spitze, indem der Hyperrealismus der Warenwelt mit einem barbarischen Surrealismus konfrontiert wird, der keine Psychologie zulässt. Alles ist Dienstleistung geworden.

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