Tanz den Tudjman

In Schußweite des kroatischen Krisengebietes wollte man ein Zeichen setzen. 8OOOO friedensbewegte Raver sollten mit Love & Peace Unity gegen Haß und Krieg demonstrieren. Doch der Techno-Trip geriet zum Totentanz.

von pharaonischen Dimensionen angekündigt: Ravers Beach. Über 350 DJs würden 14 Tage lang Zehntausende von Techno-Freaks beglücken, die dafür ausgerechnet nach Istrien kommen sollten, der kroatischen Halbinsel östlich von TriesL Zwei Hauptveranstaltungen würde es geben, und viele kleinere dazu. In den Pausen könnte man sich Wasserskifahren widmen, Tennis und – vor allem – Bungee-Jumping. Halbnackte Tänzer würden sich im Ecstasy-Rausch von Wäldern aus Kränen stürzen und an Gummiseilen über die Adria geschleudert werden. Am einen Ende wären Adidas-Leibchen und Plateausandalen ins Meer getaucht. Am anderen Ende hätte man von weit oben sehen können – bis Bihac und Sarajevo, wo alle Häuser brannten und Ströme flössen von Blut. Eigentlich ist die Musik schon fast wieder out. Dennoch brauste ich gen Süden. Plötzlich war die Autobahn leer. Im Radio hieß es, deutsche Blauhelmsanitäter wären in Split eingetroffen. Dann waren Hummeln im Äthei; und die Verbindung brach ab. Stunden vorher hatten 200 Kilometer weiter südlich die ersten DJs begonnen, auf dem Campingplatz von Preluk einen harten Kern von 150 Die-Hards mit Hardcore zu beschallen. Am ganzen Küstenabschnitt klirrten die Scheiben. Fronturlauber tasteten instinktiv nach dem Gewehr. Rotverbrannte Sonnenanbeter hoben ihr verschwitztes Haupt vom Handtuch, beschatteten die Augen und blickten mit gerunzelter Stirne hinaus auf den Horizont. Innerhalb der ersten Stunde gingen Hunderte von entsetzten Anrufen bei der Polizei ein. Die ersten Streifenerschienen vor Ort. Drogenfunde lieferten den Anlaß, gegen die sich nun doch noch einfindenden Partypeople vorzugehen. Autos wurden gefilzt, Hotelzimmer auf den Kopf gestellt, Leute teilweise wegen des Besitzes von Rolltabak für Stunden auf der Wache festgehalten. Es stellte sich heraus, daß Ravers Beach auf Treibsandstand. Um zwei Uhr nachts war ich in Opatija am Meer. Es gab Häuser im Zuckerbäckerstil und eine ausgestorbene Uferpromenade – von Techno aber keine Spur. Kaum ein Mensch war zu sehen, die Hotels wußten von nichts. Glasklar, daß hier etwas richtig schiefgelaufen war. In einer Kurve der gewundenen Hügelstraße stand ein warnblinkender Golf mit Siegener Kennzeichen. Er beherbergte Baseballmützen, Armeehosen, Hunderte von Schallplatten sowie die DJs Piers und Kotapski. „Sucht Ihr auch Ravers Beach?“ Ja. Wir sind hier pressemässig für jEmbargo‘. So ein Techno-Mag. Wir haben aber auch eine mobile Anlage mit im Wagen, um nebenbei ein wenig auflegen zu können.“ Vor uns hielt mit quietschenden Reifen ein Auto aus Rijeka. Wir fragten eines der Mädchen nach dem Weg. Sie versuchte, uns aus umkippenden Augen zu fokussieren. „Ecstasy?“ Ihre Pupillen waren wie die Scheinwerfer eines ausgebombten Kübelwagens. Dann verlor sie das Gleichgewicht und prallte rückwärts gegen die Tür. „Nee, nicht Ecstasy. Ravers Beach. „Da unten ist eine Diskothek namens XTC“, erklärte ihr Freund. „Vielleicht machen wir nachher auch Rrrrave. Aber erstmal betrinken wir uns weiter.“ Man hatte das „X“ im Namen über der Tür zensiert, der Gub hieß nun TG Eine Handvoll haarloser Knaben lungerte in Schlabbershorts auf dem Bürgersteig und schickte uns zum „Grandhotel Bellevue“. In der Lobby bot sich ein groteskes Schauspiel. Es bestand aus durcheinanderschreienden DJs, händeringenden Veranstaltern und einem besoffenen kroatischen Kellner, der hinter dem Empfangstisch stand und wahllos Zimmerschlüssel verteilte. „Erzähl mir doch nichts!“, gestikulierte ein wasserstoffblonder Schwabe. „Ich weiß doch ganz genau, wie das in diesem Geschäft ist Von meinem Geld werde ich keinen Pfennig sehen!“ „Ich würde trotzdem vorschlagen, Ihr wartet wenigstens Euer Booking ab. Ambient Art Festival und Coalmine Rave finden auf jeden Fall statt. Sonst sind wir jeden Abend im TC.“ „Du machst Witze! Der Typ ist hier mit zwei Mark achtzig in der Tasche erschienen. Kannst Du mir verraten, wovon der in den nächsten drei Tagen leben soll?“ „Weißt Du“, keifte die übermüdete Veranstalterin mit wachsendem Arger zurück, „es gibt DJs, die 6000 Mark pro Abend verlangen. Andere 8000, vielleicht sogar 10 000. Aber andere würden auch nur für 50 auflegen. Und warum? Weil es ihnen SPASS MACHT!“ ,,Darum geht es doch gar nicht. Es geht darum, daß ich 800 Mark für ein Flugticket gezahlt habe, um hier NICHT auflegen zu können!“ Andre Springer vom deutschen Mitveranstalter „Net Management“ erklärte, daß Ravers Beach von Bevölkerung und Polizei sabotiert worden wäre. Es hätte Verhaftungen, Lärmund Drogenprobleme gegeben. Nun würden sich DJs und Gäste gar nicht mehr ins Land trauen. Die Polizei hätte Wagen auf den Zufahrtsstraßen abgefangen, sobald die Insassen nur irgendwie nach Techno aussahen. Ganze Busladungen an Ravern hätte man nach Hause geschickt, tausende würden ziellos durch die Berge irren. Das Problem mit dieser Vferschwörungstheorie war nur, dachte ich dabei, daß die Buchungsagentur (ein Münchner Unternehmen mit dem euphemistischen Namen „Optima“) sämtliche Bustransporte am Vorabend storniert hatte. Es hatte vielleicht gar keine Busse gegeben. So ging ich aufs Zimmer und zog ein Buch aus meinem Rucksack. Es hatte den Titel „Generation of S wine“. Wie sich herausstellen sollte, hatte ich niemals prophetischer gepackt Nein, niemand hätte etwas gegen Ravers Beach, erklärte mir der Chef des Drogendezernats von Rijeka am kommenden Tag, ganz im Gegenteil. Allerdings wären größere Mengen an Rauschmitteln gefunden worden, und da müsse man einschreiten. 16 Leute wären verhaftet und nach Zahlung einer Buße des Landes verwiesen worden. „Das war das einzige Polizeiproblem bei dieser Veranstaltung“, schloß der Mann. „Stimmt es, daß ganze Wagenladungen und Busse voller Touristen angehalten und zurückgeschickt worden sind?“ „Nein. Das ist eine Erfindung.“ „Und hat die Polizei genehmigte Strandparties untersagt?“ „Strandparties sind nur bei Drogen aufgelöst worden. Die anderen haben nicht wir abgebrochen, sondern die Organisatoren, da niemand gekommen ist“ Es sollte nicht das erste Mal sein, daß in diesen Tagen Behauptung gegen Behauptung stand. Im Tourhotel herrschte ein Vertrauensklima wie an den Höfen von Caligula und IdiAmin. Berechtigterweise um ihr Geld fürchtend, ergriffen die ersten DJs schon am Morgen die Flucht. Mit dem Line-Up schrumpften auch die Chancen, durch die restlichen Veranstaltungen wenigstens so viel Geld hereinzuholen, um die eigenen Leute bezahlen zu können. Schließlich war ein braungebrannter Cosmic Baby der letzte verbleibende Star. Und der hatte zum Glück einen Vorschuß bekommen. „Du bist halt Cosmic und kannst Dir solche Forderungen lebten“, bemerkte P. Kjonberg vom Projekt „Humate“. „Nein, das ist es nicht Ich sichere mich immer ab. Die meiste Zeit hab ich eher zu niedrige Gagen verlangt Alle kommen halt und sagen: ,Ach, Cosmic! Toll, was Du da machst! Du mußt unbedingt auf meiner Party auflegen!‘ In dieser Branche herrscht ein solcher Nebel an guten Vibes, das arscht mich richtig an. Wenn sie das so toll finden, was ich mache, dann können sie es ruhig dadurch beweisen, daß sie mir einen Vorschuß zahlen.“ „Ganz genau. Bei welchem Label bist Du eigentlich?“ „Ich mach jetzt mein eigenes.“ Ja? Ich möchte mal ein eigenes Studio haben.“ „Das ist natürlich das beste, wenn man vollkommen unabhängig ist!“ Jede neue Strömung hat ihre Bewährungsprobleme mit dem eigenen Erfolg. Und vielleicht waren die ganzen gefloppten Technoferien dieses Sommers erstes Anzeichen dafür, daß irgendein Seismograph eine Entwicklung registrierte, die ihm gar nicht gefiel. Immerhin, es führte auch zu intensiven Stunden in der Lobby eines kroatischen Hotels. Zwischen regelmäßigen Krisensitzungen wurden letzte Gerüchte unter der Hand weitergegeben. Nervenbündel stolperten über hohe Stapel aus Koffern und Plattenkisten zum Telephon, um die Rüdereise zu organisieren. Gleichzeitig knüpfte man in ruhigen Momenten neue Kontakte, lästerte über das einfache Ravervolk und fachsimpelte über DAT-Recorder, Mischpulte und andere elektronische Gadgets, die hier Schlagzeug und Baßgitarre ersetzten. Keiner von uns bekam derweilen mit, daß am selben lag Srebrenica fieL „Es herrscht eine richtige Scheißstimmung hier“, meinte ein kleines Mädchen. „Da ist so ein DJ, mit dem ich mich ganz gut verstehe, und als sie uns dann auf der Treppe gesehen haben, hieß es sofort, ich würde mit ihm schlafen. Die denken wohl, ich bin ein Groupie oder so.“ „Arbeitest Du hier?“ „Als DJ-Betreuerin. Ich habe in den ersten Tagen 17 Stunden im Büro gesessen und Flüge sowie Transporte organisiert Nun hat man mich gefeuert: kein Geld in der Kasse.“ Ein paar Kilometer weiter hockte derweil ein phlegmatisches Häufchen auf den Kieseln des Strands von Medveja, umgeben von einem Meer braungebrannter Bäuche. „Wir haben bis elf Uhr Musik machen können“, meinte der niedergeschlagene Piers, „aber dann kam der Besitzer und hat aus Lärmgründen gedroht, uns rauszuwerfen. Schließlich haben sie uns ganz brutal den Strom abgedreht“ Die Serie von Mißgeschicken nahm ihren Fortgang, als Cosmic Baby sein Konzert in Pula gab. Zur allgemeinen Enttäuschung wurde die Veranstaltung von dem alten römischen Amphitheater in eine pyramidenförmige Glamourdisco verlegt Nur langsam trudelten die Leute ein. Viele hatten auf einpeitschende Beats gehofft und wußten mit den sphärischen Ambient-Klängen wenig anzufangen. Schließlich war draußen mehr los als drinnen, als die wummernden Bässe heranschlitternder Autos mit Jubelrufen und Trillerpfeifen begrüßt wurden. „Wegen der schlechten deutschen Organisation ist keiner hier“, knurrte ein Mädchen in Lederpants. „Es gibt Tausende von Ravern in Kroatien. Aber natürlich floppt die ganze Sache, wenn keiner weiß, daß sie überhaupt stattfindet.“ „Wie habt Ihr denn davon erfahren?“ „Deutsche Freunde haben uns mitgenommen- Aber in der Zeitung in Zagreb stand, daß Ravers Beach wegen Dezibel-Problemen von der Polizei abgesagt wurde. Am Telephon spricht sich das schnell rum.“ Eigentlich hatte das ganze Chaos vor drei Jahren begonnen, als Dean Zahtila und Kresimir Farkas, zwei in einem Örtchen namens Labin ansässige Künstler, ihren ersten Rave organisieren wollten. „Genau hier ist es gewesen“, sagte Dean, aber dann kam ein Wolkenbruch und alles ist ins Wasser gefallen.“ „Wir hätten das als Warnung nehmen sollen.“ „Es war Teil unseres Versuches, eine Underground-Off-Szene in Kroatien zu etablieren.“ Beide hatten schulterlange schwarze Haare, trugen schwarze Kleidung und sahen so Underground und so off aus, wie man es sich nur wünschen konnte. „Ein Freund von uns, Damir Tiljak, macht eine alternative Avantgarde-Sendung im kroatischen Fernsehen. Er hat JLabin Art Express‘, unsere Organisation, mit Andre Springer und JNet Management‘ in Verbindung gebracht Die hatten die ausgezeichnete Idee, einen Rave in Istrien abzuhalten. Wir haben gesagt, gut, wir können zwei Veranstaltungen in die .Biennale der jungen Künstler‘ aufnehmen: das Ambient Art Festival‘ und den ,Coalmine Rave‘. Nur, als Ausländer darfst du in Kroatien nicht arbeiten. Und so wurden wir für „Net Management‘ eine Art fertretung vor Ort Wir sollten mit der Polizei verhandeln, die Lizenzen bekommen usw.“ Im Haus hinter uns sang ein Folklorechor zum Akkordeon. Nach der ganzen Computermusik war die temperamentvolle Traurigkeit dieser Töne sehr schön. „Der Gedanke war, das geringe Startkapital in Werbung zu investieren, ab April Buchungen entgegenzunehmen und mit diesem Geld die Sache zu bezahlen. Über Fax vereinbarten wir alles nötige mit der Tourist Company von Rovinj. Sie sagten zu. und wir druckten die Flyer. Aber als wir dort erschienen, meinte der Direktor des Unternehmens, daß wir überhaupt nichts machen dürften, wenn er nicht erstmal eine halbe Millionen Mark Vorschuß bekäme. Da war es bereits schon Ende MaL Dann wurde auf die Schnelle entschieden, Ravers Beach würde nun in Opaü’ja stattfinden. Wir wollten Andre Springer überzeugen, daß es bereits zu spät wäre, aber er blieb weiter optimistisch. Wir haben ihm geglaubt – schließlich haben wir von der Branche keine große Ahnung.“ „Und was war das mit der Polizei?“ „Es gibt in Kroatien ein Drogenproblem, und die Polizei versucht, der Sache durch Repression Herr zu werden. Das Problem ist noch dazu, daß die Polizeidirektion von Rijeka (zu der auch Opatija gehört) keine Erfahrung mit Großveranstaltungen hat Wir hatten ein Treffen mit ihr, und sie waren sehr aufgeschlossen, aber als dann gleich am ersten Tag 80 Gramm Hasch und 20 Gramm Heroin gefunden wurden».“ „Und die Buchungsagentur hat nur Mist gebaut. Man sollte sie eigentlich verklagen.“ „Früher hatte ich den Deutschen immer vertraut Aber nun haben ihre Securities sogar das Handy von unseren Jungs mitgehen lassen. Für sie ist das vielleicht nichts, aber in Kroatien sind solche Dinge viel wert.“ Die beiden sahen mich vorwurfsvoll an. „Nun stecken wir in der Klemme. Schließlich haben wir als Vertretung vor Ort die ganzen Verträge unterschrieben.“ Dummerweise fiel ihnen das ein halbes Jahr zu spät ein. Dabei war es in Opatija eigentlich sehr schön. Man konnte ans Meer gehen und Calamares essen. Soldaten waren nicht zu sehen, die Liegestühle voller Urlauben Im Wasser knutschten einheimische Teenager. Einmal mehr stellte ich mir die Frage, wie man auf die Schnapsidee kommen konnte, in einem solchen Umfeld Technoparties abhalten zu wollen. So endeten wir mit einem kleinen Elite-Rave, der nur aus Crew ohne Kunden bestand. Dann erschien Roland, ein gewaltiger Deutscher mit wasserstoffblonden Zentimeterhaaren und Gliedmaßen so dick wie Baumstämme. „Ich sage Euch: Zagreb ist supee Zagreb ist geiL Ist viel geiler als Deutschland. Weil die Leute zu Techno da noch einen ganz anderen Bezug haben. Es gibt da das ,Aquarius'“, donnerte der gebürtige Lübecker, „das ist der beste Qub überhaupt. Ich hab da einen Stamm von Da können wir machen, was wir wollen!“ Er seufzte. ,Jetzt aber müssen wir wieder zurück nach Zagreb.“ Die Stimmung im Hotel war unterdessen noch nervöser geworden. Niemand wußte, ob der lose Zusammenhalt wenigstens bis zum Coalmine Rave halten würde. Dann wurso 500 Leuten. Die geh’n mit, das hast du bei uns gar nicht mehr. Wenn der DJ da oben steht und Peace äC Love 8i Unity predigt, dann stimmt das.“ Dann begann et, am Tisch Handzettel zu verteilen mit einer Felsschlucht und einem Vollmond drauf. „Kommt auf meine Party! Ich sage Euch, das wird nicht so ein Flop werden wie hier. Ich mache das mit meinen kroatischen Partnern. Auf einem alten Campingplatz. Mitten im Wald. den wir in das gegenüberliegende Hotel „Palace“ zwangsverlegt. Das Hotel war schöner als unser vorheriges Domizil, mit dem es Eigentümer und Speisesaal teilte. „Ich habe gehört, daß Du demnächst zurück nach Deutschland fährst?“, fragte mich die DJ-Betreuerin aus Hannover. „Nimmst Du mich mit?“ Sie hatte die Betreuung ein wenig zu wörtlich verstanden und mußte nun miterleben, wie sich zu ihren finanziellen Problemen noch emotionale gesellten. „Ich lebe seit zwei Tagen nur noch von Keksen und habe überhaupt kein Geld fürs Zugucket. Und versprichst Du nur, ganz vorsichtig zu fahren? Ich habe nämlich ein Trauma.“ „Was?“ „Ich hatte mal einen Unfall. Aber keine Sorge, ich werde nicht allzu sehr nerven. Ich nehme Beruhigungstabletten und werde die ganze Fahrt lang Lavendelöl einatmen.“ „Wenn Du hysterisch wirst, setzen wir Dich in den Bergen aus. Da ist alles voller Tschetniks, die machen mit Dir kurzen Prozeß.“ Ich sah an ihrem entsetzten Gesicht, daß sie mir für einen Augenblick glaubte. Das war mir egaL Schlaflose Nächte hatten mich zu einem primitiven Organismus verkommen lassen, dessen Lebensfunktionen sich auf die elementarsten beschränkten. Es war eine böse Wfelt Am Abend erschien ein deutsches Kamerateam. Der feiste Reporter schlug mir auf die Schulter. „Du siehst gar nicht aus wie ein BWLler!“, gluckste er. „Brauchst Dich nicht zu entschuldigen. Ich bin halt ein Alt-Linker!“ „Sofort zurückschlagen“, kam die lapidare Antwort, „der Mann ist ein Arschloch.“ Ich stürmte hinaus auf den Gang. Zu spät: Das Kamerateam war bereits im ,TC, wo sie erfolglos versuchten, das Mädchen aus Hannover zum Striptease zu bewegen. Am kommenden Morgen gingen sie durch den Speisesaal und überredeten wildfremde Leute, zu einer Strandparty zu kommen. Da Ravers Beach nun mal nicht stattfand, wollte man es wenigstens nachstellen. Sie schafften nicht einmal das. Abends fuhr ich mit Mark aus Göttingen zu Rolands Rave in die Pampa. Bald hatten wir die Küste verlassen und kurvten durch schwarze Tannenwälder und schnell ansteigendes Hügelland Richtung Karlovac Dort wurden in diesen Tagen lausende von Soldaten mit Panzern und Artillerie zusammengezogen, die nur wenig später zu der nur 50 Kilometer entfernten Moslem-Enklave Bihac durchbrachen. Natürlich hatten wir von alldem keine Ahnung. 80 Kilometer vor Karlovac erreichten wir ein Reckchen namens Lokve: tiefster Balkan. Einige Meter weiter stand ein handgeschriebener Wegweiser mit PARTY drauf am Strassenrand. Wir bogen ab, fast direkt in die Büsche. Ein breiter Lehmweg kam, an dem überall Polizei lauerte: Streifenwagen, Drogenhunde und Kofferraumkontrollen mit Taschenlampen. Dann holperte mein Auto weiter zur Tikketkontrolle. Wir parkten an einem Holzzaun. Er hatte nur eine Öffnung, an der wir nach Waffen durchsucht wurden. Dahinter zog sich die große Wiese eines unbenutzten Campingplatzes hinein in den Wald, wohin die Menschen strömten. Am Ende der Wiese flackerten Lichter. Es war hier viel höher als in Opatija, die Luft empfindlich kühl. Die Lichter waren die der ersten Tanzfläche auf dem oberen Teil der Wiese. Die DJs legten in einer Art von Hochsitz auf und spielten härteren Techno. Rechts ging es auf breiter Fläche in den Wald empor zum Chillout mit hölzernen Biertischen. Dahinter wurden Sonnenräder, geometrische Figuren und absurde Filmchen mit serbokroatischen Untertiteln auf eine steile Felswand projiziett. An der Felswand vorbei führte ein schmaler und steiler V&g zur zweiten Tanzfläche. Sie war kleiner, enger und vollkommen von Bäumen umschlossen. Dort tanzten Leute zu Arid, das sich im Laufe der Nacht zu Tribal House und schließlich klassischem House wandelte. Das deutsche Kamerateam bewegte sich wie ein elektronikstrotzendes Insekt durch den Disco-Nebel und endete bei Roland auf einem Felsvorsprung. Keine Frage, der Mann war ein Profi. Nun genoß er sich in vollen Zügen. „I promised you the real fäce of Croatia!“, schrie er in die Kamera, „This is the real face of Croatia! It shows, it shows! Unglaublich! 100 Kilometer weiter bringen sie sich um, und hier ist Love 8C Peace 8C Unity!“ „Du, ich war gerade bei so einem Dealer, um mir Ecstasy zu kaufen, und da kam ein Polizist“, sagte eine Wienerin aufgeregt. „Als ich ganz bleich geworden bin, da hat er nur gelacht und gesagt: .Mach Dir keine Sorgen, die gehören zu mir. Und weißt Du, wie viele er heute Abend verkauft hat? 7 500 Stück!“ Es mochten nie mehr als einige Tausend Leute gleichzeitig auf der Anlage sein. Der Mann hatte also gut lachen. Für ihn war das eine Bonanza. Polizeikontrollen hatten die Kunden vorsichtig gemacht und die Kleinkonkurrenz ausgeschaltet Trotzdem war der Abend genial Ich ging mit der Wienerin zum Life Art auf die obere Tanzfläche. Über den Rücken des DJs starrte ich auf den Bildschirm seines Computers. „Das ist alles?“ .Ja, der klickt bestimmte Fenster an, und dann kommen die Töne. Die Musik wird eigentlich nur mit der Maus gemacht“ „Der Typ heißt SteP, sagte ein Engländer. „Der ist hier sehr bekannt.“ „Kennst du dich hier aus?“ Ja, ich lebe in Kroatien. Die Techno-Szene ist hier sehr lebhaft, wenn’s um Enthusiasmus geht, vielleicht die beste in Europa. Früher, als ich noch bei den Royal Marines war. da war ich auch schon Raver. So ’88, ’89, als das bei uns mit der Housemusik anfing, war eigentlich jede Party so wie diese.“ „Und was verschlägt Dich ausgerechnet hierher?“ „Ich habe die Marines verlassen, um für Kroatien zu kämpfen. Eine scheußliche Sache, der Krieg. Wirklich, sehr finster. Irgendwann ging das halt nicht mehr, gleichzeitig Raver und Soldat zu sein. Ich hab mich fürs Raven entschieden. Möchte mir jetzt genügend Geld zusammensparen, um selber Platten zu kaufen und auflegen zu können.“ Dann blickte mir eine andere Wienerin mit Knopf in der Nase direkt in die Augen. „Das ist richtig leiwand für Dich, nicht wahr?“ Ja, es war richtig „leiwand“, richtig gut Die beste Musik, die nettesten Menschen, und wir surften auf einer Woge aus Glück und Housebeats hinein in den Morgen. Die Sonne hüpfte über die Baumwipfel: sieben Uht Im Verlaufe dieses Tages brachen die Überbleibsel von Ravers Beach endgültig ineinander zusammen. Die DJs wurden in einen anderen Ort mit unaussprechlichem Namen verlegt und sahen auch nach dem Coalmine Rave kein Geld. In Opatjja herrschte eine dumpfe Rette-sichwer-kann-Mentalität, da keiner für alle anderen die Zeche zahlen wollte. Andre Springer zeigte mir noch den Vertrag, auf dem ,Labin Art Express‘ für diverse nicht eingehaltene Verpflichtungen unterschrieben hatte. Dann hieß es plötzlich, er wäre verschwunden. Auch ich reiste ab. Und las dabei auf, was es noch aufzulesen gab: meine Freunde Mark und DJ Kotapski. Das Mädchen aus Hannover hielt einen alten Teddy auf dem Schoß. „Darf ich vorne sitzen?“, fragte sie unruhig, „ich muß wissen, was passiert“ Es war schon jetzt klar, daß es eine Höllenfahrt werden würde. „Nicht lachen“, sagte DJ Kopatski, „sonst wirst Du verhaftet“ Er hatte recht Man durfte ihnen erst gar keine Gelegenheit geben. Schließlich waren wir alle nur kleine Raver mit schlechten Karten und der Einladung zur falschen Party. Ich stieg ins Auto und trat aufs Gas. Hier lachten am Ende nur die Junkies. J3

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