Terry Pratchett – bis dato 22 bestseller

Der Job als Atom-Lobbyist hatte für Terry Pratchett Folgen: Er griff zur Feder und erschuf seinen flachen Planeten voller Freaks - eine Saga, die bis dato 22 bestseller füllt.

Der Weltraum. Unendliche Weiten etc. Und irgendwo weiter hinten eine gigantische Schildkröte. Auf dem Rücken dieser Schildkröte: vier Elefanten (auch die nicht gerade winzig!). Und auf dem Rücken der Elefanten: eine runde Scheibe, bevölkert von einem Multikulti aus Zwergen, Trollen, Menschen, Touristen, professionellen Meuchelmördern, tragisch magisch-minderbemittelten Zauberern und Drachen, die alles vollkacken. TOD ist auch dabei, steckt aber momentan in einer tiefen Identitätskrise.

Ausgedacht hatte sich dies durchgeknallte Szenario – damals, um das Jahr 1982 – der Pressesprecher einer Kette englischer Kernkraftwerke („Leck? -Welches Leck ?!“). Terry Pratchett (so heißt er) gab seinen Job anschließend auf, um Romane zu verfassen. – Nein, nicht über englische Kernkraftwerke. Was er dort erlebte, behauptet er, würde ihm eh keiner glauben. Pratchett beschrieb statt dessen seine gar seltsame Scheibenwelt. Inzwischen füllt sie 22 Bände. Der Sohn eines Automechanikers ist darüber zu einem der reichsten Männer Britanniens geworden – und zwei Tage vor Erscheinen dieser Ausgabe glatte Fünfzig: Herzlichen Glückwunsch, Terry!

Den Scheibenwelt-Süchtigen rückt dieses runde Datum ein klassisches Requisit ihrer Saga vor Augen: jenes Stundenglas, in dem unerbittlich wie unaufhaltsam die Jahre verrinnen. „So um zirka vierzig wird er wohl noch haben“, hofft die große Gemeinde der Pratchetteers. Denn die Welt (hier: die unsrige) verdankt diesem Schrägschreiber unzählige verkicherte Nachmittage auf dem Sofa. Beginnend mit „Sourcery“, dem Opus Nr. 5 (auf deutsch: „Total verhext“), sind alle Scheibenwelt-Romane an die Spitze der englischen Bestseller-Listen geschossen. Und die letzten beiden Romane – „Hogfather“ („Schweinsgalopp“) und Jingo“ – benötigten dazu gerade mal eine Woche. Mehr als elf Millionen verkaufte Pratchett-Bände sprechen fiir sich.

Weil es so gut paßt, nachfolgend ein paar Hinweise auf Opus No 16 („Soul Music“). Dessen deutscher Titel lautet nämlich: „Rollende Steine“.

Erraten: Hier geht’s um eine Band Und die nun besteht aus einem Troll (Stein-dn), einem Zwerg (hörn) und einem menschlichen Barden, der unschwer als Wiedergänger von Buddy Holly zu identifizieren ist (Wundergiü. Gast-Stan ein Orang Utan (piano – bzw. das, was nach einigen Takten davon noch übrig bleibt). Der Name dieser Combo: „Band Mit Steinen Drin“.

Deren rasanterAufstieg und Fall geriet Pratchett zu einem 379-seitigen Lehrstück über die diversen Risiken des Rockbusiness. Als da wären:

1. die Liebe,

2. debile Mitmusiker,

3. metaphysische Phänomene mannigfaltigster Art und Beschreibung,

4. das Merchandising.

Zu letzterem die Anmerkung, daß die „Band Mit Steinen Drin“ in unserer Welt auch als Buchstütze erhältlich ist. Mal ganz zu schweigen von den Scheibenwelt-Postern, T-Shirts, Puzzles, Computerspielen (das dritte ist gerade in Arbeit), Theaterstücken, den Sammelfiguren und dem Comic Ganz zu schweigen auch von Pratchetts Filmskript, das in Hollywood auf den Beginn der Produktion wartet. Die Frage, ob diese Spin-Offs in der Summe womöglich einträglicher seien als die Bücher, läßt deren Verfasser für einen Moment seine britische Contenance verlieren: „Du mußt verrückt sein!“, kreischt es drüben im grünen Wiltshire: „Nein! Nein! Nein! Die Bücher haben mir wirklich eine Scheißladung Kohle eingebracht.“ A shitload of cash. Damit kann man sich beispielsweise zum Geburtstag ein neues Bürogebäude kaufen und die geliebten Gewächshäuser vergrößern. Allerdings: Sean Connery habe garantiert noch etwas mehr auf der Kante.

Zurück zu der „Band Mit Steinen Drin“. Wie fast alles von Pratchett, entstand auch deren Geschichte unter musikalischer Dauerberieselung. In diesem Fall waren es Oldies. Manchmal helfen Tängerine Dream. Während unseres Telefonats liegen die Buggles auf dem Teilen Plastikpop der Achtziget „Rollende Steine/Soul Music“ beschreibt, wie der TOD das Vergessen sucht und daher der Fremdenlegion beitritt. Seine Enkelin Susanne – eigentlich noch im Internat – muß nun das Sensenwerk für ihn übernehmen. Die Aufgabe ist gewöhnungsbedürftig. Sie wird zum Problem, als es gilt, den Gitarristen des Trios aus dem Leben zu raffen – genauen von der Bühne eines turbulenten Etablissements.

Die junge Lady weigert sich, denn: Irgendwie ist der Typ dort oben ganz nett. Als sie jene Streitaxt festhalten will, die das Schicksal ihm zugedacht hat, geschieht etwas Seltsames: DieMusik des Trios wird lebendig: „Sie entfloh dem Gewöhnlichen und raubte unterwegs noch eine Bank aus. Wer sie hörte, würde, aus lauter Experimentierfreudigkeit, die Finger in die Steckdose des Universums schieben. Sie machte die Leute wünschen, daß sie die Wände des Schlafzimmers schwarz gestrichen hätten, um anschließend Poster aufzuhängen.“ -Wie es ausgeht? Der Gitarrist endet als Verkäufer in einem Fischfachgeschäft.

In der Vollversion ist das äußerst pointiert und bisweilen reichlich gaga heruntererzählt. Beinahe auf jeder Seite hagelt es Verweise, deren Entschlüsselung den Leser zum Komplizen des Verfassers macht. Trivial Pursuit meets ParsivaL Pratchett spielt dabei auf dem Fundus der Popkultur, wie Susanne einst auf den Rippen des Großvaters. Andere Kinder bekommen zum Geburtstag ein Xylophon. TOD zog damals einfach das Hemd aus.

Wer seine Lektüre auch sonst aus Drehständern bezieht, wird sich an Douglas Adams erinnert fühlen („Per Anhalter durch die Galaxis“, usw.). Dem Erfinder der Scheibenwelt steht dieser Vergleich längst bis zum KragenknorpeL Er bewundert Chesterton („Pater Brown“), William Goldmann („Die Brautprinzessin“) und mag natürlich Terry Gilliams „Time Bandits“.

Uns Zeitgenossen amüsiert derweiL wie hier die Gattung „Fantasy“ zerlegt wird und dabei ihrem angestammten Biotop entrissen: den feuchten Händchen Pubertierender. Escape-Reading mag man das nicht mehr nennen. Eher im Gegenteil. Je weiter die Saga voranschreitet, desto komplexer und tiefer die Bezüge. In den USA hat ein Verlag seine nebenbei verfaßte Jugendbuchreihe mit der Begründung abgelehnt, sie sei für US-Kids zu intelligent geschrieben. „Man wirft Dir inzwischen vor, Literatur zu produzieren“, stichelt der Anrufer. „Ich verneine das!“, kichert es am anderen Ende. „Ich denke, ich sollte dagegen klagen.“

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