The Blue Man Group

Pentium pop

Bisher kannte man die drei Blaumänner nur aus der Intel-Werbung. Dach hinter der HLUE MAN GROUF verbirgt sich ein Kreativ-Kollektiv aus New Ynrk, das mit seinen Multimedia-Shnws und den seihst konstruierten Instrumenten in den USA für Furore sargt. Mit dem ersten Älhum im Gepäck, soll nun auch die Musikwelt erobert werden VDN STEFAN KRULLE Die besten Plätze sind die, wo man einen in Stücke geschnittenen Müllsack geschenkt bekommt. Reihe eins bis vier, die Gefahrenzone. Ab Reihe fünf wird schon gelacht. Ganz putzig sehen die da vorne aus, eingewickelt in eine schweißtreibende und zudem unkleidsame Folie. Doch hier, an New Yorks Astor Place in der Lower East Side und damit so weit „Off Broadway“, wie es nur geht, besucht niemand ein Theater, um seine jüngst erworbene Abendgarderobe vor den neidischen Augen anderer spazieren führen zu wollen.

Drei Männer, groß und schlank und mit kahlen Köpfen wie in blauen Lack getaucht, sind hier seit dem Debüt vor nun zehn Jahren zur Sensation geworden. Um die Blue Man Group mit dem adäquaten Preis zu ehren, erfand das New Yorker „Drama Desk Committee“ sogar eine neue Kategorie und verlieh den Gründern Matt Goldman, Phil Stanton und Chris Wink den Pokal für ihre „Unique Theatrical Production“. Womit die schönste Serien-Sauerei Manhattans sanktioniert und fast noch in den Adelsstand erhoben wurde.

Goldman, Stanton und Wink residieren inzwischen am Broadway, wenn auch an dessen „billigem“ unteren Ende. Und auf der Bühne steht das findige Trio längst nicht mehr. Hundert Meter Flure verbinden heute die Büros ihres Unternehmens, dessen Geschichte zu den erstaunlichsten selbst in Amerika zählt und womöglich Schule machen wird. Wenn die Blue Man Group sich heute als „100% Independent“ beschreibt, dann schütteln wir, reich an Erfahrungen mit diesem ach so arg strapazierten Terminus und all jenen, die ihn wider besseren Wissens für sich in Anspruch nahmen und nehmen, nur kurz das Haupt.

Bis ins Jahr 1987 müssen Goldman und Wink (der Kollege Stanton kann an diesem Tag nicht mit uns sein, weil ein Blizzard über New York ihn anderswo ins Wartezimmer zwingt) sich zurück erinnern, um ihre Biografie von Anfang an zu erzählen. Um schließlich dort zu landen, wo Kultur und Pop gemeinsam wieder eine Zukunft haben. Ein Weg voller Abenteuer, Anekdoten, Pointen und vielleicht sogar ein paar hübschen, klitzekleinen Übertreibungen.

„Man könnte sagen“, ergreift Chris Wink das Wort und füttert dabei seinen Dackel mit grünen, quietschenden Gummifröschen, „dass es, bevor es eine Show war, eigentlich work inprogress gewesen ist. Und bevor es work in progress geworden ist, war es nicht einmal Arbeit.“ Einen Plan jedenfalls, soviel sei sicher und hatten wir auch schon vermutet, „gab es damals nicht. Wir starteten mit Happenings, Street Performance, so eine Form von sozialem Experiment einer Stadtguerilla.“

Haben Sie es bemerkt? Die sachte Steigerung, bis man eine Bedrohung zu erahnen glaubt? Die Leute in den Plastiksäcken kennen das auch. Doch davon später. „Geredet haben wir natürlich nächtelang“, sagt nun Matt Goldman, „und die Gespräche kreisten immer um zwei Themen: Was finden wir wirklich aufregend, was frustriert uns maßlos?“ Ging das Gerede um Zweiteres, wurden die Nächte besonders lang. „Da gab es derart viel auf der Kultur-Szene, was wir überhaupt nicht mochten, dass irgendwann eine ungeheure Energie entstand, dem etwas entgegen zu setzen.“ Die hat bis heute nicht nachgelassen. Fragen Sie mal die Leute in den Mülltüten.

Manch anderer würde nun von Ambitionen faseln, von heren „Zielen und dem großen Plan zur Rettung einer ganzen Epoche. Brauchen die Blue Men aber nicht, sie haben schließlich eine Historie. „Im Grunde ging es uns allen ja zunächst bloß darum“, grinst Wink, dessen Dackel inzwischen Austerncracker frisst, die wenigstens nicht wie die Gummifrösche quietschen, „erst einmal diese saublöden Achtziger zu überleben. Wir fanden in diesem eigenartigenjahrzehnt einfach keine Verbindung zur Zeit und schwebten eine Dekade lang mehr oder minder hilflos im Schwerelosen. Wenigstens als Kulturschaffende.“ Jetzt streichelt er seinem Dackel das bunt gestreifte Pullöverchen und findet, dass er diesen Punkt seiner Biographie eigentlich noch nie besser formuliert hat. Der umhegte Dackel frisst im Moment gar nichts mehr.

Schwarz ist die Bühne, Licht ist Mangelware noch, nur die drei Köpfe und sechs weiße Augen wackeln ganz da vorne, als solle nun jemand mit Bällen auf sie werfen. Das lässt an Jahrmarkt denken und der Gedanke passt sehr gut hier her. Nun trommeln sie, recht sparsam und dann immer dichter, härter. Bis einer, der ganz links, seinen Mund plötzlich öffnet und zitronengelben Saft aufsein Trommelfell spuckt, gleich literweise. Der zweite rot, der dritte hell orange. Dann trommeln sie noch lauter, und die bunte Suppe spritzt empor wie Feuersäulen, ist beleuchtet jetzt, man weiß nur nicht woher. Die Ohren werden heiß, die Augen brennen, und man wünscht – bis auf die paar armen Tröpfe in ihren Müllsäcken, die vorn unter Beschuss stehen – das möge immer weitergehen.

Tut es aber nicht. Zum Glück, denn immer ist die nächste Nummer besser als die vorherige; was ein Spannungsbogen ist, muss niemand den Blue Men erklären. Ganz oben rechts sitzt eng und unbequem ein Trio Furioso hinter Schlagwerk, Keyboards und Gitarre, unten schwenken die Blauschädel jetzt Tafeln mit Laufschriften durchs Dunkel, jeder eine. Wir sollen uns entscheiden, wessen Botschaft wir wohl lesen möchten. Und nur bei der einen bleiben, bitte! Was natürlich niemand tut, und das hat böse, amüsante Folgen. Wen Dada rechts nicht halten kann, der liest links nur noch Gaga. Es ist die pure Lust, sich anschließend von den Akteuren harsch beschimpfen, anpöbeln, bemitleiden, verarschen zu lassen. Bis dann die Trommeln wieder dröhnen, zu Musik, die doch nur Vorspiel für die große Oper ist.

Als aus der Absicht, „unsere Entfremdung in Kunst verwandeln zu wollen, die Blue Man Group geworden war“, erzählt Chris Wink und verweigert dem Dackel einen Löffel Kohlsuppe, „stellten wir uns die nächsten Fragen. Würde sich unsere Idee einer Mixtur von Punk 8C Dance und Art 8C Science ohne großen Maschinenpark verwirklichen lassen? Ich wollte ja nun Kraftwerk nicht umsonst gleichzeitig geliebt und gehasst haben.“ Und dann gab es jene Initialzündung, die es zum Beginn der Karriere eben nicht gegeben hatte, „und wir sahen das Balanescu Quartet mit seinen Kraftwerk-Adaptionen. Diese unglaubliche Idee, mit Violinen eine Maschine zu imitieren, die Violinen imitiert. Wir wollten auch Maschinen imitieren, ohne welche zu benutzen.“

Also bauten sich die Blaumänner welche, die aber bloß so aussahen und in Wahrheit eigentlich doch gar keine waren. Und heute verfugt das Trio über die vermutlich ungewöhnlichste Sammlung instrumentaler Unikate, die nie ein Mensch zuvor gesehen und gehört haben dürfte. Aus weißen PolyvinylchloridRöhren, mit denen Papa sonst den maroden Abfluss in der Küche erneuert, haben sie abenteuerlich und abstrus aussehende Gebilde zusammen geklebt, die Tubulum und Drumbone, Backpack Tubulum oder schlicht The PVC Instrument heißen und stumm zur Ausstellung arrangiert allein schon den Besuch lohnen würden. Mit ihnen oder einer Auswahl von ihren beschallte die Blue Man Group fortan jede Show und wurde langsam, aber ziemlich sicher zum definitiven Geheimtip in der Szene.

„Unglaublich viel Mut hat uns dieser Zuspruch gemacht“, sagt Matt Goldman, „es schien fast so, als habe eine kleine, aber doch nennenswerte Gruppe von Menschen in den Startlöchern gestanden, die nur auf Theater wartete, das ihnen einfach niemand mehr bot.“ „Cats“ und „Das Phantom der Oper“ genügten halt doch nicht jedem, „wenn ich mir so ansehe, wie viele Leute heute in kreativen Berufen arbeiten und selbst Künstler sein könnten oder sogar sind“, meint Wink und futtert den Dackel nun mit einem Schal, „dann müssen die fast alle in einem kulturellen Versorgungs-Vakuum überwintert haben. Die lockst du doch nicht in die 42nd Street!“

Wohl aber in die Bowery, wo in der Nachbarschaft das „CBGB’s“ still und leise vor sich hin rottet, wo der „Bowery Ballroom“ und ,J oe’s Pub“ mühsam alte Herrlichkeit beschwören und am St. Marks Place verkannte Dichter ihre Verse deklamieren, wenn nicht gerade der Blizzard tobt Der tobt zuweilen auch indoors übrigens. Wie sonst wäre zu erklären, dass die 300 im Saal sich vergeblich stemmen und wehren gegen die weiße Macht, die von hinten auf die Schultern drückt und den Atem raubt? Geschürt von irgendwelchen Reitern der Apokalypse, ohne Pferde zwar, aber mit blauen Köpfen, die ein paar tausend Meter Klopapier in die Windmaschinen hängen und über ihr Auditorium spannen. Auch die sozialen Experimente, von denen Wink gerade noch sprach, sind also nicht ad acta gelegt. Wie sowieso „unsere guten Ideen von früher nicht ins Archiv, sondern in die Recycling-Anlage wandern. Das wäre sonst ja auch viel zu teuer.‘ Der blaue Mann denkt also sogar noch wirtschaftlich…

Und als wir ihm das auch noch sagen, ist Gesprächsstoff für eine weitere Stunde gegeben. Die Flure und Büros der Blue Man Group am Broadway nämlich sind keineswegs mit altem Gerumpel vollgestellt, sondern mit etlichen Mitarbeitern besetzt. Fast 400 sind es insgesamt, denn das Projekt Blue Man Group ist ja längst kein Happening, kein Guerilla-Trupp und auch kein Hobby mehr, sondern ein Unternehmen mit vier festen Theatern. In New York, Boston und Chicago sind das noch eher kleine Häuser, das 2000 in Las Vegas eröffnete Theater aber verfugt schon über 1200 Plätze und bietet zwölf Vorstellungen pro Woche an. Alleine darüber könnten Wink und Goldman ein Stündchen schwätzen.

Zur einer dezidierten Wahl ihrer eigenen Worte indes zwingt man die Herren, wenn man sie fragt, welcher Major denn hier aus dem Off die Feder führe.

Die Antwort ist zunächst kurz gehalten: „Keiner“, sagen beide unisono. Was aber niemand ja so ohne weiteres glaubt. „Den Dialog über dieses Thema führen wir seit dem ersten Tag“, meint Wink, „und die erste Versuchung, der wir nach dem Anfangserfolg zu widerstehen hatten, waren diese neunmal klugen Leute, die plötzlich in Kohorten vor der Tür standen und uns megatolle Tipps geben wollten. Blow up your Business, push up your income!“ Bis zum heutigen Tage sind die Blue Men ohne Manager, ohne Agenten, „ohne all diese Satelliten durchs Leben gekommen“. Und nichts verraten sie lieber als ihr genialisches Rezept dafür. Wink füttert noch rasch seinen nimmersatten, aber erstaunlich schlanken Dackel mit Fingerfbod vom Chinamann, dann beginnt die Lehrstunde in Sachen Independent wie man’s wird, wie man’s bleibt.

„Unser Schlüsselerlebnis war wohl damals der Schritt vom Underground zum Off Broadway, hier in dieses Theater.“ Dafür hätte es Investoren und Produzenten gegeben, denen sie zwar „nie die Rechte an unserem Namen, am Konzept oder der Musik übertragen haben“, die aber trotzdem mitreden wollten. Das war den Gründern „dermaßen unangenehm, auch wenn’s nur um Kleinigkeiten wie die Teamgröße ging, dass wir überlegten, welchen Nutzen wir nun aus unseren recht speziellen Verträgen mit denen ziehen könnten“. Die nämlich besagten, dass die Fremdakteure drei Jahre lang einen festen Prozentsatz an sämtlichen Einnahmen der Blue Men erhalten würden, „ob wir nun Filme, Werbung oder sonstwas gemacht hätten. Das war natürlich cool, denn wir taten drei Jahre lang einfach nichts.“ Bis auf Theater spielen, 1200 Vorstellungen in jener Zeit, da Wink, Goldman und Stanton sich noch selbst jeden Abend das blaue Latex über die Köpfe zogen und Leute erschreckten. Aber das warf ja noch keine großen Gewinne ab, zumal die drei Einzelkämpfer jeden übrigen Dollar in die Entwicklung ihres bizarren Instrumentariums steckten. „Von dem Album, dass wir endlich aufgenommen haben, träumten wir ja schon lange.“ (Ihrejüngst erschienene LP,y4w//o“gibt uns Westeuropäern zumindest einen akustischen Eindruck. Dennoch vermittelt sie nur rudimentär etwas von dem, was eine Show der Blue Men ausmacht) Es waren viele und sehr lukrative Angebote, welche man damals ausschlug. „Filme, Soundtracks und Werbung. Da wollten Leute bis zu $50 Millionen investieren, aber dann natürlich auch mitreden.“ Matt Goldman lächelt. „Dass hier kein falscher Eindruck entsteht: Ich habe nichts gegen dieses System, und ich persönlich würde schon bei #10 000 aus meiner eigenen Tasche Mitentscheidungsrechte verlangen. Aber wir hatten darauf halt, so einfach wie wahr gesagt, keinen Bock.“ Und als das Unternehmen endlich schwarze Zahlen schrieb, waren die drei Jahre auch gerade abgelaufen. Seither wird investiert, was das Zeug hält. Und gute Angebote schlägt man auch nicht länger aus. Dank ihrer spektakulären Werbe-Kampagne für Intel Pentium sind die New brker mittlerweile mindestens optisch weltweit bekannt; gerade ist eine Fortsetzung der Spot-Serie verhandelt worden: Auftragsvolumen: 75 Millionen grüne US-Dollars. Solche Summen sind zwar auch für die Blue Men keine Peanuts, machen ihnen aber längst keine Angst mehr. „Und im Grunde arbeiten wir jetzt wieder wie früher auf der Straße: Wir sind unsere eigenen Produzenten und Investoren. Wir leben nur halt nicht mehr lowbudget und investieren manchmal in mehr als nur ein warmes Mittagessen.“

Zum Beispiel in das Theater in Las Vegas. „Ein gutes Beispiel dafür“, meint Goldman, „wie organisch wir wachsen“. Mitte der Neunziger hatten sie begonnen, sich erst für ihre Instrumente, unter denen sich auch eine recht sperrige „Big Drum“ mit sechs Metern Durchmesser und der ebenfalls voluminöse „Shaker Gong“ befinden, die entsprechenden Räume zu erwerben, dann wurde ein Studio eingerichtet. Resultat all der kapitalintensiven Aktivitäten ist, wie gesagt, ihr Album „Audio“, das gerade für den Grammy in der Sparte „Best Instrumental Performance“ nominiert war, ohne allerdings den Preis gleich auf Anhieb zu gewinnen. Macht nichts, die Platte bleibt ein spannendes instrumentales Konglomerat aus archaischen Rhythmen und Future-Sounds, meist tanzbar, oft verwirrend, stets ohne den Einsatz irgendwelcher synthetischer Helferlein gefertigt.

„Wir werden zwar mitunter nostalgisch genannt“, grinst Wink, „aber warum trauen diese Leute sich nicht, das Kind beim Namen zu nennen? Wir gehen doch in Wahrheit nicht blauäugig durch die Fünfziger, sondern konsequent zurück in die Steinzeit. Da haben die Leute auch auf Knochen getrommelt und die ganze Zeit komische Laute fabriziert, weil der Sound in den Höhlen so prima war.“ Jedenfalls stelle er sich das in etwa so vor. Und weil nun das Album eben kein Soundtrack zu ihrer Show geworden ist, brauchte es „ein Theater, an dem wir die neue Musik auch umsetzen konnten“.

Matt Goldman klaut gerade dem Dackel die letzten Cracker, „also sind wir in Vegas gelandet. Da suchen die Hotels alle nach guten Shows, und wenn du ihnen genügend zahlende Gäste anschleppst, dann kümmern die sich einen Dreck um künstlerische Mitsprache.“ So könne man entspannt arbeiten. „In Vegas zu residieren ist, weil da jeden Tag neue Gäste ankommen, wie gleichzeitig auch auf Tour zu sein. Nur dass du in diesem spezifischen Falle eben die anderen reisen lässt.“

Am Astor Place zittert jetzt eine hübsche, junge Dame vor den Fans der Prähistorie, die wortlos neben ihr stehen und Twinkies futtern. Die Dame hatte eigentlich nur einen netten Abend verleben wollen. Nun aber soll sie diesen uramerikanischen, klebrigen Snack vertilgen und weigert sich standhaft und sogar charmant. Und als den Herren ekliger Schaum aus einem Loch in der Brust wabert und sie daraus eine fulminante Nummer zaubern johlt das Auditorium. Dass Entertainment für die drei toppriority genießt, das hatte man vielleicht nicht zwingend auch erwartet. Dass Comedy hier einen festen und sogar recht geräumigen Platz gefunden hat, noch viel weniger. „Uns war das auch anfangs nicht klar“, sagt Goldman, „und die komischen Anteile sind auch immer mehr geworden.“ Zum einen habe man irgendwann festgestellt, dass sich mit den blauen Köpfen „hervorragend eine Mimik im Stile Buster Keatons imitieren lässt, zum anderen gibt es nichts Einfacheres als Komik, um eine Show wie die unserige über nunmehr zehn Jahre lang frisch zu halten.‘ Gelächter entstehe eben meist aus Pannen und Pleiten, „und davon hat man auf der Bühne mehr als genug zu bejubeln. Sie fügen dem Programm mit schöner Regelmäßigkeit neue Facetten hinzu, und wer ein Jahr nach dem ersten Besuch wiederkommt, erlebt eine fast komplett neue Show.

Und eine Show, die so vielleicht in den USA nur in New York hat entstehen können. Wenn uns die Blue Men-Transparente zum Lesen vorlegen im Saal, wenn sie Jefferson Airplanes „White Rabbit“ durch den PVC-Wolf drehen und uns dabei zu Karaoke-Sängern machen, dann ist hier mehr als bloßer Witz, nein, auch eine geballte Ladung Intelligenz im Spiel – und so gesehen wird das Ganze leicht zum kulturpolitischen Statement.

„Genau deshalb“, verteilt Chris Wink nun elegant Komplimente, „sehen wir Europa auch als unsere vermutlich beste Bühne an. Wenigstens die Länder, die etwas weniger selbstzentriert sind.“

Damit schließlich habe man in Amerika seine Erfahrungen, „bei uns interessiert sich doch keine Sau für irgendetwas Neues auf der Bühne.“ Weshalb der Marschplan, wie man uns nun überraschend mitteilt, auch schon steht. „Wir haben hier, wenn es hoch kommt, vier Briten und sechs Franzosen pro Woche zu Gast“, analysiert Wink den Besucherzulauf am Astor Place im Hinblick auf Herkunft, „aber dreimal soviele Brasilianer, Israelis und Japaner. Und die größte Gruppe sind die Deutschen.“

Das zu erklären falle leicht „Wir interessieren uns ja nun ziemlich unverhohlen für Bands wie Kraftwerk, für das Bauhaus oder auch für Leute wie Oskar Schlemmer. Und weil wir gleichzeitig noch Kodo-Trommler, Steinzeit-Musikanten und Sprachverliebte ansprechen, sind wir auf global Citizens angewiesen.“ Die im eigenen Land fast gar nicht und außerhalb desselben „halt am besten dort zu finden sind, wo die Kultur nicht bloß nach ihren Umsätzen bewertet wird“.

Ein etwas idealistisch gezeichnetes Bild vom germanischen Umgang mit den schönen Künsten zwar, aber dennoch immerhin recht schmeichelhaft. Chris Winks Dackel übrigens mag deutsche Butterkekse ausgesprochen gern. Was jedoch angesichts eines Gummifrösche-Menüs gut zu verstehen ist…

Und wo man schon mal gemütlich hier beisammen sitzt und angefangen hat, Pläne zu schmieden, lässt Matt Goldman auch noch sein Lieblings-Baby aus dem Sack. Es ist Rezept und Hoffnung zugleich, „denn ich weiß, wie wir Napster unschädlich machen können, ohne ein Gesetz zu ändern“. Da horcht man natürlich auf. „Ich habe zu Hause eine superteure Anlage“, verwirrt der Mann zunächst, „und wenn ich mich in vorausberechneter Pose in den festgeschraubten Sessel setze, klingt sie auch ganz passabel.“

Der Dackel gähnt, das muss aber Zufall sein., Jetzt habe ich mir ein viel billigeres Five Point One-Sensurround-System geholt, und jetzt klingt die Musik sogar noch nebenan in der Küche besser als vorher im Sessel.“ Nun aber die alte Frage: Was will uns der Künstler damit sagen? Das Album ^Audio“, so erfahren wir, ist schon mal auf die neue Technik hin produziert, „und wenn wir jetzt alle Welt dazu bringen, sich solche Anlagen zu kaufen, werden die Leute schon merken, wie begrenzt gut der Download aus dem Internet ist“ In Las Vegas sei bereits die gesamte Show in 5.1-Technik zu hören, und die Leute seien dort schlichtweg von den Socken.

Das sind wir allerdings jetzt auch. Noch gestern abend war man froh, dem Inferno aus Toilettpapier am Ende heil entronnen zu sein, und noch viel froher, die Show überhaupt gesehen haben zu dürfen. Etwas Besseres ist momentan in New York City womöglich ohnehin nicht zu kriegen. Dann kam am nächsten Tag der Kurs in Wirtschaftskunde, der so viele Experten Lügen straft. Und jetzt wollen Wink, Goldman und Stanton, deren Einverständnis wir hier einfach mal voraussetzen, mittels simpler Lautsprecher-Technik das Gespenst von einem dem Untergang geweihten Music Business vertreiben? Ausgerechnet sie, diese erklärten „Last Independents“? Nun ja, vielleicht proben sie auch nur eine neue perfide Nummer.

Das immerhin liefert uns gute Gründe, beim nächsten Mal in New York die Show abermals zu frequentieren. Hätten wir aber sowieso getan. Und in Europa reisen wir ihnen selbstverständlich nach. Allein deswegen, damit die Amerikaner endlich wieder Muße haben, Tickets für die beste Show im eigenen Land erstehen zu können.

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