The National: Matt Berninger und Aaron Dessner im Interview

Ein Gespräch über Perfektionismus, Politik, Paranoia, Pop und Pavement. Und andere Dinge, die nicht mit P beginnen. Obama zum Beispiel. Oder Coldplay.

Heute erscheint „High Violet“ – das neue, fünfte Album von The National. Am Samstag und am Sonntag werden sie es live im Huxleys (Samstag) und im Astra (Sonntag) in Berlin vorstellen. Daniel Koch traf Sänger und Texter Matt Berninger und Gitarrist Aaron Dessner. Ein Gespräch über Perfektionismus, Politik, Paranoia, Pop und Pavement. Und andere Dinge, die nicht mit P beginnen. Obama zum Beispiel. Oder Coldplay.

Handeln wir doch erst einmal die Fragen ab, um die ihr nicht drum rum kommen werdet. Man hatte im Vorfeld gehört, euer neues Album könnte das Zeug und auch den Sound haben, euch in den Mainstream zu katapultieren. Für mich klingt es in der Tat poppiger und eingängiger – aber auch düsterer. Wie würden ihr die Veränderungen beschreiben?

Matt: Es ist in der Tat in vielen Punkten düsterer. Und dennoch eingängiger als „Boxer“ es war. Das stimmt schon so. Wir haben für „High Violet“ Songs geschrieben, die wir uns vorher nicht zugetraut hätten. „Anyone’s Ghost“ zum Beispiel ist ein lupenreiner Popsong. Das konnten wir vorher nicht – oder haben es nie probiert. Bei anderen Songs haben wir eher mit Kontrasten gearbeitet. Sehr eingängige Gesangsmelodien, denen wir sperrige Gitarrengeräusche oder vertrackte Drum-Rhythmen entgegenstellten. Man kann also schon sagen, dass „High Violet“ unser erstes Popalbum geworden ist…

Aaron: … aber auf eine dunkle, verspulte Art und Weise. Es ist ein wenig schneller, kathartischer und weniger meditativ als „Boxer“. Deshalb wirkt es vielleicht unmittelbarer. Oder nenn‘ es eingängiger. Aber es ist natürlich immer noch nicht Coldplay. Das wollen wir nicht.

Gab’s denn den Masterplan: „The National goes Pop“?

M: Wir haben eher versucht, ein paar unserer Gewohnheiten abzulegen. Die Idee dahinter war es, hässlichere Sounds auszuprobieren, die mehr über einen einheitlichen Sound funktionieren als durch strikte Arrangements. Daraus wurde dann diese Mischform: komplexe Arrangements, beizeiten sehr reich instrumentiert und dazu geradezu störrische Gitarrensounds.

A: Ich würden den Masterplan eher so beschreiben: „The National goes My Bloody Valentine“. Dafür haben wir uns zuhause extra ein Studio eingerichtet, in dem wir endlos experimentieren konnten. Mit Feedback, mit unseren Gitarren, mit all den Tonspuren, die wir aufeinander getürmt haben. Das war allerdings nur möglich, weil Matt zum ersten Mal nach bestimmten Gesangsmelodien getextet hat und zum ersten Mal wirklich „singt“. Das war unsere Chance, die Musik zu dichter und „weirder“ zu gestalten.

Ihr seid bekannt für euere perfektionistischen Arbeitsweise, die nach außen manchmal geradezu selbstzerfleischend wirkt. War es also eher Fluch oder Segen, ein Studio im Haus zu haben?

A: Für Matt macht es keinen Unterschied. Er braucht eh immer sehr lange, um einen Text fertig zu haben. Für uns ist es großartig: Es kostet uns nichts, wir können viel Zeit in unsere Ideen investieren. Und manchmal sind die Demos, die wir dort aufgenommen haben, sogar im finalen Song. Der Gitarrenpart von „Terrible Love“ zum Beispiel. Das hätte ich so kein zweites Mal hinbekommen.

M: Aber ehrlich gesagt: Es hat sich nichts geändert an unserer Arbeitsweise: Wir haben schon vorher unheimlich viel Geld verballert, weil wir kein Ende finden können.

Matt, deine Texte sind ein gutes Stichwort. Mal generell gefragt: Magst du es eigentlich über sie zu sprechen?

M: Das ist eine gute Frage. Sagen wir so: Ich versuche nicht zu erklären, was sie bedeuten. Ich möchte lieber allgemein oder technisch über sie reden. Je mehr man seine Texte erklärt, desto mehr zerstört man, was sie eigentlich ausmachen sollte: Dass die Leute sie auf ihre Weise interpretieren können. Außerdem weiß ich selbst nie hundertprozentig, was sie bedeuten.

Viele deiner Lyrics wirken sehr literarisch, andere als würden sie auch in einem Lyrikband funktionieren, manche gäben auch einen guten Kurzfilm ab, dann gibt es wiederum Songs, die an ein impressionistisches Gemälde erinnern. Lässt du dich oft von anderen Kunstformen inspirieren?

M: Ja. Ich lese zum Beispiel viel – obwohl ich alles andere als ein Bücherwurm bin. Und es gibt viele Filme, die mich besonders inspiriert haben. ‚The Graduate‘ (Die Reifeprüfung), ‚Eternal Sunshine Of The Spotless Mind‘ (Vergiss Mein Nicht!), ‚Harold and Maude‘ – generell mag ich tragikomische Filme, weil sie oft so brutal ehrlich und unterhaltsam zugleich sind. Die Serie ‚The Office‘ ist da ein weiteres Beispiel. Ich mag diese Art einfach, und das man sich nicht damit befasst, wie toll alles ist, sondern sich für die hässlichen, traurigen, obsessiven Seiten des Menschseins interessiert. Da sitzen die spannenden Geschichten.

Hast du dich denn jemals an einer anderen Kunstform versucht? Bei manchen Songs denke ich immer, das würde jetzt auch als Kurzgeschichte von John Fante funktionieren, andere könnte man sich auch auf einer alkoholschwangeren Bukowski-Lesung vorstellen…

M: Ich schreibe Songtexte und dabei bleibe ich. Für mich funktionieren die Texte zwischen zwei Buchdeckeln nicht. Sagen wir es so: „Poetry is iceskating, writing song lyrics is like splashing in a puddle.“ Und was das Kurzgeschichtenschreiben geht: Ich bin schon mehrfach gebeten worden, welche zu schreiben. Ich hab’s auch probiert. Aber ich kann’s einfach nicht. Selbst im College habe ich einmal als ich Prosa schreiben musste bei irgendwelchen unbekannten schottischen Autoren Passagen geklaut, um meinen Text fertig zu bekommen. Bryan (Devendorf) ist unser Schriftsteller, wenn es um Prosa geht.

Bei unserem letzten Interview hast du „gestanden“, dass du für deine Arbeit an den Songlyrics gerne bei von dir geschätzten Autoren „klaust“. Bei wem hast du dir für „High Violet“ das Diebesgut besorgt?

M: (lachend – ja, das kann er): Diesmal habe ich kaum geklaut. Was aber eher logistische oder zeitliche Gründe hatte. Ich bin vor einem Jahr Vater geworden. Da bleibt kaum noch Zeit zum Lesen. Hinzu kam noch, was Aaron vor schon angesprochen hatte: Ich habe mehr über Melodien nachgedacht. Das war mir diesmal wichtiger. Ich wollte mich nicht um die Texte sorgen, bevor ich eine gute Gesangsmelodie gefunden hatte. Das hat der Platte sehr gut getan – andererseits war genau das aber auch eine sehr stressige Angelegenheit für die Band. Manche Texte wurde erst wenige Tag vor dem Mastering fertig.

Wo wir gerade bei Stress und Konflikten dieser Art sind. Was ist euer Geheimnis, dass es euch schon so lange gibt? Sind es die familiären Verbandelungen, also die Tatsache, dass ihr aus zwei Brüderpaaren plus Matt besteht?

A: Oh, wir hätten uns schon mal fast umgebracht.

M: Eigentlich waren wir mal zu siebt…

A: Nee, mal im Ernst: Ein Großteil dieses Grundvertrauens rührt natürlich daher, dass wir zwei Brüderpaare sind, dass wir lange befreundet sind und dass wir aus derselben Gegend aus Ohio stammen. Unsere Leben in Brooklyn sind zudem sehr ähnlich. Es gibt also massig Anknüpfpunkte. Wir haben zudem von Anfang an nicht einen Bandleader oder einen Hauptsongwriter gehabt. Das alles ergibt eine schon fast verrückte Balance innerhalb der Band. Und je länger es uns gibt, desto besser funktioniert diese Co-Existenz. Wenn man uns jetzt sagt, dass man uns auch einen Mainstream-Erfolg zutrauen würde, wenn wir jetzt innerhalb von wenigen Stunden einige Shows ausverkaufen – dann sind wir da sehr dankbar für. Aber wir erinnern uns immer noch daran, dass wir jahrelang auf ranzigen Fußböden in unseren Schlafsäcken gepennt haben. Wir haben sozusagen das Schlimmste gesehen. Rückblickend war das vielleicht das Beste was uns passieren konnte. Wir sind langsam angefangen – aber werden länger durchhalten. Was viel an unseren Fans liegt. Wir haben von Anfang an – selbst, wenn es nur eine Handvoll waren – ihre Unterstützung zu spüren bekommen. We don’t have casual fans. They stick with us.

M: Irgendwie haben wir immer an uns geglaubt. Selbst als wir mal nur für den Barkeeper gespielt haben. Aber er hat am Ende unser Album gekauft, also konnten wir nicht so schlecht gewesen sein.

Als ich euch 2007 zum ersten Mal live gesehen habe, war ich erstaunt, wie gebannt das Publikum war. Das war schon fast gruselig, wie da alle auf die Bühne starrten und mitsangen. Geht mir inzwischen genauso, aber wie fühlt sich das oben auf der Bühne an?

M: Ich kann das schon verstehen. Ich war ähnlich fanatisch, wenn es um meine Lieblingsband ging. Ich meine: Rockmusik hat diese Kraft. Sie kann dich in den Wahnsinn treiben, weil du sie so dermaßen liebst. Wenn ich meine Helden live gesehen habe, dachte ich jedes Mal, hier passiert gerade das Allerwichtigste im Universum. Es fühlt sich großartig an, dass es so vielen Menschen nun mit uns so geht. Auch wenn es mal creepy wird, und einer oder eine diese gewisse Grenze überschreitet. Sagen wir es so: Wir lieben die Tatsache, dass wir auch Verrückte im Publikum haben – sind aber froh, dass niemand unsere genauen Adressen kennt.

Um noch mal kurz auf „High Violet“ zurückzukommen: Ich habe es nicht gezählt, aber New York spielt schon wieder ein große Rolle in deinen Liedern. Mal walkst du „through the Manhatten Valleys of the dead“ mal bist du „stuck in New York and the rain’s coming down“. Und so geht es munter weiter. Was für eine Art Beziehung führst du mit der Stadt? Ist es eine Love-Hate-Relationship?

M: Mehr Liebe als Hass. Ich habe eigentlich nie direkt Hass empfunden – man vermisst in New York nur manchmal den Platz, den man anderswo hat. Es gibt viele Songs im National-Oeuvre, die sich mit dem beklemmenden Gefühl befassen, dass man bekommt, wenn man in Brooklyn ist und an diese räumliche Weite denkt, die man anderswo haben kann. Ich versuche manchmal zu vermeiden, New York zu nennen – aber es passiert mir immer wieder. Aber ich wehre mich auch nicht so sehr dagegen. Das geht mir mit anderen Themen ähnlich: Du wirst auch immer wieder Vögel, Wasser oder bestimmte Farben in National-Songs finden.

Es wurde schon bei „Boxer“ überlegt, ob euer Song „Fake Empire“ – mit der Songzeile „We’re half awake in a fake empire“ – politisch gemeint war und das Leben in der Bush-Zeit thematisiert. Damals hast du das verneint. Diesmal werdet ihr aber explizit politisch, wie ich finde. Und zwar in „Afraid Of Everyone“, wo du das Bild eines überspannten American Dads zeichnest, der mit seinem Kind auf den Schultern geradezu paranoid durch eine Menschenmenge streift, offenbar getrieben durch die Einsingungen des „venom radio“ und des „venom television“. Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?

M: Gar nichts. Der Song ist politisch gemeint. Es lag uns am Herzen, dieses schreckliche Gefühl der Verunsicherung, das gerade in Amerika von den Republikanern verbreitet wird, zu thematisieren. Bei denen sitzen nun die Verrückten am Ruder – und dank der gigantischen Propagandamaschinerie von Fox News und Konsorten können sie ihre Ansichten aus allen Kanälen feuern, sei es über Rush Limbaugh oder über das, was bei Fox als „Nachrichten“ deklariert ist. Es ist erschreckend zu sehen, wie gut es funktioniert, die Leute damit erst zu verunsichern und dann ihr Mitgefühl, ihre Logik und ihren gesunden Menschenverstand zu demontieren. Wenn man irgendetwas immer und immer wieder eingesungen bekommt, plappert man es irgendwann einfach nach. Die Hälfte des Landes glaubt heutzutage Dinge, die ebenso lächerlich wie schrecklich sind. Die Partei der Republikaner wirkt auf mich inzwischen wie ein bizarrer Kult, der von wirklich Verrückten geleitet wird. Und das schlimme ist: Sie sehen nicht mal, was für bösarte und unethische Ansichten sie da verbreiten. Sie halten sich noch für die Guten!

A: Ich muss dabei immer an eine alte Textzeile von Matt denken. Es ist aus „Fashion Coat“ von unserem zweiten Album: „I’m not stupid, I swear. I read the foreign news to understand my country.“ So ist es zwangsläufig wirklich: Die Intellektuellen in New York lesen heutzutage immer öfter die Online-Ausgabe vom britischen Guardian.

M: Die einzige Nachrichtensendung, der ich traue, ist „The Daily Show“ mit John Stewart.

A: Das ist natürlich ironisch gemeint – die läuft auf Comedy Central.

M: Aber es ist die einzige Sendung, die sich traut über den wahren Zustand Amerikas zu sprechen. So war es doch schon oft: Dass nur noch die Satire die Courage besitzt, die Dinge beim Namen zu nennen.

Ihr sagt, ihr wollt nicht politisch wahrgenommen werden: Andererseits habt ihr aber auch die Obama-Kampagne mit großem Einsatz unterstützt, auch mit eurer Kunst. Ihr habt ihm quasi dem Song „Mr. November“ geschenkt, indem ihr ihn explizit mit Obama verknüpft habt. Ihr hattet sogar Obama-Shirts im Merch. Warum gleich so viel – oder wie ich finde zu viel – Engagement?

A: Das ist wohl nur vor dem Hintergrund der Bush-Jahre zu verstehen. Zu sehen, dass dieser Kerl zweimal hintereinander gewählt wird, war unerträglich für uns. Und seine letzten Jahre haben das Land zusehends geteilt. Plötzlich war jeder politisch – es war ein „Wir gegen die.“ Wir hatten uns schon früh vorgenommen alles zu tun, um den Demokraten zum Sieg zu verhelfen. Und dann kam Obama und war in Sachen Politik das Inspirierendste, was Amerika seit 50 Jahren begegnet ist. Also taten wir alles, was wir konnten. Wir wollten damit unseren Fans aber nicht vorbeten, was sie zu glauben und zu wählen hatten – aber wir wollten zeigen: Es reicht! WIR stehen hinter diesem Kerl.

M: Wenn du siehst, dass die Bad Guys gewinnen – und zwar im großen Stil, dann kann man sich nicht mehr erlauben, still zu halten. Wir wollen nicht als politische Band wahrgenommen werden, aber ein politischer Song pro Album muss drin sein. Und der muss sitzen.

Eine letzte Frage noch zum Song, den ihr für den Sampler „Dark Was The Night“ geschrieben habt. Da gibt’s in „So Far Around The Bend“ diese angeschlagene Protagonistin, die durch New York streift „praying to get Pavement back together“. Tja, die gibt’s ja nun. Was sagt ihr zur Pavement-Reunion?

A: Das Timing war lustig: Wir veröffentlichen den Song und ein paar Tage später wird die offizielle Reunion verkündet. Seitdem fragt uns jeder, wie nahe wir ihnen stehen, und was für einen Einfluss auf sie haben. Ob sie wegen uns wieder zusammen sind. Das ist natürlich Quatsch. Obama ist ja auch nicht gewählt worden, weil wir T-Shirts von ihm verkauft haben. Aber es ist schön, dass unsere Gebete erhört wurden: Wir spielen außerdem eine gemeinsame Show mit Pavement in Frankreich. Da wird das sicher zur Sprache kommen…

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