Tiger, Drache, Motherf***er

Sonderbare Früchte hängen von den Bäumen, und der Sonntagmorgen ist heute nicht gut bei „Good Morning America“, den Früh-News des Fernsehsenders ABC: Schon wieder sei eine Galgenschlinge entdeckt worden, die jemand an eine öffentliche Astgabel gebunden habe, diesmal in Ogle County, Illinois, sagt der Sprecher. Noch ein übler Witz oder eine diffuse Lynch-Drohung, nachdem Tage zuvor schon eine schwarze Dozentin der Columbia University einen Strick an ihrer Bürotür fand. Viele meinen, dass im amerikanischen Spätherbst 2007 – mit all der archaischen Symbolik, ausgelöst durch die Vorfälle an der Jena-Highschool in Louisiana – die Prä-Bürgerrechts-Rassenkonflikte wieder aufflackern, selbst an Orten, an denen man schon mal wesentlich weiter war.

Zu dem Thema ist sogar ein Studiogast da, und es bleibt hoffentlich das Geheimnis der „Good Morning America“-Redaktion, wie sie den an diesem Oktobersonntag 2007 früh um acht live auf ihre Couch bekommen hat: Robert Diggs, 38, der sich The RZA nennt und von den Moderatoren auch so genannt wird. Natürlich deshalb eingeladen, weil er als super erfolgreicher HipHop-Produzent die geachteten afroamerikanischen Großverdiener vertritt, man von ihm aber trotzdem noch ein bisschen Krawall erwarten kann.

Wie er die Sache mit den Galgenschlingen sehe, fragen die zwei im Anzug, und der casual in Schwarz auf der Sofakante wippende RZA meint, ihn erinnere das an die Lassos im Wilden Westen: „Wir sollten das nicht zu persönlich nehmen.“ Nachdem die Medien die Jena-Sache so aufgebauscht hätten, brauchte man sich ja nicht wundern, wenn Kids das nachmachen. Spätestens als RZA erklärt, dass das Kreuz durch den Tod Christi ja auch in ein Symbol der Liebe verwandelt worden sei, sieht man den Gastgebern an, dass sie eigentlich etwas anderes von ihm hören wollten. Ob Amerika reit für einen schwarzen Präsidenten sei, fragen sie fix dazwischen – vielleicht bei der übernächsten Wahl, antwortet RZA, es käme ja schon auch auf die Inhalte an. Dass er für Hillary Clintons Wahlkampf spendet und nicht für Barack Obama, haben die Interviewer offenbar nicht mitgekriegt.

Der Gedanke ist zwar nicht mehr so ungewohnt, spätestens seit dem schaumweichen Rummel um Snoop Doggs Moderation der MTV Awards in München, aber für eine solche Nachrichtensendung wäre RZA vor nur 15 Jahren höchstens ein Berichterstattungsthema gewesen, keinesfalls ein ehrbarer Gast. Da war er Kleinkrimineller im New Yorker Insel-Stadtbezirk Staten Island, mit street knowledge, freundschaftlichen Kontakten zur Mafiafamilie Gambino und einem anhängigen Verfahren wegen versuchtem Mord. „Bring da motherfuckin‘ ruckus!“ brüllte er furchterregend am Anfang des ersten Stücks des ersten Albums seiner Rap-Gruppe Wu-Tang-Clan, wie ein Vorausläufer, der die Bahn frei wischt für die Brüder, die da kommen, und für das, das da kommt. „Ruckus“ heißt „Rambazamba“.

1993 war das, und heute, über 20 Millionen verkaufte Platten, Kapuzenpullover, Videospiele und tödliche Beleidigungen und noch tödlichere Zungen-Schwertstreiche später, sitzt RZA auf der Expertencouch und gibt bescheidene Antworten, macht aber auch da weiter, wo es zwischendurch zu Ende ging. „Still spit poison venom. Red Monkey and Wu Denim“, rappt er auf „Watch Your Mouth“, dem ersten Wu-Tang-Track seit sechs Jahren, den das Internet hergab – „Red Monkey and Wu Denim“ weist auf eine neue, rund 400 Dollar teure Jeans aus der Wu-Tang-Modelinie hin -, und dieser stock finstere Track mit seinem abwärts gesägten Kerkertreppen-Cello ist nicht nur das Beste, was der Clan seit den Neunzigern gemacht hat, sondern: Es sind alle dabei. Alle bis auf den einen, der nicht mehr kommen wird.

Und angeblich waren sie – anders als beim zusammen gestöpselten „9 Milli Bros.“ vom 2006er Soloalbum von Ghostface Killah – zeitweise sogar alle im selben Raum, als das für wenig wahrscheinlich bis ganz unmöglich gehaltene fünfte Wu-TangClan-Album “ 8 Diagrams“ gemacht wurde: der weise, metaphorische RZA, der straßennahe Raekwon, der virtuose Method Man, der rätselhafte Ghostface Killah, der beobachtungsscharfe Inspectah Deck, der schlagfertige U-God, der treue Masta Killa, zusammen mit RZA eine der bedeutendsten, erfolgreichsten und tollsten Rap-Gruppen, die Fußabdrücke hinterlassen hat, die wie die Spuren gewaltiger Großreptilien im Stein der HipHop-Geschichte klaffen.

„Ha ha! I went leftfield on’em.“ lacht RZA, als er ein paar Stunden nach dem morgendlichen TV-Auftritt kurz resümiert— sinngemäß: Schön hab ich die aus dem Konzept gebracht! „Maharishi“ steht hinten auf seinem steindunklen Anorak aus der neuen Wu-Kollektion, ein schwarzes Nike-Stirnbändchen hält den Haarknödel, und Zeit hat er nur, weil er hier in Manhattan für Universal Pictures seinen neuen Film promoten soll, „American Gangster“. Ridley Scott gab ihm die Rolle des Undercover-Cop Mosesjones, der alberne Blaxploitation-Name und die Shaft-Analogien ließen ihn wohl jauchzen, und sie überschminkten nicht mal RZAs großes Schulter-Wu-Tang-Tattoo, das fette Fledermaus-W, 1991 vom heutigen DJ Mathematics entworfen. Obwohl der Film im Jahr 1970 spielt.

„Ich hab mich auch gewundert“, sagt RZA, unbekifft ausgelassen. „Die Ausstatter gaben mir ein ärmelloses Hemd, und ich fragte: Stört euch das Tattoo nicht? Und sie sagten Nein. Die glauben wohl, dass Wu-Tang weit in die Geschichte zurückreicht!“

Selbst dem „American Gangster“-Film wird in Blogs vorgeworfen, der langweilige Erzählstrang mit Russell Crowe sei nur eingebaut worden, weil Denzel Washington als Farbiger nicht die alleinige Hauptfigur sein dürfe. Ohne Fernsehkamera ist auch RZA zu dem Thema weniger demütig. „Was die Wahl angeht-der Rassismus bei uns ist schon immer noch so stark, dass sie das Amt eher noch einer weißen Frau als einem schwarzen Mann geben würden.“ Und über die potenzielle Kandidatin kommt er schnell auf den alten Präsidenten. „Als Clinton im Amt war, ging es meiner Neighbourhood viel besser als heute, meinen Cousins, meinen Onkels. Die Leute hatten Essen auf dem Tisch-das ist jetzt nicht mehr so. People’s fucked up in my neighbourhood. Im Fernsehen heißt es, die Wirtschaft brummt, aber für wen? Die französische Revolution ging auch deshalb los, weil die Armen nichts zu essen hatten.“ Er ist nicht mehr arm.

Die Soziologin Jennifer Hochschild hat in ihrem Buch „Facing Up To The American Dream“ gezeigt, dass in Bill Clintons Amtszeit von 1993 bis 2001-zufällig genau die wichtigste Wirkungsphase des Wu-TangClan —die aufstrebende afroamerikanische Mittelklasse überraschenderweise viel unzufriedener mit den Verhältnissen war als die armen schwarzen Innenstadtbewohner. Das Aufständische, Agitatorische war auch nicht die Sache des Clan, kein Grund oder Antrieb für die drei Großfamilien-Cousins Robert Diggs alias Prince Rakeem „The RZA“. Gary Grice alias The Genius „The GZA“ und Russell Jones alias 01′ Dirty Bastard, als sie Ende der Achtziger zu dritt ihren ersten kleinen Hit produzierten.

Die endgültige Ankunft des Wu-Tang Clan, 1992 von den drei Cousins in Staten Island gegründet, zusammen mit Leuten aus den eigentlich rivalisierenden Project-Sozialsiedlungen Stapleton und Park Hill, wird im Nachhinein oft als Reaktion gegen den sahnig polierten Gentleman-Gangsta-Rap aus Kalifornien interpretiert, der damals so erfolgreich war, als Schmirgelpapier-Attacke gegen Dr. Dres relaxt-saturiertes „The Chronic-Album“ als Rückeroberung der aus New York gestohlenen Krone. Wie immer ist das zu simpel – die Blüte des verschwoften G-Funk stand ja erst noch bevor, und Cypress Hill hatten schon 1991 einen härteren Pfosten in den Boden gerammt. „Wir haben uns damals nicht für irgendeine Seite entschieden, gegen das eine oder für das andere“, sagt RZA. „Wir waren jung! Wir hielten unseren Stil für einzigartig, wir fanden alle anderen Rapper corny, doof, ohne Ausnahme.“ Auch N.W.A., die Gangster-Chefs aus Compton, das potenzielle Vorbild? „Corny!“ RZA freut sich riesig.

„Bevor wir kamen, gab es im HipHop einen Haufen Studierte. Oder zumindest Leute mit Highschool-Abschluss“, analysiert RZA. „Salt-n-Pepa, die haben studiert. Run DMC, studiert. EPMD, studiert. Cypress… nein, Cypress Hill nicht. Aber De La Soul, sogar Eazy-E. Wu-Tang? Nur einer hatte es bis aufs College geschafft, das war U-God, und er blieb nur ein Jahr. Wu-Tang bestand aus sieben Ex-Sträflingen, acht Schulabbrechern. Ich bin nicht stolz darauf, aber so sind die gewöhnlichen Leute! Die Leute, von denen es herablassend heißt: Mit 25 sind sie tot oder im Gefängnis. Weißt du was? Mit 25 war ich weder im Gefängnis noch tot. Ich war Millionär. Weil ich zur richtigen Zeit den Kampf auf mich genommen habe. Weil ich zur richtigen Zeit das negative Leben aufgegeben und nach dem positiven gegriffen habe.“

Was andere unter solchen Umständen einen Traum nennen würden, das nannten RZA und der Wu-TangClan gleich, im kapitalistischen Tagesvokabular, einen Deal. Einen Fünf-Jahres-Masterplan, geschlossen zwischen erst acht, dann neun Rappern, die zu dem Zeitpunkt nicht einmal ahnen konnten, dass sich irgendwer für sie interessieren würde. Einen Pakt, in dem so viel Fantasie steckte, so viel Gefühl und Verstand für die großen Zeichensysteme, dass in keinem konfessionell-theatralischen Gangsta-Rap dafür Platz gewesen wäre.

Religion gehörte dazu, die Lehre u nd Zahlensymbolik der Five Percenters, einer Splittergruppe der umstrittenen afroamerikanisch-muslimischen Organisation Nation Of Islam. Das Schachspiel. Die Martial-Arts-Filme, vor allem aus Hong Kong, die man in Kinos am Times Square billig im Dreierpack oder in Endlosschleife sehen konnte —“Five Deadly Venoms“, „The 36th Chamber Of Shaolin“, „Shaolin And Wu-Tang“ —und die in den Achtzigern, als die Videorekorder kamen, in den Project-Siedlungen so bekannt waren, dass jeder die Anspielungen verstand. Die Filmfiguren, die den Wu-Tang-Schwertstil beherrschten, waren die Bösen, aber auch die besten Kämpfer. Das Schwert: die Zunge. Die besten Rapper also.

Deshalb wurden RZA, GZA, Dirty, Raekwon, Method Man, Ghostface Killah. Inspectah Deck und U-God die acht Samurai, Masta Killa später der neunte – neun mal vier Herzkammern, das waren 36. Staten Island tauften sie „Shaolin“, sie selber waren Wu-Tang, jeder für sich, und zusammen der Wu-Tang Clan. Disziplin, virtuoses Geschick und das Ideal der Bruderschaft zählt RZA in seinem „Wu-Tang Manual“ als die Ideale auf, die sie aus den Filmen nahmen und zu ihrem Gruppen-Kodex machten, und dann natürlich der bahnbrechende Vertrag: Die Plattenfirma Loud Records gestand jedem Gruppenmitglied das Recht zu, Soloplatten bei anderen Labels zu machen.

Dass all diese Platten am Ende auch wieder Wu-Tang-Platten waren, am Anfang durchweg von RZA produziert und mit Gastauftritten der anderen, dass man also gegenseitig und mit Hilfe konkurrierender Labels füreinander Werbung machte, das Wu-Tang-W wie ein Bat-Signal gut sichtbar an den Himmel warf, sich auffächerte, bis die Einzelschwertkämpfer gestärkt zurück in gemeinsame Formation gingen—das war Samurai-Logik und mit Hip-Hop-Marketingwörtern damals nicht zu fassen.

Als sie im Kellerstudio die erste Single „Protect Ya Neck“ gemacht hatten, hatte jedes Mitglied, das eine Strophe haben wollte, 50 Dollar für die Presskosten mitbringen müssen – in Wahrheit nur ein Test, ob sie es auch wirklich ernst meinen, verrät RZA, streng geheim. Keine fünf Jahre später, gepusht und massiert von der wahnsinnigen Kraft des nachträglich zum Rap-Kilometerstein erklärten Debütalbums „Enter The Wu-Tang (36 Chambers)“, einer Runde fantastischer Soloplatten von Method Man, Dirty, Raekwon, GZA und Ghostface sowie dem Start der Kleidermarke Wu Wear, verkaufte sich das zweite Album „Wu-Timg Forever“ im Juni 1997 in der ersten Woche allein in den USA über 600.000-mal, natürlich Platz eins. Kein zweiter Plan in der Geschichte der Popmusik ging derart punktgenau und breitwandig auf.

Was den Clan aber eigentlich zur faszinierendsten, weit über die HipHop-Grenze beliebten Rap-Gruppe macht, erklärt sich nur aus dem Zusammenspiel dieser vielen widersprüchlichen Zeichen: der kruden, überfrachteten Philosophie, des gerissenen Business-Plans, der hermetischen, weniger mafiosen als fast Black-Mothership-artigen Geheimcodes, der viel zu vollen Bühne, der Dialektik zwischen Brudertum und RZAs eiserner Führung.

Und natürlich aus der Musik. Dem Hardcore-Minimalismus zu Anfang der Karriere, kein Prunk der Westcoast-Gangster, keine Oldschool-Melancholie späterer Crews – eine Block-Party in der Hölle, aus dem Off kommentiert von den Stimmen und Klingen aus den Kung-Fu-Flicks, die alles inspiriert hatten, verraucht von den kreiselnden, gespenstisch ausgebeinten Soul- und Jazz-Samples, die RZA im leeren Raum aufstellte, die sich oft in Disharmonie ineinander fraßen. Das blinkernde Klaviermotiv in „C.R.E.A.M. (Cash Rules Everything Around Me)“ klingt traurig und bedrohlich, dazu erzählen Raekwon und Inspectah Deck vom Drogenhandel und vom Desinteresse der Kinder an den Warnungen, in „For Heaven’s Sake“ vom zweiten Album klebt ein schief unter Helium gesetztes Soul-Sample, wie sieben Jahre später überall auf Kanye Wests erstem Album. Wu-Tang kamen niemals auch nur in Reichweite eines Radio-Hits.

„Gamble und Huff (das legendäre Produzentenduo aus Philadelphia) haben mal zu mir gesagt: ,Ihr HipHopper sampelt immer nur unsere Fehler!'“, grinst RZA, aber die Freude über den außerordentlich großartigen Vorab-Track von der Wu-Tang-Wiedervereinigungsplatte stirbt in diesem Moment, denn „Waten Your Mouth“ wurde gestrichen: Das Sample aus „Mission: Impossible“ konnte nicht geklärt werden. Wie überhaupt die mühsame Rechtebeschaffung als Grund genannt wird, warum „8 Diagrams“ mehrfach wieder verschoben wurde, von Mitte Oktober letztendlich auf Anfang Dezember.

Auch die MySpace-Meldung, Wu-Tang hätten den Coup gelandet und als erste Band ein Beatles-Sample gewährt bekommen, war zu voreilig— immerhin wurde ihnen erlaubt, „While My Guitar Gently Weeps“ umzutexten und selbst nachzuspielen. Dank der Intervention von George-Harrison-Sohn und Wu-Tang-Fan Dhani, der nun auch zusammen mit John Frusciante an den Gitarren zu hören ist. Erykah Badu singt den Refrain, Raekwon und Ghostface rappen bizarre Geschichten, unter anderem über eine Schießerei im Supermarkt. Trotzdem

ist „The Heart Gently Weeps“ das Poppigste, was die unpoppigste aller Crews je gemacht hat. Wollen sie wirklich so zurückkommen?

„Um ganz ehrlich zu sein“, sagt RZA. „ich habe größte Mühe, die anderen von dem Stück zu überzeugen. Die Leute erwarten, das wir uns mit etwas Fiesem, Ungeschliffenen zurückmelden. Aber ich finde, dassWu-Tang keine berechenbare Gruppe sein soll, dass wir den gewohnlichen HipHop transzendieren müssen! HipHop ist heute überall, an jeder Ecke. Alle machen HipHop, also müssen wir mit etwas Einzigartigem kommen. Und das ist zweifellos ein einzigartiger Song.“

Es war klar, dass sich alles ändern würde, als RZA im Sommer 1997 den großen Fünf-Jahres-Plan für erfüllt erklärte und alle Brüder in die vertragliche Freiheit entließ. Abgesehen davon, dass nun noch mehr Rapper aus dem weiteren Clan-Umfeld mit ihren Soloplatten kamen und es manchen Leuten langsam entschieden zu viel Wu-Tang wurde, entluden sich in der Gruppe nun Lagerkoller und Eifersüchteleien. Aus einer als Triumphzuggeplanten US-Tour mit Rage Against The Machine verabschiedeten sie sich nach wenigen Daten, wegen zunehmender Fehl‘ Zeiten einiger Mitglieder und einer ominösen Backstage-Schlägerei. Im Mai 2000 wurde in ihrem Management ein Geheimdienst-V-Mann enttarnt – Ghostface arbeitet heute noch mit ihm. Während RZA Soundtracks für Jimjarmusch und Quentin Tarantino machte, Orchester dirigierte und wie die feinen Herrschatten um die Welt flog, beschwerte sich unter anderem der glücklose U-God darüber, der Wu-Tang-Vater habe andere bevorzugt und ihm den Weg verbaut.

Nie hätte man solche Beschwerden von Ol‘ Dirty Bastard gehört, dem Sonderfall und offiziell Irren des Wu-Tang Clan, der trotz besonders spektakulärer Spuck-Schäum-Raps schon auf den frühen Platten selten zu hören war. Zu seiner Außenseiterku nst gehören die Anekdoten: Er sprang 1998 bei den Grammys auf die Bühne und beschwerte sich, dass Wu-Tanglecr ausgegangen waren, obwohler sich extra den teurenAnzug gekauft hatte. Er nahm ein MTV-Team mit, als er in der Limousine beim Sozialamt seine Essensmarken abholte. Er sang ein Duett mit Mariah Carey. Immer war etwas mit Drogen, Waffen, Ladendiebstahl und anderem Firlefanz, aber dass sein kleiner Part für das dritte Wu-Tang-Album „The W“ übers Gefängnistelefon aufgenommen wurde, ist nur eine lustige Legende. Im November 2000 floh er aus der Drogenklinik- obwohl er polizeilich gesucht wurde, erschien er bei einer Wu-Tang-Show in New York, nippte und entwischte anschließend wieder, wurde ein paar Tage später auf einem McDonald’s-Parkplatz in Philadelphia gefasst, wo er eine spontane Autogrammstunde gegeben und den Polizisten für einen Fan gehalten hatte.

Die Extrem-Freak-Biografie endete am 13. November 2004 mit einer unglücklichen Überdosis, aber dass der schockierende Tod des Freundes irgendetwas mit der Wu-Tang-Reunion zu tun hat, ist nur süße Fantasie. Bevor im Februar 2006 die erste gemeinsame Tour nach Dirtys Abschied losgehen sollte, sagte Ghostface Killah dem US-ROLLING STONE: „Es wird ein Test. Es könnte sein, dass einer sagt: ,Nein, mit denen geh ich mich nicht mehr ab.‘ Oder: ‚Ja, ich geb mich mit ihnen ab, aber nur, wenn die Kröten stimmen.‘ Oder: ‚Verdammt, ich liebe euch! Ich hab euch so vermisst!‘ Kann alles sein.“ Ghostface hat neben RZA am meisten Ruhm behalten, wurde letztes Jahr für sein „Fishscale“-Album aus allen Richtungen beklatscht. Er hat’s nicht nötig. Und tatsächlich war er der Erste, der nachdem die besagte Tour störungsfrei verlaufen war noch im Oktober gegen die anstehende neue Wu-Tang-Platte stänkerte, bei der er nach langem Hin und Her doch mitgemacht hatte: Sie würde veröffentlichungstechnisch seinem Soloalbum in die Quere kommen.

„Einige meiner Familienmitglieder wohnen immer noch in den Projects in Staten Island“, sagt RZA. „Ich konnte nicht allen da raushelfen. Meine Schwester zum Beispiel ist immer noch in Park Hill. Keine Ahnung, wie es ihr geht. Sie wollte nie viel Geld von mir, sie zahlt ihre Miete selbst. Immer wollten wir da raus – und sie ist geblieben.“ Die Teenager-Wunschzeit war ja auch die Zeit, als er mit seinem Cousin Ol‘ Dirty Bastard im 24-Stunden-Kung-Fu-Kino in der 42. Straße „Eight-Diagram Pole Fighter“ sah. Einen Film über Brüderlichkeit, wie er später schrieb. „8 Diagramm“ soll die Platte ja heißen, die voraussichtlich letzte Wu-Tang-Platte, das Ende der Saga, die schon per Definition immer mehr war als eine reine Musikkarriere, viel mehr etwas mit Schwertern, alter Weisheit und geschickten, fein choreografierten Bewegungen.

„Wir sind nicht bloß eine Bande von Rappern“, sagt er zum Schluss. „Wir haben mit unserem Leben Menschen inspiriert! Wie wir das geschafft haben? Ich glaube, ich weiß wie: weil wir die Typen sind, die mitten aus dem Kampf kommen.“

Einige Tage später kommt dann die Nachricht, dass er „8 Diagrams“ um eine weitere Woche verschoben habe, Ghostface Killah zuliebe. Und aus anderen Quellen hört man, dass RZA doch noch ein allerallerletztes Mal zurück ins Studio gegangen sei. Er wolle noch ein paar fiesere, ungeschliffenere Tracks aufnehmen.

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