Träne im Bier

Corb Lund schreibt exquisite Country-Songs - und erobert nun Europa.

Es muss schlimm stehen um Alberta, wenn einer der bekanntesten Söhne einen Song wie „Long Gone To Saskatchewan“ anstimmt. Das ist die Provinz gleich nebenan, da im Osten von West-Kanada, und Corb Lund erhebt den gern bespöttelten Nachbarn zum Nirvana für einen frustrierten Rancher, der sich dort ein besseres Leben verspricht. „Haha!“ Lund lacht. Das sei „natürlich auch tongue-in-cheek“ gemeint. „Aber es hat schon einen wahren Kern. Das Ölgeschäft in Alberta boomt, und die traditionelle Rinderwirtschaft kann den teuren Boden kaum noch bezahlen. Also zieht’s viele Züchter nach Saskatchewan, wo es billiger, wenn auch landschaftlich weniger schön ist.“ Jaja, die gute, alte „Gier“ mache sich breit im schönen Alberta. „Die Amis kriegen einfach nicht genug von unserem Öl.“

„Long Gone…“ bleibt nicht der einzige Song auf Lunds neuem, sechstem Album „Losin Lately Gambler“, der lokale Sujets mit universellem Anstrich impft – egal, ob der Sohn eines Tierarztes den Teen-Spleen aufs Korn nimmt, Pferdemedizin zur Partydroge zu frisieren („Horse Doctor, Come Quick“) oder in klassischer Genre-Manier eine Träne über verlorene Liebe ins Bier tropfen lässt („Alberta Says Hello“). „Meine Country-Songs würden auch anders klingen, wenn ich das nicht getan hätte“, rekapituliert der etwas andere Mann mit Hut die Jahre, die er zuvor mit The Smalls – „a modern Black Sabbath kind of thing – übers Land zog. „Vielleicht musste ich damals mit dem Rock’n’Roll auch nur gegen meine Familie rebellieren, aber es hat mich ermutigt, mein eigenes Ding zu machen.“

Das kommt längst vor einem Rodeo-Publikum in Montana ebenso gut rüber wie vor Rock-Fans in Glastonbury. Als „very muddy“ hat Lund das englische Festival in Erinnerung, „aber als ich das zu Hause erzählte, dachten sie, jetzt sei ich wirklich erfolgreich geworden“, lacht der Amateurhistoriker, der Ostfront und Islam ebenso auf der Agenda hat wie legendäre Vieh-Trails im alten Westen. Dass seine Musik – astreiner Country mit ein bisschen mehr Western als üblich – „viele soziale Grenzen zu überwinden scheint“, ist für ihn sein größter Erfolg.

Mit dem trinkfesten „Rye Whiskey/Time To Switch To Whiskey“ schließt das von „New Nashville“-Veteran Harry Stinson (Steve Earle etc.) produzierte Studioalbum mit einer Live-Aufnahme aus Australien, wo Lund schon fast so erfolgreich ist wie daheim in Alberta – die gemeinsame Commonwealth-Vergangenheit mache es wohl möglich, vermutet er.

Und wo bleiben die Roots, wenn jetzt, nach seiner ersten richtigen Europa-Veröffentlichung, noch mehr internationaler Erfolg winken sollte?

Immer in der Brusttasche. „Ich reise gern und habe auch schon mal kurz woanders gelebt – immerhin in Austin/ Texas. Aber meine Familie ist seit über 100 Jahren in Alberta ansässig – das steckt natürlich ganz tief in mir drin, und ich werde mein Gespür für diesen Ort wohl nie verlieren.“

Gefühlvolle Songs wie „This Is My Prairie“ oder „Chinnok Wind“ lassen auch jeden Zweifel daran sofort verstummen.

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