Travis: Fran Healy im Interview über „12 Memories“ – „Cunt, Shit, Wanker – das sind eben Wörter!“

Fran Healy über das schwierige vierte Album – und den Grund, warum Schotten niemals rappen sollten.

In Kalifornien strahlt, wie sich in Berlin aus dem Zoom-Fenster am Rechner erkennen lässt, die Sonne von einem klaren blauen Himmel. Fran Healy hat sich vom Fahrersitz seines Autos heraus zugeschaltet, hat gerade seinen Sohn zur Schule gebracht. Nun steht er auf einem Parkplatz. Er krempelt seinen T-Shirt-Ärmel hoch, zeigt das Pflaster auf seiner Schulter. Jüngst hat er sich impfen lassen. „Ich war im CVS, der Supermarktkette. Habe mich nach einer Corona-Impfung erkundigt und sie gleich bekommen.“ Healy fragt sich, ob das in Deutschland bei den Apotheken (er verwendet das deutsche Wort, er hat mit seiner Familie jahrelang in Berlin gewohnt), wohl auch so schnell ginge. Wenn er doch nur wüsste, wie langsam die Impfungen hierzulande in Gang gekommen sind.

Mit „12 Memories“ erscheint nach „Good Feeling“, „The Boy With No Name“ und „The Man Who“ das vierte Travis-Album neu auf Vinyl. Wir sprachen mit Fran Healy über die Songs, die unter dem Eindruck von Nine Eleven entstanden.

Nach „The Invisible Band“ kam 2003 „12 Memories“, das politische Travis-Album. Es handelte vom Irak-Krieg, aber auch persönlichen Krisen. Hatten Sie Angst, diese für Sie wichtigen Themen offen zu legen?
Nein, denn mein Songwriting war schon immer so ausgelegt – nicht nur das zu offenbaren, was ich denke, sondern auch das, was ich fühle. Der Irak-Krieg war die Zeit von George W Bush und all diesen Spielern. 18 Monate vor Ausbruch des Kriegs wurde ich auf „Project For The New American Century“ aufmerksam, PNAC. Die Denkfabrik aus Washington, gegründet nach Ende der Bill-Clinton-Ära, und die sich für die weltweite Führerschaft der USA stark macht. Konservative Schweine, die wollten, dass Amerika die Welt regiert. Dies war eine echte Achse des Bösen. Jeder Politiker, der auf ihrer Website verzeichnet war, hat im späteren Krieg entscheidende Rollen übernommen. Nach Nine Eleven wirkte es geradewegs so, als nähmen Sie die Anschläge als Vorwand für ihre Politik.

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Was fanden Sie im Netz?
Eine Kopie der alten PNAC-Website dürfte noch im Netz kursieren. Ich studierte deren Pläne genau und fragte mich immer wieder: „Sieht das denn sonst keiner?“. Die Songs auf „12 Memories“ entstanden mehr als ein Jahr vor der Invasion in den Irak. Aber ich sah das kommen. „The Beautiful Occupation“ handelt vom Krieg. Und dann sah man die Menschen protestieren, in den USA, in Großbritannien, sie trugen „Stop the War!“-Schilder. Ich marschierte mit. Alle marschierten mit. Und wir alle wurden ignoriert. Da wurde mir eines klar: Im UK gibt es keine wahre Demokratie. Mir kommt das eher vor wie eine mildtätige Diktatur. Ich habe das Gefühl, dass das in Deutschland anders gehandhabt wird. Ihr protestiert, und die Regierenden hören zumindest zu.

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Für „Peace The Fuck Out“ nahmen Sie Fußballfans im Stadion auf, die gemeinsam, tausendfach den Titel rufen. Wie kamen Sie auf die Idee?
Der Song hat eine Message und er braucht eine laute Stimme, eine große Zahl von Leuten. Ich kannte den Manager des Fußball-Teams. Celtic Glasgow. Ich ging auf den Rasen und die Zuschauer waren bereit „Peace The Fuck Out“ zu singen. Ich zeichnete es auf. Ich fürchte nur, der Manager wusste nicht, dass die Leute grade diese vier Worte singen sollten … hoffentlich war er nicht sauer.

Auf „The Man Who“, aber auch „12 Memories“ und „The Boy With No Name“ haben Sie einen Hidden Track, also einen nicht gelisteten, zusätzlichen Abschluss-Song. Was reizt Sie an diesem Format?
Als wir „The Man Who“ fertigstellten, ging es an die B-Seiten. „Blue Flashing Light“ gefiel uns dann so gut, dass wir ihn unbedingt herausbringen wollten – auch, wenn er irgendwie nicht zum Album passt. Deshalb die lange Pause zwischen den Liedern. „Blue Flashing Light“ ist, genauso wie „Some Sad Song“ oder „Sailing Away“, wie ein eigenständiges Gebäude. Man hat die hohen Türme und daneben die Hütten. Mich kriegt der Einsatz von „Blue Flashing Light“ noch immer, nach all den Jahren. Nach Ende des regulären Albums befindet man sich in einer friedvollen Stimmung, dann kracht diese Nummer rein. Nicht, dass ich „The Man Who“ noch häufig höre. Nein, eigentlich höre ich die Platte gar nicht mehr (lacht).

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Bei „12 Memories“ geschah das Undenkbare: Travis wurde zu einer Band, vor der gewarnt wurde. Die Platte erhielt einen „Parental Guidance“-Sticker, wegen des Gebrauchs des F-Worts.
Ach wissen, Sie, „Cunt“, „Fuck“, „Shit“, „Wanker“, das sind eben Wörter. Es sind fuckin‘ Wörter. „Man darf diese Wörter nicht benutzen, sie sind böse!“ – das ist doch Quatsch. Im Grunde sind wir alle doch sehr intelligent. Nur können wir diese Intelligenz manchmal nicht auf raffinierte Weise verwenden. Es macht doch einen Unterschied aus, ob wir „Fuck off!“ brüllen oder „Fuck off …“ im Sinne von „schon ok, ist mir egal“ sagen. Als könnte ein „Fuck“ ein Lied zu etwas Bösartigem machen. Davon abgesehen sind Travis doch nicht N.W.A.

Auf der Platte waren auch Dance-Beats zu hören. TripHop auf „Re-Offender“ oder ein E-Drum auf „Walking Down The Hill“.
In der Urfassung von „Side“ aus „The Invisible Band“ war sogar mal ein Rap. Ich denke über sowas nicht nach, sondern probiere mich aus. Aber es gibt eine Sache, die man eigentlich wissen sollte, die man im Herzen tragen sollte, wenn man aus Glasgow stammt.

Welche?
Dass der Akzent ich nicht so gut für einen Rap eignet. Wer als Glasgower rappt, hört sich so an, als würde er sich bei einem Bibliothekar beschweren. Da fehlt einfach die Power, die die Amerikaner haben. Für „Happy To Hang Around“ war tatsächlich ein Rap vorgesehen – wir hatten einen Hip-Hopper um Erlaubnis gefragt, ob wir seinen benutzen dürfen. Wir wollten schauen, ob das funktioniert. Aber es klang nicht gut. Es passte nicht zu uns. Es klang protzig.

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