Travis: Fran Healy im Interview über „The Boy With No Name“ – „Doch, Songs können Leben retten“

Mit „The Boy With No Name“ wird wird ein Travis-Album von 2007 neu veröffentlicht. Wir sprachen mit Fran Healy über die (politische) Entwicklung der Band in jener Zeit – und einen folgenschweren Live-Auftritt

Einen richtigen, warmen Frühling hat es in Deutschland bislang nicht gegeben, in Kalifornien dagegen strahlt, wie sich aus dem Zoom-Fenster erkennen lässt, die Sonne von einem klaren blauen Himmel. Fran Healy hat sich vom Fahrersitz seines Autos heraus zugeschaltet, hat gerade seinen Sohn zur Schule gebracht. Nun steht er auf einem Parkplatz. Er krempelt seinen T-Shirt-Ärmel hoch, zeigt das Pflaster auf seiner Schulter. Erst gestern hat er sich impfen lassen. „Ich war im CVS, der Supermarktkette. Habe mich nach einer Corona-Impfung erkundigt und sie gleich bekommen.“ Healy fragt sich, ob das in Deutschland bei den Apotheken (er verwendet das deutsche Wort, er hat mit seiner Familie jahrelang in Berlin gewohnt), wohl auch so schnell ginge. Wenn er doch nur wüsste, wie langsam die Impfung hierzulande in Gang gekommen ist.

Mit „The Boy With No Name“ erscheint nach „Good Feeling“ und „The Man Who“ das dritte Travis-Album neu auf Vinyl. Wir sprachen mit Fran Healy über „das schwierige fünfte Album“, das heute mehr geschätzt wird denn je.

„The Boy With No Name“ enthält mit „Closer“ eine ihrer meistgeliebten Singles, dazu ein Video, in dem Ben Stiller mitmacht, außerdem wurde der Song in einem Fußballgame von EA Sports untergebracht. Ich glaube immer noch, dass „Closer“ so groß hätte werden müssen wie „Why Does It Always Rain On Me?“ Worin sehen Sie die Gründe dafür, dass „Closer“ dann doch nicht Ihr größter Hit wurde?
Vielleicht lag es daran, dass „Closer“ die Vorab-Single unseres mittlerweile fünften Albums war. Und Travis spielen das Spiel nicht mit, möglichst hip zu sein. Ich betrachte mich als bescheidenen Songwriter. Ich schreibe ein Lied, wir sprechen in der Band darüber, es landet auf der Platte. Es wird als Single ausgekoppelt. Wir gehen auf Tour. Das machten wir von Anfang an so, das machen wir bis heute so. Um (macht Anführungszeichen in die Luft) relevant zu sein, muss man wohl seinen Sound regelmäßig ändern. Unseren Look sicher auch. „Closer“ hätte unter diesem Gesichtspunkt nicht existieren können.

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An welche „relevanten Bands“ denken Sie?
Ein gutes Beispiel sind Coldplay. Jede Platte klingt anders, auch wenn die Coldplay-Melodien jedes Mal unverkennbar sind. „Closer“ ist, da haben Sie recht, ein klassischer Travis-Song, und, wenn Sie es sagen, ein Klassiker. Aber er befindet sich halt auf unserem fünften Album. Es gab da schon neue Gruppen, neue Musik, die die Leute aufregend finden, und Travis waren 2007 schon seit einigen Jahren am Start. Eigentlich hätte „Closer“ vielmehr … nein, „Closer“ hat einfach das geschafft, was es geschafft hat. Und auf das Lied sprechen mich bis heute mehr Leute an, als zu größeren Hits.

In welchen Situationen bemerken Sie die heutige Popularität des Songs?
An den YouTube-Kommentaren erkennt man, woher die Leute das Lied kennen, von Fifa 2006 oder Fifa 2014, ich weiß es gar nicht so genau. Aber, ja, „Closer“ war bis heute unsere letzte „massive Single“, zumindest mit Blick auf die Charts. Man muss sich als Band klar darüber werden, dass man nur in den seltensten Fällen permanent ganz oben mitspielen kann. Oder man muss sich verbiegen. And then get on your knees and suck it (lacht). Aber nicht mit uns. Sobald ein Lied Sie berührt, wird es zu Ihrem eigenen Lied. Wenn es Sie zur richtigen Zeit erreicht … ich glaube wirklich, dass Songs Leben retten können. Ob es ein Hit war, spielt keine Rolle. Falls ein Song zu groß wird, kann es ihm auch schaden. Möglicherweise gibt es Hörer, denen „Why Does It Always Rain On Me?“ weniger bedeutet, weil sie es zu oft überall gehört haben.

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„My Eyes“ ist das erste von einigen Liedern, die Sie für Ihren Sohn geschrieben haben. Die Zeile verstehe ich nicht: „Deep In My Heart, There’s No Room For Crying, But I’m Trying To See Your Point Of View“. Das liest sich so, als hätten Sie Bedenken gegenüber Ihrem neugeborenen Kind.
Nein, ich singe das nicht an mein Kind gewandt, sondern an meine Frau, die schwanger war und an jenem Tag hormonell in Aufregung. „Ich kann mir vorstellen, was Du gerade durchmachst, aber ich könnte es nicht nachfühlen“, sage ich. „I’m afraid of dying“, singe ich weiter. Das kann jeder nachvollziehen. „I’d Be Lying If I Say I’m Not.“ Dieser Travis-Song hat keine Untertöne, er ist straightforward.

„Straightforward“: Kennzeichnet das Ihren gesamten Songwriting-Prozess?
Das Wichtigste ist für mich die Melodie. Die Lyrics müssen die Tonalität der Melodie reflektieren. Manchmal klingt das oberflächlich, manchmal tiefgründig. Viele Bands versuchen besonders obskur zu sein, und ihre Hörer freuen sich: „Ui, ist das poetisch!“ Ich versuche dagegen, mich so direkt wie nur möglich auszudrücken. Either Way, I Will Pray, You Will Be Wise“ – das richtet sich nicht mehr nur an meine Frau, sondern auch an meinen Sohn, als er noch in ihrem Körper ist. Ich singe für beide.

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2005, zwei Jahre vor der Album-Veröffentlichung,  traten Sie bei „Live Eight“ auf, Bob Geldofs Nachfolgeveranstaltung von „Live Aid“ aus dem Jahr 1985. Die G8-Staaten sollten überzeugt werden, ärmeren Ländern die Schulden zu erlassen.
Die Events fanden weltweit statt, Travis traten sowohl im Londoner Hyde Park auf, als auch im Murrayfield Stadium von Edinburgh. An dem Tag erfuhr ich auch, dass ich Vater werde. Nun sitze ich hier in meinem Auto, 16 Jahre später, und habe meinen Sohn zur Schule gebracht. Nun, den Titel „Live Eight“ fand ich etwas kitschig, aber in Edinburgh hatten sich 2005 auch die G8 getroffen. Der Ansatz, politisch Druck auf die größten Industrienationen auszuüben war völlig richtig. Die „Live Eight“-Events wurden jedoch überschattet von den Terroranschlägen in London, die einen Tag später die Stadt erschütterten …

… damals verübten vier so genannte „Rucksackbomber“ in der Londoner U-Bahn als auch in einem Doppeldeckerbus Anschläge, es gab 56 Tote und über 700 Verletzte …
… und verständlicherweise verschwand das Thema „Live Eight“ damit erstmal aus den Medien. Es ist ja auch verständlich, dass Terroranschläge so großen Raum in der Berichterstattung einnehmen. Für „Live Eight“ bedeutete das, dass es vom Nummer-eins-Thema zum unwichtigsten wurde.

Mit „Under The Moonlight“ enthält „The Boy With No Name“ auch erstmals einen Travis-Song, der nicht aus der Travis-Feder stammt, sondern von Susie Hug komponiert wurde. Warum blieb es – zumindest bezogen die Alben – bei dieser Ausnahme?
Manchmal fällt es mir schwer, Coversongs darzubieten. Einfach, weil ich viele nicht verstehe – und ich müsste ein guter Schauspieler sein, um sie zu verstehen. Wie ich immer zu Dougie Payne sage, unserem Bassisten: Das Lied eines anderen zu singen ist so, als würde man einen Marathon in dessen Schuhen laufen. Sie werden niemals hundertprozentig passen. Nehmen Sie den Song „Moving“ vom Album „Where You Stand“. Das Stück hätte live meine Stimme zerstört. In gewissem Sinne tat es das auch bereits für einige Zeit. Jeden Abend hätte ich ihn Höhen gehen müssen, die mir nicht bekommen hätten. Deshalb bat ich Dougie, den Gesang zu übernehmen. Deshalb stammten die Songs unserer jüngsten Platte, „10 Songs“, auch ausschließlich von mir. Ich muss schauen, was zu meiner Stimme passt.

Wie sind Ihre Erinnerungen an das legendäre Konzert im Berliner Astra 2013, bei dem Sie bis kurz vor dem Auftritt Ihre Stimme behandeln lassen mussten? Ihre Stimme war weg, ein Arzt eilte zur Hilfe, und als Travis dann mit Verspätung auf die Bühne kam sagten Sie: „Noch nie haben wir ein Konzert ausfallen lassen, und das wollten wir auch diesmal nicht.“
Ja, das ist richtig. Meine Stimme funktionierte an jenem Abend. Aber danach nicht mehr, für ganze zwei Wochen. Somit mussten wir dann doch erstmals Konzerte ausfallen lassen. Die Band befand sich auf dem Weg zum Flughafen, es sollte nach Moskau zum nächsten Auftritt gehen. Ich fuhr nochmal zum Hals-, Nasen-, Ohrenarzt. Er sah in meinen Rachen. Und wiederholte immer nur diese drei Worte (spricht deutsch): „Oh mein Gott“, „Oh mein Gott“.

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