Udo Jürgens: Ein ehrenwerter Mann
Merci: Zum 80. Geburtstag des großen Songschreibers und Bonvivants Udo Jürgens
Für Menschen unter 50 ist es, als wäre Udo Jürgens schon immer da gewesen. Sogar die Albumtitel koppeln ihn direkt an die Zeitläufe: „Udo ‘70“, „Udo ‘75“, „Udo ‘80“ – ein Mann für alle Jahreszeiten. Dabei ging Jürgen Udo Bockelmann einen langen Weg, bis er 1966 mit „Merci, Cherie“ beim Grand Prix Eurovision de la Chanson triumphierte. Am 30. September 1934 auf Schloss Ottmanach – einem Erbe des Großvaters, eines reichen Bankiers – in Kärnten geboren, war er ein schwächliches Kind, brachte sich das Klavierspielen selbst bei und konnte bei der Hitlerjugend nicht reüssieren. Der Vater seiner Mutter, die aus Schleswig-Holstein stammte, war der Dichter Hans Arp, die Onkel väterlicherseits waren Bürgermeister und Industriekapitäne. Nach dem Zweiten Weltkrieg studierte Udo am berühmten Mozarteum in Salzburg und inszenierte sich vor der Kamera des Bruders Manfred bereits als Ästhet und Komponist.
Zu seiner Überraschung gewann er 1950 einen Komponistenwettbewerb des ORF, verbrachte aber Jahre mit der Udo Bolán Band und sang seichte Schlager im Fahrwasser von Peter Alexander, Freddy Quinn und Vicco Torriani; in Opas Kino spielte er Nebenrollen („Die Beine von Dolores“, „Unsere tollen Tanten“, „Tanze mit mir in den Morgen“). Ein Schlager für Lale Andersen, „Jonny“ (ursprünglich „Jenny“), und der Song „Reach For The Stars“ für Shirley Bassey waren erste Erfolge.
Als 1963 der gewiefte Münchner Hans Beierlein, nachmals Schlager- und Volksmusik-Mogul, Jürgens‘ Management übernahm, kam endlich Zug in die Karriere: 1964 belegte Udo Jürgens mit „Warum nur, warum?“ Platz 6 beim Grand Prix in Kopenhagen – das Lied erreichte in der deutschsprachigen Version Platz eins der französischen Hitparade und machte den Sänger zum Star der Saison. Ein Jahr später erreichte „Sag ihr, ich lass sie grüßen“ sogar den vierten Platz beim Chanson-Wettbewerb in Neapel. Im selben Jahr schrieb er „If I Never Sing Another Song“ für Frank Sinatra – angeblich trat der das Stück an Sammy Davis Jr. ab.
„17 Jahr‘, blondes Haar“ war der erste seiner Songs, die sprichwörtlich wurden. Im März 1966 gewann Jürgens den Eurovisions-Wettbewerb mit dem berückenden „Merci, Chérie“. Dem Lied kommt nicht nur das Verdienst zu, dem Songschreiber mit 32 Jahren endlich den sogenannten Durchbruch ermöglicht zu haben – er inspirierte auch zwei Süßigkeiten: Der eine Teil des Titels schmückte fortan einen beliebten Schokoladenkonfekt, der andere eine von Schokolade und Cognac umhüllte Kirsche.
Nach kaum erinnerungswürdigen Platten gelang Jürgens 1967 mit „Was ich dir sagen will“ der große Wurf: Zwar sang er noch immer englische Meterware wie „That Lucky Old Sun“, „Autumn Leaves“ und (verhältnismäßig früh) „Yesterday“ sowie Schnulzen wie „Johnny Boy“ – doch Joachim Fuchsberger schrieb die Texte für das erste und das letzte Stück der Platte, zwei wunderbare Balladen: „Was ich dir sagen will“ und „Der große Abschied“. Das Stück „Unabänderlich“ klingt einerseits wie ein Song von Scott Walker zur selben Zeit – und nahm andererseits die Melodie von „Wunder gibt es immer wieder“ vorweg.
In den 70er-Jahren gelang Jürgens mit leichter Hand alles: Für die Fernsehlotterie sang er „Zeig mir einen Platz an der Sonne“, mit dem Texter Michael Kunze feierte er 1975 „Griechischer Wein“ als Hit des Jahres, „Aber bitte mit Sahne“ und „Mit 66 Jahren“ gingen in den deutschen Sprichwortschatz ein. Zur Fußball-Weltmeisterschaft 1978 sang er mit der brummenden Nationalmannschaft „Buenos dias, Argentina“, für die Zeichentrick-Reihe „Tom und Jerry“ nahm er „Vielen Dank für die Blumen auf“, auch dies ein Evergreen.
In veränderter musikalischer Landschaft war „Ich weiß, was ich will“ 1980 ein fulminanter Selbstermächtigungs-Schlager, 1982 folgten auf „Silberstreifen“ das heute unverzichtbare „Ich war noch niemals in New York“ und „Ich bin dafür“. Michael Kunze verfasste für Udo auch zeitkritische Jeremiaden wie „5 Minuten vor 12“, das weder den Schwung noch den Mut von „Ein ehrenwertes Haus“, der Attacke gegen das Spießertum, hat. „Rot blüht der Mohn“ (1983) und „Gehet hin und vermehret euch“ (1988) sind wohlfeiler Sozialkitsch. Spätere Alben wie „Es lebe das Laster“, „Einfach ich“ oder „Der ganz normale Wahnsinn“ feiern in bombastischen Arrangements und leeren Texten den Hedonismus mit wachem Bewusstsein. Doch während die kreative Vision verdämmerte, stieg Udo Jürgens zur Institution angewandter Vernunft jenseits des Alltagsgeschehens auf.
Seit 1977 lebt Udo Jürgens nach Steuer-Kalamitäten in der Schweiz, hatte damals das Management gewechselt und wurde 2007 sogar schweizerischer Staatsbürger. Zwei Ehen schlagen zu Buche, doch ist Udo natürlich als Schwerenöter und Womanizer notorisch, der aus seinem Don Juanismus keinen Hehl macht. Harald Schmidt hat einmal bewundernd beobachtet, dass der Künstler eine junge Dame, die ihn vertraut grüßte und an die er sich offenkundig nicht erinnerte, charmant verabschiedete. Seit Jahrzehnten beendet Udo Jürgens seine durchaus ekstatischen Konzerte verschwitzt im Bademantel; die Ordner müssen enthusiasmierte Frauen zurückhalten.
Im Alter ist der Bonvivant und Existenzialist dankbar und bescheiden. Ein Roman seines Landsmanns Thomas Bernhard liegt aufgeschlagen herum, doch Jürgen Udo Bockelmann mag ihn nicht lesen. Er wird heute 80, es ist noch lange nicht Schluss, und er wird nicht still in die Nacht gehen.