Über Anbiederung und Anmache im Multikulti-Biotop und den sprachlichen Notstand bei den Jungtürken

Germany twelve points, Allemagne douze points. Das Verdikt der israelischen Jury beim Schlager-Grand Prix in der „Heiligen Stadt“ rief eine ganze Armada politischer Kommentatoren auf den Plan. Die wie gewöhnlich nichts sagten, das aber immerhin mit Nachdruck. Ein Stück Normalität sei eingekehrt im so tragisch belasteten Verhältnis der beiden Völker, ein Zeichen der Hoffnung gesetzt an der Schwelle zum neuen Millenium. Schablonen, die sonst nur ausgepackt werden, wenn ein Kanzler kniefällig wird oder die deutsche Fußballnationalmannschaft vor der Klagemauer Aufstellung nimmt und mit sicherheitshalber vorher geübter Büßermiene ins Blitzlichtgewitter blinzelt Eine „gute Visitenkarte“ sei das, darf dann einer wie Klinsmann kundtun, „wo wir abgegeben haben“. Was die bestallten Sachwalter deutschjüdischer Wiedergutmachung gern honorieren. Ignatz Bubis findet ein paar Worte der Anerkennung, und der so ölige wie omnipräsente Michel Friedman ein paar hundert mehr. Die obligaten Rituale. Holocaustbewältigung, leichtgemacht.

Doch diesmal war es anders, ganz anders. Nicht die Funktionäre, nein, die israelische Bevölkerung war per Ted über die Schatten der Vergangenheit gesprungen, hatte Sympathie signalisiert für den neuen, den guten Deutschen. Und der ist Türke. Redet deutsch, ist immer gut drauf und allzeit deodoriert, aber irgendwo noch Türke. Sürpriz nennt sich die Gruppe, denen die Herzen im Jerusalemer Kongreßzentrum zuflogen wie weiland der Uzgür in der „Harald Schmidt Show“. Überraschung? Kaum. Im Gegenteil: ein Coup. Da mögen britische Blätter noch so barocke, eines Blackadder würdige Verschwörungstheorien basteln, in denen ein Herr öcalan, der israelische Geheimdienst und die türkische Justiz tragende Rollen spielen. Bulhhit.

Es ist viel banaler, leider. Ralph Siegel hatte mal wieder den richtigen Riecher. Im letzten Jahr von einer amoklaufenden Nußecke gedemütigt, in diesem Jahr fast von einer blinden Singdrossel übertölpelt, zahlten sich am Ende doch jene Tugenden aus, die ihn seit jeher heraushoben aus der Masse dumpfer Schlagermalocher. Siegels Trümpfe sind Fleiß, Beharrlichkeit und ein recht sicheres, wenn auch nicht untrügliches Gespür dafür, was der Schlagerfreund zu schlukken bereit ist Sind die Attitüden und Trends vom vorvorigen Jahr schon so weit ins Volksempfinden eingesickert, daß auch die Minderbemittelten nicht mit Befremden darauf reagieren? Rücksicht zu nehmen gilt es überdies auf die klassischen Minderheiten: Frauen, Ausländer, Behinderte und Schwule. Und ein bißchen auch aufs Kernpublikum, den zahlenmäßig kleinen, aber kultisch enthusiasmierten Kreis der Schlagerschwuchteln. Siegel hielt also den Finger in den Wind und befand, daß das Festival des einfältigen Liedes reif sei für: Multikulti.

So schlau waren zwar auch andere: Israel selbst wucherte mit schwarzen Hebräern, Norwegen schickte einen kaffeebraunen HipHopser an den Start, und die bosnischen Musikanten sahen aus und klangen wie Schafhirten auf Sonderurlaub. Aber nur Siegel packte es richtig an, nannte sein biederes Liedchen „Die Reise nach Jerusalem“, ornamentierte es mit Orientalkitsch und anatolischem Vokalkolorit und ließ es, um auf Nummer Sicher zu gehen, gleich in deutsch, türkisch, englisch und hebräisch vortragen. Erfolg durch Anbiederung. Dritter Platz, je zwölf Punkte aus Polen, Holland, Israel, und, na klar, aus der Türkei.

Käufer wird der spekulative Schund freilich kaum finden, weder dort noch hier. Am allerwenigsten unter deutschen Jugendlichen türkischer Abstammung, wie es politisch korrekt heißt Kanaken, wie sich viele selbst nennen. Schon den glubschäugigen Türkpop von Tarkan, bei „Viva“-Kids wohlgelitten, finden sie „kraß die Abkotze“. Was indes über Siegels geschniegelte Assimilanten in Berliner Bussen und Bahnen ausgeschüttet wird, spottet nicht nur jeder Grammatik. In „Kanak Sprak“. So heißt das Gestammel aus Beleidigungen und Schmähungen aus der Fäkalabteilung, mit dem sich Jungtürken zu wehren versuchen gegen den sozialen Druck der Anpassung. Drastisch, grob, vulgär. Eine gute Sache, sagen progressive Soziologen. Voll das coole Ding, zirpen Trendgrillen landauf, landab. Vornehmlich natürlich in Feuilletons. Es sei bedauerlich, liest man da, daß die Kanak Sprak so furchtbar rassistisch und sexistisch sei, so voller Aggression und unverhülltem Haß, aber prinzipiell emanzipatorisch sei sie schon. Ob das auch für deutsche Kids gut, die sich des Debilsprechs bedienen, wird noch untersucht. Anke Engelkes endgeile „Ricky“ wirkt neben diesen unartikulierten Schülern jedenfalls wie Rita Süßmuth.

„Voll die Kümmel-Fotzen“, sagt einer über Siegels Mültikültis; die detaillierten Einlassungen seiner Kumpels sind weitaus obszöner. Ist noch gar nicht so lange her, als man mitleidig türkische Kids anlächelte, die in Kaufhauspassagen Breakdance übten. Dankbar und verlegen wurde zurückgegrinst Heute reicht oft ein zufalliger Blickkontakt mit einem 15jährigen zu einer unmißverständlichen Drohung: „Ischmachdischkrankenhaus.“ Nett ist das nicht vom Idiom mal ganz abgesehen. Fatal viel Wasser auf die Mühlen der Fremdenhasser. Und willkommene Wahlkampf-Munition sowieso, sollte sich ein Ex-Bonner Politiker mal zur Unzeit in eine Berliner U-Bahn verirren. Nahkampf, multikulturell. Und die Verlierer stehen auch schon fest Ralph Siegel, die Welt ist ja ungerecht, wird nicht dazugehören.

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